„Meine Stücke langweilen mich“
In Linz rekonstruiert Johann Kresnik seine dreißig Jahre alte Inszenierung von „Macbeth“. Ein Gespräch über die Aktualität des Stückes, die Unfähigkeit von Politikern und das Schicksal der Berliner Volksbühne.
Im Jahr 1988 uraufgeführt, gilt Johann Kresniks Inszenierung von Macbeth als Klassiker des Tanztheaters. Für das Landestheater Linz hat der österreichische Choreograf und Regisseur seine Arbeit nun rekonstruiert. Zum Gespräch wird er von der Choreografin Christina Comtesse und der Dramaturgin Katharina John begleitet. Beide verbindet eine langjährige Zusammenarbeit mit Kresnik, sie schalten sich immer wieder mit Ergänzungen in das Gespräch ein.
STANDARD: Als „Macbeth“1988 uraufgeführt wurde, waren die Anklänge an die Barschel-Affäre von 1987 unübersehbar. Was wäre heute die Entsprechung dafür? Kresnik: Die gesamte deutsche Politik. Ich spreche hier nur von Deutschland, über Herrn Trump und Herrn Putin muss man nicht reden. Die gesamte deutsche Politik ist in einer Sackgasse, sie haben keine Ahnung, wie sie aus diesem zugeschnürten Sack wieder herauskommen. Über die Orientierungslosigkeit von Horst Seehofer will ich gar nicht reden. Er will nur seine Position behalten. Darüber kann man ein Stück machen: über diese Orientierungslosigkeit. Meine Ausgangsfrage war: Wie weit geht ein Politiker, bis er am Ende ist? John: Was dieses Stück so aktuell macht, ist ja die Renaissance von autoritären Herrschern und Regimen. Die scheinbare Sehnsucht eines Teiles der Bevölkerung danach, das war natürlich ein Anlass, dieses Stück auf den Spielplan zu nehmen.
STANDARD: Lässt sich eine jahrzehntealte Aufführung denn so ohne weiteres wieder auf die Bühne bringen? Kresnik: Ich hatte ein bisschen Angst, hierherzukommen. Es ist ein sehr junges Ensemble. Meine Gruppe damals war sehr gemischt, es gab alte, junge, große, dicke Leute. Bei mir war die Lady Macbeth über 60, hier ist sie 37. Aber die Gruppe hier ist so gut, es geht alles sehr gut auf. John: Für uns war es tatsächlich eine ganze Menge Arbeit, die Produktion zu rekonstruieren, weil es keine richtige Dokumentation mehr gab. Unsere Choreografin Christina Comtesse musste alles von schlechten Videos aus den 1980er-, 1990er-Jahren abnehmen. Comtesse: Ich habe damals selbst eine der Hexen getanzt, einiges hatte ich noch im Kopf. Ich habe mir Videos von Aufführungen in Heidelberg, Bremen, an der Volksbühne in Berlin angeschaut, aber manche Dinge, etwa die Beleuchtung, haben sich im Laufe der Zeit auch verändert. Ich habe mich hauptsächlich nach der Auffüh- rung an der Volksbühne gerichtet. Aber das Tonband hatte eine sehr schlechte Qualität ... John: Auch die Noten lagen nicht komplett vor. Kurt Schwertsik hat ein Konvolut komponiert, das aber von Johann Kresnik geändert wurde. Ein Korrepetitor, der die Partituren privat gesammelt hatte, hat sie für uns in irgendeinem seiner Archive ausgegraben. Kresnik: Als ich hierherkam, war eigentlich alles schon fertig.
STANDARD: Bis auf die Probenarbeit. Wie erleben Sie die? Kresnik: Man muss natürlich mit den Tänzerinnen und Tänzern arbeiten, weil sie diese Form von choreografischem Theater nicht kennen. Man muss ihnen Hilfestellungen geben, ihnen sagen, was sie für Möglichkeiten haben, sich auszudrücken. Das ist fast dieselbe Arbeit wie am Theater.
STANDARD: Erinnern Sie sich bei den Proben wieder daran, wie Sie das Stück vor 30 Jahren choreografiert haben?
