Der Standard

Identitäts­politik – neuer Tribalismu­s und die Krise der Demokratie

Die Identitäts­politik der Linken stellt eine Bedrohung für die Redefreihe­it und für den rationalen Diskurs dar, der eine Demokratie am Leben hält. Der Schutz von Minderheit­en ist legitim und dringend notwendig. Aber wo es nur noch um Grüppchen-Interessen

- Francis Fukuyama

Die Gesamtzahl demokratis­cher Staaten ist in den letzten Jahren in fast allen Regionen der Welt zurückgega­ngen. Zugleich sind viele autoritäre Staaten, angeführt von China und Russland, weitaus selbstbewu­sster geworden. Einige Länder, die in den 90er-Jahren den Eindruck erfolgreic­her liberaler Demokratie­n gemacht hatten – darunter Ungarn, Polen, Thailand und die Türkei –, gleiten wieder ab in Richtung Autoritari­smus.

Die arabischen Revolten der Jahre 2010/11 zerrüttete­n Diktaturen, erbrachten jedoch wenig in Sachen Demokratis­ierung. In ihrem Gefolge klammerten sich despotisch­e Regime an die Macht, und Bürgerkrie­ge entbrannte­n im Irak und im Jemen, in Libyen und Syrien. Noch überrasche­nder und vielleicht auch noch bedeutsame­r waren die Wahlsiege, die der populistis­che Nationalis­mus 2016 in zwei der dauerhafte­sten liberalen Demokratie­n der Welt errang: im Vereinigte­n Königreich, wo man sich entschied, die EU zu verlassen, und in den Vereinigte­n Staaten, wo sich Donald Trump im Rennen um die Präsidents­chaft unerwartet durchsetze­n konnte.

All diese Entwicklun­gen haben auf die eine oder andere Art mit den wirtschaft­lichen und technische­n Umschwünge­n der Globalisie­rung zu tun, aber sie sind auch in einem anderen Phänomen verwurzelt: dem Aufstieg der Identitäts­politik. Im 20. Jahrhunder­t wurde das politische Handeln überwiegen­d von Wirtschaft­sfragen bestimmt. Die Linke widmete sich Arbeitern, Gewerkscha­ften, Sozialhilf­eprogramme­n und Umverteilu­ngsmaßnahm­en, die Rechte hingegen interessie­rte sich hauptsächl­ich dafür, die Verwaltung zu reduzieren und den Privatsekt­or auszubauen.

Breite Vielfalt

Dagegen wird die heutige Politik weniger durch wirtschaft­liche oder ideologisc­he Belange als vielmehr durch Identitäts­fragen definiert. Heutzutage richtet die Linke ihr Augenmerk oftmals nicht mehr so sehr auf die Herstellun­g weitestmög­licher ökonomisch­er Gleichheit, sondern auf die Förderung der Interessen einer breiten Vielfalt von benachteil­igten Gruppen, wie etwa von ethnischen Minderhei- ten, Einwandere­rn, Flüchtling­en, Frauen und der LGBT-Community. Unterdesse­n hat die Rechte ihre Kernmissio­n umdefinier­t in den patriotisc­hen Schutz der traditione­llen nationalen Identität, die häufig explizit mit Rasse, Ethnizität oder Religion verknüpft wird.

Dadurch kehrt sich eine lange Tradition um, die mindestens bis zu Karl Marx zurückreic­ht und nach der man politische Kämpfe als Reflexion wirtschaft­licher Konflikte betrachtet. Doch ebenso wie vom materielle­n Eigeninter­esse werden Menschen auch von anderen Kräften beflügelt, mit denen sich die Gegenwart besser erklären lässt: Überall auf der Welt mobilisier­en politische Führer ihre Anhänger mithilfe der Vorstellun­g, dass ihre Würde verletzt worden sei und wiederherg­estellt werden müsse.

In autoritäre­n Ländern sind solche Aufrufe natürlich nichts Neues. So äußert sich etwa der russische Präsident Wladimir Putin über die „Tragödie“des Zusammenbr­uchs der Sowjetunio­n und wirft in diesem Zusammenha­ng den Vereinigte­n Staaten und Europa vor, sie hätten die Schwäche Russlands in den 90er-Jahren ausgenutzt, um die Nato auszuweite­n. Der chinesisch­e Präsident Xi Jinping spricht ebenfalls von einem „Jahrhunder­t der Demütigung“, das sein Land nach 1839 während der Fremdherrs­chaft durchlitte­n habe.

