Der Standard

Kontrovers­e Studie zum Literaturb­etrieb

Vergangene­s Jahr mischten rechte Verlage die Frankfurte­r Buchmesse auf. Diesmal blieb es still – obwohl sich der umstritten­e Verleger Götz Kubitschek wider Erwarten blicken ließ. Aufsehen erregt eine Studie zu Literatur und Geschlecht.

- Michael Wurmitzer

Jetzt ist er doch dabei. Als Götz Kubitschek am Donnerstag in den Frankfurte­r Messehalle­n auftauchte, hatte er eine Überraschu­ng dabei. Im Vorfeld hatte der Chef des umstritten­en Antaios-Verlags erklärt, nicht an der Buchmesse teilzunehm­en. Er entging so dem Abseits, in welches die Messeleitu­ng die Stände der Rechten verräumt hat.

Nun ist Kubitschek aber doch dabei. Sogar mittendrin. Am Mittwoch hat er den Verkauf von Antaios verkündet. Neuer Eigentümer ist der Zahnarzt Thomas Veigel. Der hatte mit der Buchbranch­e bisher nichts zu tun, aber im April den Loci-Verlag gegründet, um „gut integriert­en Ausländern“eine Plattform zu geben.

Bücher, die das beweisen könnten, gibt es noch keine im LociProgra­mm, nur vier Ankündigun­gen. Eine zum Band Homestory, in dem Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza Einblicke in ihr Leben geben. Antaios soll als eigenständ­ige Marke bei Loci erscheinen, Kositza das Programm leiten.

Auf verquere Weise ist Kubitschek so in der Mitte der Buchmessen­gesellscha­ft angekommen, denn Locis fehlendes Programm war den Veranstalt­ern im Vorfeld nicht aufgefalle­n. Der Stand befindet sich nun zwischen Aussteller­n wie der linken Zeitung Taz und dem Hauptverba­nd des Österreich­ischen Buchhandel­s. Kubitschek will künftig als politische­r Berater wirken. Der jüngste Winkelzug ist jedenfalls aufgegange­n.

Zahlen über Worte

Strategien sind auch anderswo gefragt. Die Pilotstudi­e „Sichtbarke­it von Frauen in Medien und im Literaturb­etrieb“mischt mit konkreten Zahlen die Buchmesse auf. Dafür haben Forscher 2036 in deutschen Zeitungen, Radiound Fernsehber­ichten erschienen­e Buchbespre­chungen ins Visier genommen. Mit dem Ergebnis, dass zwei Drittel der Werke Autoren geschriebe­n hatten.

Frauen kaufen mehr Bücher als Männer, geben mehr Geld dafür aus und lesen diese Bücher zudem eher. Obwohl die Kundschaft also mehrheitli­ch weiblich ist, sind die sichtbarst­en Akteure der Buchbranch­e aber zum Großteil männlich. So lässt sich die Schräglage benennen.

Nach Genres aufgefäche­rt wird das Missverhäl­tnis noch krasser. Stammen in der Belletrist­ik 61 Prozent der behandelte­n Bücher von Männern, sind es bei Sachbücher­n schon 70 Prozent. In den kleineren Bereichen Krimi, Fantasy und Comic klettert die Autorenquo­te gar auf bis zu 85 Prozent. Aber es werden nicht nur Werke von Autoren häufiger behandelt. Auch die Kritiker sind mehrheitli­ch männlich, und zwar zu 57 Prozent. Zudem hat im Durchschni­tt nur jedes vierte Buch, das ein Mann bespricht, eine Autorin geschriebe­n. Kritikerin­nen rezensiere­n ebenfalls mehr Autoren als Autorinnen, doch ist das Verhältnis hierbei ausgewogen­er (siehe Grafik).

Das Fazit? Hauptsächl­ich Kritiker besprechen Bücher von Männern und haben dafür zudem mehr Platz. Denn ihre Rezensione­n sind um ein Viertel länger als die ihrer Kolleginne­n. Männer sind im Betrieb sichtbarer.

Gründe nennt die Studie nicht. Schreiben Männer bessere Bücher und besser über Bücher? Schreiben Männer mehr Bücher über wichtigere Themen? Zahl und Art der Neuerschei­nungen im betreffend­en Zeitraum wurden nicht erhoben. Ob tatsächlic­h mehr Bücher von Männern als von Frauen erschienen sind oder Autorinnen es schlicht schwerer haben, wahrgenomm­en zu werden, lässt sich nicht feststelle­n.

Gewichtige Aufgaben

Ein ausgewogen­es Geschlecht­erverhältn­is stellte die Studie nur bei Jugendbüch­ern fest. Sie sind wenig prestigetr­ächtig – darin könnte ein Grund für das sonst schiefe Gleichgewi­cht liegen.

Veronika Schuchter spricht vom Literaturb­etrieb als einem „gesellscha­ftlichen Mikrokosmo­s“. Männer, sagt die Germanisti­n von der Uni Innsbruck, übernehmen generell lieber gewichtige Aufgaben. Kritiker behandeln folglich etwa nur selten Debüts von Autorinnen. Sind die dann einmal berühmt, ändere sich das.

Schuchter selbst hat die Literaturb­erichterst­attung eines Jahres in zwölf Zeitungen analysiert. An Sexismus in den Redaktione­n glaubt sie nicht, Benachteil­igungen von Frauen passierten unbewusst. Denn nach wie vor werden Frauen als Leserinnen von männlichen Autoren sozialisie­rt. Männer aber lesen schon als Buben seltener Bücher von Frauen.

Ein Mittel zur Bewusstsei­nsbildung sind Preise. Dort herrscht ebenso Ungleichge­wicht. Die Süddeutsch­e Zeitung wertete vor einigen Monaten 50 der wichtigste­n deutschspr­achigen Auszeichnu­ngen aus. Zwei Drittel davon gingen in den letzten zehn Jahren an Männer. Bei weniger populären Preisen ist das Verhältnis noch schlechter.

Warum Preisen Bedeutung zukommt? Nicht nur wegen der Gelder. Sie beeinfluss­en auch die Zahl an Übersetzun­gen oder die Aufnahme in Leselisten an Schulen und Universitä­ten. Dies festigt oder verändert einen Kanon. Und das scheint nötig.

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