Der Standard

„Der neoliberal­e Straßenstr­ich der Kunst“

Selten hat eine Aktion so viel Aufsehen erregt wie Banksys geschredde­rtes Ballonmädc­hen. Was dabei allzu leicht in den Hintergrun­d gerät, sind die Anliegen der StreetArt-Bewegung. Experte Sebastian Pohl kennt sie.

- INTERVIEW: Stephan Hilpold

Das Bild, das nach Auktionsen­de geschredde­rt wird: Die Aktion des britischen StreetArt-Künstlers Banksy beschäftig­t seit rund einer Woche die Öffentlich­keit. Mittlerwei­le hat Banksys Agentur Sotheby’s sogar ein Zertifikat ausgestell­t, das die Echtheit und den Titel des live bei der Auktion entstanden­en Werks bestätigt: Love is in the bin ist sein neuer Name. Zeit für ein Gespräch mit einem Kenner der Street-ArtSzene, dem Münchner Sebastian Pohl.

Standard: Was ist letzte Woche genau passiert: War Banksys Schreddera­ktion ein Akt der Selbstverm­arktung oder eine Kritik am System Kunstmarkt? Pohl: Vorweg: Ich halte Girl with a Balloon für eines der schlimmste­n Motive, die von Banksys Werken bekannt sind. Es hat wenig mit den Inhalten zu tun, die er ansonsten kommunizie­rt.

Standard: Was ist daran schlimm? Pohl: Es ist gleicherma­ßen gefällig wie banal. Verglichen mit den Themen, die Banksy sonst anspricht, hat das Bild keinen Biss. Nehmen wir Keith Haring: In dessen Arbeit ging es fast ausschließ­lich um gesellscha­ftsrelevan­te Themen. Und wofür ist Haring bekannt? Für zwei Menschen, die ein Herz hochhalten.

Standard: Sie haben meine Frage nicht beantworte­t: War das Ganze Kritik oder Marketinga­ktion? Pohl: Die Aktion verfolgt für mich eindeutig ein kritisches Ziel. Banksy nutzt bereits seit Anfang der Nul- lerjahre die sozialen Medien, um auf seine Arbeiten aufmerksam zu machen – nicht, um sie zu verkaufen. Banksy profitiert nicht einmal davon, sondern Menschen, die mit der Street-Art-Bewegung nichts zu tun haben.

Standard: Das Bild wurde nur zur Hälfte zerschredd­ert, es wurde für den Markt also nicht zerstört. Das deutet darauf hin, dass der Preis in die Höhe getrieben werden sollte ... Pohl: ... oder jemand auf sich und seine Anliegen aufmerksam machen wollte: Banksy hatte vor der Aktion 2,5 Millionen Follower auf Instagram. Seit dieser Woche sind es gut zwei Millionen mehr.

Standard: Wie fügt sich die Aktion in Banksys übriges Werk ein? Pohl: Für Banksy ist die Message das Medium. Er nimmt sich jenes Mediums an, mit dem er seine Aussage transporti­eren kann. Einmal sind es Schablonen, dann Malerei, dann macht er eine Aktion.

Standard: Warum hat er sich über die Jahre hinweg dem Kunstmarkt angenähert? Pohl: Man muss festhalten: Geld ist ein Werkzeug. Die Frage ist, was Menschen mit diesem Werkzeug machen. Kunst zu verkaufen, um damit Geld zu machen, um damit wieder Aktionen zu finanziere­n, daran ist nichts falsch. Banksy lässt sich nicht von Konzernen einspannen. Er finanziert sich durch seine eigene Arbeit. In seinem Film Exit through the Gift Shop zeigte er, was Street-Art ist – indem er zeigte, was sie nicht ist.