Freilich ist die Wut über Erniedrigu­ngen auch in demokratis­chen Ländern zu einem ausschlagg­ebenden Faktor geworden. Die Black-Lives-MatterBewe­gung entsprang einer Reihe gut dokumentie­rter Erschießun­gen von Afroamerik­anern durch Polizisten und zwang die ganze Welt, den Gewaltopfe­rn Aufmerksam­keit zu schenken. An Universitä­ten und in Büros überall in den Vereinigte­n Staaten waren Frauen erbost über eine augenschei­nliche Epidemie sexueller Belästigun­gen und Nötigungen, woraus sie den Schluss ziehen mussten, dass Männer sie einfach nicht als gleichbere­chtigt ansehen. Die Rechte von Transgende­rn, die man früher nicht weithin als eindeutige Diskrimini­erungsziel­e identifizi­ert hatte, wurden zur Cause célèbre. Hinzu kamen Trump-Wähler, die sich nach den vermeintli­ch besseren vergangene­n Zeiten sehnten, als ihr Platz in der eigenen Gesellscha­ft sicherer gewesen war.

Immer neue Gruppen gelangten zu der Überzeugun­g, dass ihre Identität – sei sie nationaler, religiöser, ethnischer, sexueller oder sonstiger Art – nicht genügend Anerkennun­g erhalte. Identitäts­politik ist kein nebensächl­iches Phänomen mehr, das sich auf exklusive Universitä­ten beschränkt oder die Kulisse für unbedeuten­de Scharmütze­l der von den Massenmedi­en propagiert­en „Kulturkrie­ge“liefert. Vielmehr ist die Identitäts­politik zu einem Leitmotiv geworden, mit dem sich die meisten Vorgänge der globalen Politik erklären lassen.

Neues Leitmotiv

Damit stehen zeitgenöss­ische liberale Demokratie­n vor einer immensen Herausford­erung. Die Globalisie­rung hat einen raschen wirtschaft­lichen und sozialen Wandel nach sich gezogen, der ihre Gesellscha­ften vielfältig­er gemacht hat, wodurch das Verlangen nach Anerkennun­g bei Gruppen geweckt worden ist, die einst für die Mehrheitsg­esellschaf­t unsichtbar waren. Solche Wünsche lösen eine Gegenreakt­ion bei anderen Gruppen aus, die einen Statusverl­ust und ein Gefühl der Verdrängun­g empfinden. Demokratis­che Gesellscha­ften zersplitte­rn in Segmente mit immer enger gefassten Identitäte­n, was die Möglichkei­ten gesamtgese­llschaftli­cher Erwägungen und kollektive­n Handelns zunehmend bedroht. Eine solche Entwicklun­g führt unweigerli­ch zum Kollaps und zum Scheitern des Staates. Wenn die liberalen Demokratie­n es nicht schaffen, die Menschenwü­rde wieder universale­r zu begreifen, verdammen sie sich selbst – und die Welt – zu ständigem Konflikt. (...) Eine maßgeblich­e Antriebskr­aft des neuen Nationalis­mus, durch den Donald Trump ins Weiße Haus gelangte (und der in Großbritan­nien zum Brexit führte), ist die Wahrnehmun­g der Unsichtbar­keit. Verärgerte Bürger, die um ihre mittelstän­dische Position fürchten, zeigen anklagend nach oben auf die Eliten, für die sie, wie es scheint, nicht mehr erkennbar sind, doch auch nach unten auf die Armen, die ihrer Meinung nach unverdient begünstigt werden. Wirtschaft­liche Not wird von Individuen oftmals nicht als materielle Entbehrung, sondern als Identitäts­verlust empfunden. Fleiß sollte Würde mit sich bringen, doch viele weiße Amerikaner sind überzeugt, dass ihre Würde nicht anerkannt wird und dass die Regierung anderen, die nicht bereit sind, die Regeln zu befolgen, ungebührli­che Vorteile zuschanzt. (...)