Kresnik: Mir fällt gar nichts mehr ein, ich dachte mir nur: Was ist das für ein großartiger Regisseur? (lacht) Natürlich hatte ich das ganze Stück im Kopf, das Bühnenbild, das ich mit Gottfried Helnwein zusammen entwickelt hatte. Aber ich wusste keine Einzelheiten mehr. Ich schaue mir nie Aufzeichnungen meiner Stücke an, meine Stücke langweilen mich. Außerdem fällt mir dann auf: Oh, da hätte ich was anders machen sollen ...
STANDARD: Denken Sie sich nicht auch hier, Sie hätten Dinge anders machen sollen? Wieso eine Wiederaufnahme statt einer neuen Arbeit? Kresnik: Viele Theater wollen auch andere Wiederaufnahmen von mir. Aber ich bin hierhergekom- men, weil hier Menschen arbeiten, die ich kenne und schätze. Und das Stück hat immer noch etwas zu sagen. Ich meine, Entschuldigung, wenn man sich die Politiker auf der ganzen Welt anschaut, die haben sehr viel mit Macbeth gemeinsam.
Standard: Wird die Aufführung in Linz nun also eine originalgetreue Kopie der Uraufführung in Heidelberg? Kresnik: Die Menschen auf der Bühne sind heute ja andere. Insofern ist es eine neue Arbeit, weil ich auf diese neuen Tänzerinnen und Tänzer eingehen muss und versuchen muss, ihnen die ursprüngliche Idee zu vermitteln. Und es gibt eine neue Szene. Damals konnte ich das nicht wissen, aber hier in Linz gibt es einen sehr guten Tänzer. Für ihn möchte ich gerne etwas machen, das inhaltlich stimmig ist und ihm gleichzeitig die Möglichkeit gibt, seine außerordentlichen technischen Fähigkeiten zu zeigen. Es ist eine Art Vision Macbeths, eine Vorwegnahme des Schicksals Banquos.
STANDARD: Sie selbst werden gerne als „Berserker“und „Enfant terrible“bezeichnet, nervt Sie das? Kresnik: Die Journalisten haben das aus mir gemacht. Ich kann nur sagen: Ich habe in meinem ganzen Leben nie Probleme auf der Bühne gehabt, weder mussten Premieren verschoben werden, weil ich nicht fertig geworden bin, noch gab es Probleme mit der Technik, nirgendwo. Aber noch heute, wenn ich an ein Theater komme, heißt es: Um Gottes willen, Kresnik kommt! Comtesse und John: Stimmt!
STANDARD: Sie haben auch lange mit einem anderen „Berserker“zu- sammengearbeitet, nämlich an der Berliner Volksbühne mit Frank Castorf. Wie sagen Sie zum Schicksal der Volksbühne? Kresnik: Ich habe schon seit Jahren gesagt, dass die Volksbühne für Berlin wie ein Abszess ist, ein Überbleibsel aus der ehemaligen DDR. Das wollten die schon vor zehn, 15 Jahren weghaben, jetzt haben sie es geschafft. Sie werden die Volksbühne wahrscheinlich zu einem Gastspieltheater umfunktionieren. Weil es den Politikern nicht passte, dass da ein bisschen DDR übrig geblieben ist. Die DDR war ein Scheißstaat, 17 Millionen Menschen einzusperren ist scheiße. Nur: Alles, was die DDR gemacht hat, war nicht schlecht. Aber als die Wende kam, haben die Westpolitiker alles vernichten wollen.
Standard: Sie haben viel über die deutsche Politik geredet, wie geht es Ihnen als gebürtigem Kärntner mit der österreichischen Politik? Kresnik: Strache ist schlimmer, als es Haider war. Wieso dieser Smoking-Typ, wie heißt er noch mal, Kunz oder Kurz, mit ihm zusammenarbeitet, ist für mich ein Rätsel. Das gesamte Denken in Europa fängt so langsam an, sich nach rechts zu bewegen. Das ist auch ein Versäumnis der Linken!
JOHANN KRESNIK (Jg. 1939) ist Tänzer, Choreograf und Theaterregisseur. Er gilt als Pionier des modernen choreografischen Theaters und wurde mit seinen Arbeiten mehrmals zum Berliner Theatertreffen eingeladen.