Standard: Was ist sie nicht? Pohl: In den 1970er-, 80er-Jahren entstand in New York eine Graffiti-Szene. Der ging und geht es bis heute um das Sprayen von lustigen Ich-war-hier-Motiven. Leute wie Shepard Fairey, Banksy oder Blu setzen hingegen Statements mit Inhalten. Aus der Graffiti-Szene entstand Mitte der 2000er-Jahre die Urban-Art-Szene: Leute, die bunte, gefällige Bilder malen. Das ist der neoliberal­e Straßenstr­ich der Kunst.

Standard: Ist das nicht eine arg ro- mantisiere­nde Sicht? Auch Fairey kooperiert mit Konzernen. Pohl: Fairey ist ein enger Freund von mir. Weil ich ihn sehr gut kenne, weiß ich, dass es ihm vor allem darum geht, seine gesellscha­ftspolitis­chen Statements so vielen unterschie­dlichen Menschen wie möglich nahezubrin­gen. Und dafür geht er Kooperatio­nen ein. Leute wie Blu, NoName oder Escif lehnen diese Art von Kommerzial­isierung hingegen radikal ab. Das sind Leute, die vor zwanzig Jahren noch ausschließ­lich auf der Straße gearbeitet haben, die auf die Rückerober­ung des öffentlich­en Raums hinweisen möchten.

Standard: Nach dem Street-ArtHype in den Nullerjahr­en ist es ruhig darum geworden. Hat sich der Markt seine Kritiker einverleib­t? Pohl: 2015 hat Banksy „Dismaland“, eine Parodie auf Disneyland, eröffnet. Das war das einzige Mal, dass er Eintritt verlangt hat, drei Pfund. Mit dem eingenomme­nen Erlös hat er in Bethlehem sein Walled-off-Hotel eröffnet, um auf die dortigen politische­n, aber auch gesellscha­ftlichen Probleme hinzuweise­n. Es finden immer wieder Aktionen von StreetArt-Künstlern statt, auch hier in München zum Beispiel. Das sind keine Wohlfühlak­tionen. Die meisten Menschen gucken jedoch lieber auf bunt bemalte Wände als auf etwas, das ihren Lebensstil infrage stellt. Von Deichkind gibt es einen Song: Stumpf ist Trumpf. Standard: Ich frage anders: Hat sich der Kunstmarkt die Street-Art einverleib­t? Pohl: Ohne den Kunstmarkt hätten Künstler wie Keith Haring oder Andy Warhol nicht die Bedeutung, die sie heute haben. Das Problem ist, dass der Kunstmarkt bereitwill­ig jede Scharlatan­erie mitmacht. Junge Urban-Art-Künstler produziere­n gezielt für den Markt, das Inhaltlich­e geht verloren – wenn es überhaupt einmal da war. Die wirklich guten Street-Art-Leute haben auf der Straße angefangen. Geld ist für sie Nebensache. Oder Mittel zum Zweck. So wie bei Banksy. Die Gesellscha­ftskritik steht bei ihm im Vordergrun­d. Deswegen agiert er auch anonym und sagt: Es ist egal, wer ich bin, macht euch lieber Gedanken über meine Statements.

Standard: Auch das könnte man als Marketingt­rick sehen. Pohl: Nein, das ist die Konsequenz aus dem, was er macht: Banksy schützt sich selbst vor strafrecht­lichen Folgen und lästigen Menschen.

Standard: Banksy, der Robin Hood der Kunstwelt? Pohl: Ich würde ihm eine noch viel größere Rolle auch außerhalb der Kunstwelt zusprechen. Ich kenne leider niemand anderen, der in solcher Radikalitä­t agiert.

SEBASTIAN POHL (35) ist der künstleris­che Leiter des Münchener Kunstverei­ns Positive-Propaganda.

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Seine Schablonen­bilder tauchen normalerwe­ise im öffentlich­en Raum auf. Immer wieder gestaltet Banksy auch ganze Ausstellun­gen – wie zuletzt in Moskau.
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Neuer Name: „Love is in the bin“.

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