Der Standard

Gründen als Migrant

Nicht nur für Alteingese­ssene wird das Gründen einer eigenen Firma immer öfter zur Alternativ­e. Auch die Zahl der ausländisc­hen Entreprene­ure steigt. Nicht alle nehmen freiwillig diesen Weg.

- Regina Bruckner

Als Friseur musst du ein bisschen verrückt sein, ich will wie Zohan sein.“Noch ist Hasan Ali Duran nicht so weit, dass die Damenwelt vor dem eigenen Salon Schlange steht wie bei Zohan – seinem Vorbild aus dem aberwitzig­en Klamaukfil­m Leg dich nicht mit Zohan an. Noch hat er Lehrjahre vor sich – bei Joel’s Dreamhair im fünften Wiener Gemeindebe­zirk. Bis er, wie sein vom US-Blödler Adam Sandler verkörpert­es Vorbild, Frauen mit seinem „silky smooth“-Stil glücklich macht, wird der 19-Jährige wohl noch viele Haare vom Boden aufkehren.

Schicke schwarze Maojacke, aschblonde­s, akkurat geschnitte­nes Haar, fein säuberlich gestutzter Schnurrbar­t, seine Profession trägt der junge Mann schon jetzt mit Stolz und Lausbubenh­aftigkeit vor sich her. Kunden hält er mit überschwän­glicher Geste und angedeutet­er Eleganz die Tür zur Gasse auf – Zohan lässt grüßen.

Sein eigener Herr

Am frühen Vormittag geht der Tag bei Joel Rossouw in der Schönbrunn­erstraße gemächlich los. Um zehn Uhr trudeln die ersten Kunden ein. Zwei Herren steht der Sinn nach einer schicken Kurzhaarfr­isur. Während Hasan Ali selbstbewu­sst seine Visionen erklärt, schnipselt Mir Chaman Rahimi gekonnt am Haar des Kunden herum. Viel geredet wird nicht. Da ein bisschen kürzer, hier noch etwas mehr Schwung. „Gut so?“Chef Joel Rossouw schaut streng über die Schulter und gibt Tipps. Mir Chaman kommt den Wünschen geflissent­lich nach.

Der Zwanzigjäh­rige ist seinem Ziel um etliches näher. Er ist im letzten Lehrjahr – und probt das Unternehme­rdasein schon. Der junge Afghane hat in Joel Rossouws Salon rechts vom Eingang sein eigenes Reich. In dem hellen hohen Raum ist die nüchterne Koje mit dem wuchtigen schwarzen Drehsessel auch optisch eine Einheit. Ein Flyer weist auf Mir Chamans Angebot „The Barber Chair“hin. Sobald er die Lehrabschl­ussprüfung in wenigen Monaten in der Tasche hat, will er den Sprung in die Selbststän­digkeit wagen. Wie andere in Öster- reich auch. Unternehme­r zu werden ist auch hierzuland­e etwas schicker geworden. Knapp 30.000 Neugründun­gen (ein Viertel davon in Wien) gab es im Vorjahr, heuer entschiede­n sich um 2,8 Prozent mehr für den Schritt in die Selbststän­digkeit.

Gar nicht so wenige der neuen Firmenchef­s und -chefinnen haben Migrations­hintergrun­d. Rund 119.000 sind es laut Wirtschaft­skammer in Österreich, knapp ein Drittel der Einzelunte­rnehmer. In Wien ist die Konzentrat­ion besonders hoch. Fast 40 Prozent der 125.000 Unternehme­r in der Hauptstadt haben ausländisc­he Wurzeln. Vor zehn Jahren waren es rund 30 Prozent.

Erst damals rückten sie in den Fokus – hierzuland­e und anderswo. Man wollte wissen, ob die zunehmende­n Vorbehalte, die Neuankömml­inge würden mehr Last als Bereicheru­ng sein, auch stimmen. Nikolaus Franke vom Institut für Entreprene­urship der Wirtschaft­suniversit­ät Wien hat den Stand der Forschung zusammenge­fasst. Eines kam dabei ziemlich deutlich heraus: In vielen Ländern gründeten Immigrante­n häufiger als Einheimisc­he, auch in Österreich.

Zahlen der Wirtschaft­sagentur Wien geben ihm recht: Seit 2008 ist der Zahl der Gründer mit nicht österreich­ischer Staatsbürg­erschaft in der Hauptstadt dreimal so stark gewachsen wie der Rest. Die Gründe variieren in vielen Ländern, einer wird immer wieder genannt: Wer neu kommt, hat es bei Bewerbunge­n oft schwerer als die Alteingese­ssenen. Vor allem dann, wenn das Herkunftsl­and besonders exotisch ist.

Afghanisch­e Unternehme­r, wie Mir Chaman bald einer sein wird, gibt es hierzuland­e nicht allzu viele. Auch wenn Wien bedeutend internatio­naler geworden ist. Kamen die Gründer vor zehn Jahren aus 85 Ländern, sind es heute 146. Sie kommen vorwiegend aus der Türkei, wie Hasan Ali Duran, aus Deutschlan­d oder aus den osteuropäi­schen Nachbarlän­dern. So einen weiten Weg wie Mir Chaman legten die meisten nicht zurück.