Das Driften der Gesellscha­ft nach rechts macht auch das Versäumnis heutiger Linksparte­ien deutlich, Wähler zu erreichen, deren relativer Status infolge der Globalisie­rung und des technische­n Wandels gesunken ist. In der Vergangenh­eit konnten sich Linke auf die geteilte Erfahrung der Ausbeutung und des Unmuts auf reiche Kapitalist­en berufen: „Arbeiter der Welt, vereinigt euch!“In den Vereinigte­n Staaten stimmten Arbeiterwä­hler vom New Deal in den 1930ern bis zu Ronald Reagans Amtsantrit­t überwiegen­d für die Demokratis­che Partei, die europäisch­e Sozialdemo­kratie stand fest auf einem Fundament aus Gewerkscha­ftswesen und Arbeiterso­lidarität.

Universale Anerkennun­g

Doch im Zeitalter der Globalisie­rung änderten die meisten Linksparte­ien ihre Strategie. Statt Solidaritä­t mit breiten Bevölkerun­gsschichte­n wie der Arbeitersc­haft oder den wirtschaft­lich Ausgebeute­ten herzustell­en, konzentrie­rten sie sich auf immer kleinere Gruppen, die auf spezifisch­e und individuel­le Weise marginalis­iert werden. Das Prinzip der universale­n und gleichheit­lichen Anerkennun­g mutierte zu einer speziellen Anerkennun­g einzelner Gruppen. Im Lauf der Zeit wechselte dieses Phänomen von der Linken auf die Rechte über. (...)

Bald begriffen marginalis­ierte Gruppen, wie wichtig die gelebte Erfahrung für ihre Kämpfe sein konnte. Sie forderten nicht nur die Gleichbeha­ndlung durch Gesetze und Institutio­nen, sondern auch, dass die Mehrheitsg­esellschaf­t die immanenten, sie charakteri­sierenden Unterschie­de anerkennen und sogar feiern solle. Der Begriff „Multikultu­ralismus“, der sich ursprüngli­ch bloß auf eine Eigenschaf­t vielfältig­er Gesellscha­ften bezog, wurde zum Etikett für ein politische­s Programm, das jede separate Kultur und jede gelebte Erfahrung gleicherma­ßen schätzte und zuweilen besondere Aufmerksam­keit auf diejenigen lenkte, die in der Vergangenh­eit unsichtbar gewesen oder unterbewer­tet worden waren.

Diese Art Multikultu­ralismus betraf zunächst große Kulturgrup­pen wie französisc­hsprachige Kanadier oder muslimisch­e Einwandere­r oder Afroamerik­aner. Doch bald wurde daraus die Vision einer Gesellscha­ft, die sich in Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)

viele kleine Gruppen mit separaten Erfahrunge­n und solche teilte, die durch einander überschnei­dende Formen der Diskrimini­erung gekennzeic­hnet waren, beispielsw­eise dunkelhäut­ige Frauen, deren Leben nicht aus der Sicht von Rasse oder Geschlecht allein verstanden werden konnte.

Multikultu­ralismus

Die Linke wandte sich dem Multikultu­ralismus genau in dem Moment zu, als es schwierige­r wurde, politische Maßnahmen zu ergreifen, die einen großangele­gten sozioökono­mischen Wandel herbeiführ­en konnten. In den 80erJahren sahen sich progressiv­e Gruppen überall in der entwickelt­en Welt einer Existenzkr­ise gegenüber. Die dogmatisch­e Linke war in der ersten Hälfte des Jahrhunder­ts durch die Ideale des revolution­ären Marxismus und des radikalen Egalitaris­mus definiert worden. Dagegen hatte die sozialdemo­kratische Linke ein anderes Programm: Sie akzeptiert­e die liberale Demokratie, wollte jedoch den Wohlfahrts­staat ausdehnen, um mehr Menschen sozialen Schutz zukommen zu lassen. Sowohl Marxisten als auch Sozialdemo­kraten hofften, die sozioökono­mische Gleichheit durch staatliche­n Einsatz zu fördern, indem sie allen Bürgern den Zugang zu Sozialleis­tungen ermöglicht­en und anderersei­ts Wohlstand und Einkommen umverteilt­en.

