Überleben im Krautfass
Schauspieldirektor Stephan Suschke startet seine dritte Spielzeit in Linz. Der Spielplan ist ein Spagat zwischen Volksnähe und Anspruch. Er selbst inszeniert unter anderem Lars von Triers „Dogville“.
Seit zwei Spielzeiten ist Stephan Suschke nun Schauspieldirektor am Landestheater in Linz. „Die braucht man, um zu wissen, wo man ist, wie die Leute reagieren, was die Schwerpunkte sind. Und dann kann man im Prinzip erst darauf reagieren.“
Das tut er nun mit dem Spielplan für die dritte Saison in Form eines Spagats „zwischen einem Theater für die Leute und dem, was uns politisch, gesellschaftlich und ästhetisch interessiert.“Da ist auf der einen Seite die heurige Eröffnungsproduktion Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des
Herrn de Sade, Peter Weiss’ 1964 uraufgeführtes Drama, das sich eher avancierteren politischphilosophischen Fragestellungen widmet. Und auf der anderen Seite Produktionen wie Der Brandner
Kaspar und das ewig’ Leben, ein „kräftiges Volkstheater“. „Das sind thematisch und auch ästhetisch die Pfosten, zwischen denen wir uns bewegen. Und es sind Zugänge, die einander nicht ausschließen. Ich langweile mich ungern im Theater, man kann ja auch komplexere Themen unterhaltsam und spannend abhandeln“, sagt Suschke.
Ein eher klassisches Volksstück ist Ödön von Horváths Kasimir und Karoline,
während das Dokumentartheaterprojekt Mythos
VOEST, das im Februar uraufgeführt wird, sich Land und Leuten direkter annähert: Es widmet sich in Form einer musikalischen Revue dem größten Arbeitgeber des Landes Oberösterreich. „Die Industrialisierung durch die Voest war ein ganz wesentliches Moment sowohl für die Entwicklung von Linz als auch Oberösterreich. Das hat auch etwas mit den Leuten hier zu tun.“
Noch näher an die Leute heran geht das Landestheater mit der Aufführung von Karl Schönherrs
Der Weibsteufel: Es wird in Wirtshäusern in ganz Oberösterreich gezeigt. „Einer unserer Schauspieler hat erzählt, dass in seinem Heimatort ganz viele Leute noch nie im Theater waren“, sagt Suschke. „Das ist unser Versuch, an ein anderes Publikum ranzukommen. Aber auch für die Schauspieler ist das eine ganz wichtige soziale Erfahrung, wenn sie aus dem geschützten Theaterraum rauskommen.“Auf einem ähnlichen Prinzip basiert das Format Literatur in den Häusern, hier lesen Ensemb- lemitglieder in Privathäusern literarische Texte. „Wir wollen ran an die Leute, die Möglichkeit zum Dialog schaffen.“
Suschke selbst inszeniert in dieser Spielzeit unter anderem Lars von Triers Dogville, die Geschichte einer Fremden, die auf eine kleine, verschlossene Dorfgemeinschaft trifft. „Spannend finde ich, wie eine freundliche, intakt scheinende Gesellschaft auf ‚ das Fremde‘ reagiert, wie diese im Verlauf immer gewalttätiger, totalitärer wird. Das, was von draußen kommt, wird erst mal umarmt und dann allmählich erledigt. Als wäre diese Geschichte erst vor kurzem geschrieben worden.“Neben Klassikern wie Kleists
Amphitryon, Oscar Wildes Ernst ist das Leben (Bunbury), Bertolt
Brechts Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui und weniger bekannten Stücken wie Gerhart Hauptmanns Einsame Menschen findet sich auf dem Spielplan auch Zeitgenössisches wie Daniel Kehlmanns Heilig Abend und Roland Schimmelpfennigs Idomeneus.
Im Jänner zeigt das Haus mit Martin Plattners rand:ständig eine weitere Uraufführung. In fast Beckett’scher Weise haben da drei Menschen in einem Krautfass, einer Kühltruhe und einem Ofenloch eine Lawine überlebt und warten, sich gegenseitig angrantelnd, auf Rettung. Der 1975 geborene Plattner schrieb das Stück im Rahmen des Thomas-BernhardStipendiums des Landestheaters Linz. „Das ist ein sehr eigensinniger Autor, mit einem liebevoll-distanzierten Blick auf seine Figuren. Und es sind tatsächlich Figuren, was ja immer seltener wird ...“, so Suschke. „Gesten der Vergeblichkeit in einer Landschaft der Kälte“, fasst er das Stück zusammen. Leider muss man dabei sofort an unsere Gegenwart denken.