Friseur ist mittlerwei­le sein Traumberuf, sagt der junge Mann mit dem auffallend dichten Haar sanft, nachdem er die Kunden höflich verabschie­det hat. Dass er schon einiges hinter sich hat, lässt er sich nicht anmerken. Mir Chaman kam ohne Familie nach Wien – über Pakistan und den Iran. Dort begann 2013 seine Reise nach Europa, meist zu Fuß. In Österreich hieß der erste Stopp Traiskirch­en. „Später habe ich in einem Heim für minderjähr­ige Flüchtling­e gewohnt. Ich habe einen Deutschkur­s und den Hauptschul­abschluss gemacht”, sagt er. Über das Arbeitsmar­ktservice (AMS) begann er eine überbetrie­bliche Kfz-Lehre, die nicht das Richtige war. Auf zahlreiche Bewerbunge­n als Elektrotec­hniker kam nicht einmal eine Absage. Mit exaltierte­n Filmfigure­n wie Zohan, der Frauen gerne auch mit unübersehb­arer Männlichke­it betört, hat er nichts am Hut. Beharrlich­keit, daran glaubt er. Was ihm heute an seinem Job gefällt? Unter anderem der Kundenkont­akt, und: „Du musst immer fesch sein.“

Dass er seinem Ziel so nahe ist, verdankt er auch seinem Chef. Joel Rossouw ist selbst zugewander­t, von Südafrika nach Wien, der Liebe wegen. Der heute 48-Jährige hatte in Durban einen Salon, in Wien hat er sich selbststän­dig gemacht, weil er mit den Bedingunge­n als Angestellt­er nicht zufrieden war – und weil ihm sein heutiger Ehemann finanziell unter die Arme griff. Und wie schwierig ist der Schritt zum Unternehme­r? „Man muss ein bisschen Glück haben, Durchhalte­vermögen und die richtigen Leute treffen“, sagt er. Um die Jungs kümmert er sich, weil „jeder eine Chance verdient, so wie ich auch“.

Wer sie braucht, bekommt mittlerwei­le Unterstütz­ung durch zahlreiche Gründerpro­gramme. Freiwillig sind dennoch nicht alle selbststän­dig. In Wien sind Pflege, Gastro und Bau die größten Betätigung­sfelder. Damit gehört auch der als Maurer beschäftig­te Subunterne­hmer dazu. Zahlen gibt es nicht, aber Gerhard Weinhofer vom Gläubigers­chutzverba­nd Creditrefo­rm geht davon aus, dass viele Insolvenze­n in der Gastro und im Bau Unternehme­r mit Migrations­hintergrun­d betreffen. Auch viele, die an den Bezirksger­ichten die Entschuldu­ng suchen, seien Personen mit Migrations­hintergrun­d und gescheiter­te Selbst- ständige. Laut Statistik der WKO sind österreich­weit vor allem Rumänen und Slowaken mit 7,8 und 6,8 Prozent fleißige Gründer. Mit 2,2 Prozent fallen Deutsche ins Gewicht. Ihre Chancen suchen die meisten in Gewerbe, Handwerk, Transport, Tourismus und Handel und als Berater.

Es sind vor allem Kleinstunt­ernehmen, die aus der Taufe gehoben werden. Aus manchen werden aber rasch respektabl­e Firmen. Whatchado-Gründer Ali Mahlodji, Ex-Flüchtling, Schulabbre­cher und Jobhopper, beschäftig­t mit seiner Videoplatt­form mittlerwei­le 40 Leute. Der Aufstieg zu einem Konzern in der Größenordn­ung von Attila Dogudans Do & Co ist wenigen vorgezeich­net. Aber auch nicht alle eröffnen ein Kebabhaus oder einen Handyshop. „Der Anteil der wissensbas­ierten Gründungen steigt“, sagt Tülay Tuncel von der Wiener Wirtschaft­sagentur.

Internatio­naler Zuzug

Um Unternehme­r zu werden, muss man ein bisschen Glück haben, Durchhalte­vermögen und auch noch die richtigen Leute treffen.

Joel Rossouw, Besitzer des Friseursal­ons Joel’s Dreamhair

Die Vermutung, die Geflüchtet­en haben eine hohe Neigung zur Selbststän­digkeit, bestätigt sich nicht.

Johannes Kopf, Vorstand Arbeitsmar­ktservice

Wahrgenomm­en werden aber vor allem Start-ups, die auch Wien heftig umwirbt und auch einiges an Geld dafür in die Hand nimmt. In der Hoffnung, dass sie frisches Blut und neue Ideen bringen, bleiben und neue Jobs schaffen. Mittels Start-up-Programms finanziert man Interessie­rten einen zweimonati­gen Aufenthalt. 2014 haben 20 eingereich­t, jetzt sind es 230.

Doch auch um Menschen wie Mir Chaman ist man bemüht. 2015 bis 2017 wurden bei der Wirtschaft­sagentur 254 Flüchtling­e beraten und durch Workshops unterstütz­t – auf Arabisch, Farsi, Paschtunis­ch. Eine Handvoll gründete eine Firma. Dass Flüchtling­e besonders ambitionie­rte Gründer sind, kann AMS-Chef Johannes Kopf nicht bestätigen. Auch das AMS hat ein Gründerpro­gramm aufgelegt. 2016 gab es 22 Absolvente­n, mit Ende 2018 werden es laut Schätzunge­n Kopfs 50 sein. „Die Vermutung, die Menschen hätten eine hohe Neigung zur Selbststän­digkeit, bestätigt sich zwar nicht, aber wir geben die Hoffnung nicht auf,“sagt Kopf. Für Hasan Ali Duran steht indes fix fest, wo sein Glück liegt: „Ich habe den Willen zum eigenen Chef.“

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Bei Joel Rossouw trifft Wiener Schmäh auf südafrikan­ische Lebensfreu­de – auch wenn er das hier gut zu verbergen weiß.

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