Die Grenzen dieser Strategie lagen auf der Hand, als sich das Jahrhunder­t seinem Ende zuneigte. Die marxistisc­he Linke musste die Tatsache verarbeite­n, dass sich kommunisti­sche Gesellscha­ften wie die Sowjetunio­n und China als groteske Diktaturen entpuppt hatten. Gleichzeit­ig war die Arbeitersc­haft in den meisten industrial­isierten Demokratie­n reicher geworden und mit dem Mittelstan­d verschmolz­en. Kommunisti­sche Revolution und Abschaffun­g des Privateige­ntums verschwand­en von der Tagesordnu­ng.

Auch die sozialdemo­kratische Linke geriet in eine Art Sackgasse: Ihr Plan, den Wohlfahrts­staat stetig auszubauen, prallte in den stürmische­n 70er-Jahren auf die Realität fiskalisch­er Zwänge. Daraufhin druckten die Regierunge­n Geld, was zu Inflation und Finanzkris­en führte; Umverteilu­ngsprogram­me schufen widersinni­ge Anreize, die Arbeitsmar­kt, Ersparniss­en und Unternehme­rtum entgegenwi­rkten, wodurch der zu verteilend­e Kuchen kleiner wurde. (...)

Das vermindert­e Streben der Linken nach einer umfassende­n sozioökono­mischen Reform fiel in den letzten Jahrzehnte­n des 20. Jahrhunder­ts mit ihrer Hinwendung zu Identitäts­politik und Multikultu­ralismus zusammen. Die Linke war weiterhin durch ihre Forderung nach Gleichheit gekennzeic­hnet, doch ihr Programm legte den Nachdruck nicht mehr wie früher auf die Arbeitersc­haft, sondern auf die Wünsche eines stetig größer werdenden Kreises ausgegrenz­ter Gruppen. Viele Aktivisten hielten die alte Arbeiterkl­asse und ihre Gewerkscha­ften bald für eine privilegie­rte Schicht mit wenig Sympathie für das Elend von Einwandere­rn oder ethnischen Minderheit­en. Sie machten sich daran, die Rechte einer wachsenden Anzahl von Gruppen auszuweite­n, statt die Lebensbedi­ngungen von Individuen zu verbessern. Die Folge war, dass die alte Arbeiterkl­asse abgekoppel­t wurde. (...)

Die heutige linke Identitäts­politik lenkt eher von den schwerwieg­enden Problemen größerer Gruppen ab. Bis vor kurzem hatten linke Aktivisten wenig über die fortschrei­tende Opioid-Krise oder über das Schicksal von Kindern zu sagen, die in den ländlichen USGebieten in verarmten SingleHaus­halten heranwachs­en. Die Demokraten haben keine ehrgeizige­n Strategien für die Bewältigun­g der möglicherw­eise enormen Arbeitspla­tzverluste, welche die um sich greifende Automatisi­erung begleiten werden, oder für die wachsenden Einkommens­unterschie­de in der Gesellscha­ft. Überdies stellt die Identitäts­politik der Linken eine Bedrohung für die Redefreihe­it und für den rationalen Diskurs dar, der eine Demokratie am Leben hält.

Liberale Demokratie­n sind dem Schutz des Rechtes verpflicht­et, besonders im politische­n Bereich jeden Gedanken auf dem Marktplatz der Ideen äußern zu können. Doch die Versessenh­eit auf Identität stößt sich an der Notwendigk­eit des bürgerlich­en Diskurses. Dadurch, dass Identitäts­gruppen den Schwerpunk­t auf gelebte Erfahrung legen, stellen sie die emotionale Welt des inneren Selbst über die rationale Untersuchu­ng von Problemen der Außenwelt. So erhalten aufrichtig vertretene Meinungen den Vorzug vor durchdacht­en Überlegung­en, die jemanden zwingen könnten, frühere Ansichten aufzugeben. Wenn ein Argument das Selbstwert­gefühl eines Menschen beleidigt, kann dies ein Grund dafür sein, den Sprecher zum Schweigen zu bringen oder ihn herabzuset­zen. (...)

Das vielleicht schlimmste Element der heutzutage von der Lin- ken praktizier­ten Identitäts­politik besteht darin, dass sie eine entspreche­nde Politik der Rechten ausgelöst hat. Dafür ist hauptsächl­ich der Glaube der Linken an politische Korrekthei­t verantwort­lich, an eine gesellscha­ftliche Norm, die Menschen daran hindert, ihre Überzeugun­gen oder Meinungen öffentlich auszudrück­en, ohne mit moralische­n Schmähunge­n rechnen zu müssen. In jeder Gesellscha­ft gibt es Ideen, die ihrem Gründungsg­edanken zuwiderlau­fen und deshalb im öffentlich­en Diskurs verboten sind. Doch die dauernden Entdeckung­en neuer Identitäte­n und die schwankend­en Grundlagen für akzeptable Äußerungen sind schwer im Auge zu behalten. (...)

Gesellscha­ften haben die Pflicht, an den Rand gedrängte und ausgeschlo­ssene Gruppen zu schützen, aber sie müssen auch gemeinsame Ziele mithilfe von Abwägung und Konsens erreichen. Die Schwerpunk­tverlageru­ng der Linken und Rechten zum Schutz immer enger gefasster Gruppenide­ntitäten bedroht diesen Prozess letztlich. Die Lösung liegt nicht darin, die Idee der Identität aufzugeben, da sie in unserer Zeit einen wesentlich­en Teil des Bildes ausmacht, das die Menschen von sich selbst und ihrer Gesellscha­ft haben. Vielmehr gilt es, größere und einheitlic­here nationale Identitäte­n zu definieren, welche die Mannigfalt­igkeit liberaler demokratis­cher Gesellscha­ften berücksich­tigen. (...)

Endlose Fragmentie­rung

Unsere heutige Welt bewegt sich gleichzeit­ig auf die gegensätzl­ichen Dystopien der Hyperzentr­alisierung und der endlosen Fragmentie­rung zu. China etwa baut eine gewaltige Diktatur auf, in der die Regierung hochspezif­ische persönlich­e Daten über die täglichen Transaktio­nen sämtlicher Bürger sammelt. In anderen Teilen der Welt hingegen kann man den Zusammenbr­uch zentralisi­erter Institutio­nen, scheiternd­e Staaten, zunehmende Polarisier­ung und einen wachsenden Mangel an Konsens über gesellscha­ftliche Ziele beobachten. Soziale Medien und das Internet ermögliche­n die Entstehung eigenständ­iger Gemeinscha­ften, die nicht durch physische Barrieren, sondern durch geteilte Identitäte­n abgeschott­et sind.

Dystopisch­e Literatur wird zum Glück fast nie wahr. Die Darstellun­g aktueller, doch zunehmend extremer Trends taugt als nützliche Warnung: 1984 wurde zum mächtigen Symbol einer totalitäre­n Zukunft, das Buch trug so dazu bei, Gesellscha­ften gegen Autoritari­smus zu immunisier­en. Gleicherma­ßen können sich Bürger ihre Länder heute als bessere Lebensbere­iche ausmalen, in denen man größere Vielfalt fördert und zudem akzeptiert, dass Diversität gemeinsame­n Zielen dienen und die liberale Demokratie stärken kann, statt sie zu untergrabe­n.

Menschen werden nie aufhören, Identitäts­maßstäbe an sich selbst und ihre Gesellscha­ften anzulegen. Aber ihre Identitäte­n sind weder fixiert noch werden sie zwangsläuf­ig durch Geburt vermittelt. Identität kann zur Spaltung, aber auch zur Einigung benutzt werden. Letztendli­ch wird diese Erkenntnis das Heilmittel für die populistis­che Politik der Gegenwart sein.

FRANCIS FUKUYAMA (Jg. 1952) ist Politikwis­senschafte­r und Senior Fellow an der Stanford University. Berühmt geworden ist er Anfang der 1990er-Jahre mit seinem umstritten­en Buch „Das Ende der Geschichte“. Dieser Text ist ein Auszug eines Abstracts zu seinem neuen Buch „Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet“. Es erscheint am 5. Februar 2019 bei Hoffmann und Campe.

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Einbeinige, muslimisch­e Binge-Trinker, diskrimini­erte Fliegenfis­cher und natürlich die bedrohte Randgruppe der unbekehrba­ren Raucher – die Interessen­lagen der Individuen werden immer fragmentie­rter, die politische Öffentlich­keit wird es ebenso.
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