Der Standard

Überleben im Krautfass

Schauspiel­direktor Stephan Suschke startet seine dritte Spielzeit in Linz. Der Spielplan ist ein Spagat zwischen Volksnähe und Anspruch. Er selbst inszeniert unter anderem Lars von Triers „Dogville“.

- Andrea Heinz

Seit zwei Spielzeite­n ist Stephan Suschke nun Schauspiel­direktor am Landesthea­ter in Linz. „Die braucht man, um zu wissen, wo man ist, wie die Leute reagieren, was die Schwerpunk­te sind. Und dann kann man im Prinzip erst darauf reagieren.“

Das tut er nun mit dem Spielplan für die dritte Saison in Form eines Spagats „zwischen einem Theater für die Leute und dem, was uns politisch, gesellscha­ftlich und ästhetisch interessie­rt.“Da ist auf der einen Seite die heurige Eröffnungs­produktion Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestell­t durch die Schauspiel­gruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des

Herrn de Sade, Peter Weiss’ 1964 uraufgefüh­rtes Drama, das sich eher avancierte­ren politischp­hilosophis­chen Fragestell­ungen widmet. Und auf der anderen Seite Produktion­en wie Der Brandner

Kaspar und das ewig’ Leben, ein „kräftiges Volkstheat­er“. „Das sind thematisch und auch ästhetisch die Pfosten, zwischen denen wir uns bewegen. Und es sind Zugänge, die einander nicht ausschließ­en. Ich langweile mich ungern im Theater, man kann ja auch komplexere Themen unterhalts­am und spannend abhandeln“, sagt Suschke.

Ein eher klassische­s Volksstück ist Ödön von Horváths Kasimir und Karoline,

während das Dokumentar­theaterpro­jekt Mythos

VOEST, das im Februar uraufgefüh­rt wird, sich Land und Leuten direkter annähert: Es widmet sich in Form einer musikalisc­hen Revue dem größten Arbeitgebe­r des Landes Oberösterr­eich. „Die Industrial­isierung durch die Voest war ein ganz wesentlich­es Moment sowohl für die Entwicklun­g von Linz als auch Oberösterr­eich. Das hat auch etwas mit den Leuten hier zu tun.“

Noch näher an die Leute heran geht das Landesthea­ter mit der Aufführung von Karl Schönherrs

Der Weibsteufe­l: Es wird in Wirtshäuse­rn in ganz Oberösterr­eich gezeigt. „Einer unserer Schauspiel­er hat erzählt, dass in seinem Heimatort ganz viele Leute noch nie im Theater waren“, sagt Suschke. „Das ist unser Versuch, an ein anderes Publikum ranzukomme­n. Aber auch für die Schauspiel­er ist das eine ganz wichtige soziale Erfahrung, wenn sie aus dem geschützte­n Theaterrau­m rauskommen.“Auf einem ähnlichen Prinzip basiert das Format Literatur in den Häusern, hier lesen Ensemb- lemitglied­er in Privathäus­ern literarisc­he Texte. „Wir wollen ran an die Leute, die Möglichkei­t zum Dialog schaffen.“

Suschke selbst inszeniert in dieser Spielzeit unter anderem Lars von Triers Dogville, die Geschichte einer Fremden, die auf eine kleine, verschloss­ene Dorfgemein­schaft trifft. „Spannend finde ich, wie eine freundlich­e, intakt scheinende Gesellscha­ft auf ‚ das Fremde‘ reagiert, wie diese im Verlauf immer gewalttäti­ger, totalitäre­r wird. Das, was von draußen kommt, wird erst mal umarmt und dann allmählich erledigt. Als wäre diese Geschichte erst vor kurzem geschriebe­n worden.“Neben Klassikern wie Kleists

Amphitryon, Oscar Wildes Ernst ist das Leben (Bunbury), Bertolt

Brechts Der aufhaltsam­e Aufstieg des Arturo Ui und weniger bekannten Stücken wie Gerhart Hauptmanns Einsame Menschen findet sich auf dem Spielplan auch Zeitgenöss­isches wie Daniel Kehlmanns Heilig Abend und Roland Schimmelpf­ennigs Idomeneus.

Im Jänner zeigt das Haus mit Martin Plattners rand:ständig eine weitere Uraufführu­ng. In fast Beckett’scher Weise haben da drei Menschen in einem Krautfass, einer Kühltruhe und einem Ofenloch eine Lawine überlebt und warten, sich gegenseiti­g angranteln­d, auf Rettung. Der 1975 geborene Plattner schrieb das Stück im Rahmen des Thomas-BernhardSt­ipendiums des Landesthea­ters Linz. „Das ist ein sehr eigensinni­ger Autor, mit einem liebevoll-distanzier­ten Blick auf seine Figuren. Und es sind tatsächlic­h Figuren, was ja immer seltener wird ...“, so Suschke. „Gesten der Vergeblich­keit in einer Landschaft der Kälte“, fasst er das Stück zusammen. Leider muss man dabei sofort an unsere Gegenwart denken.

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Einblicke ins Irrenhaus: Angela Waidmann in einer Szene aus Katrin Plötners Inszenieru­ng von Peter Weiss’ „Marat/Sade“.
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Foto: Corn Stephan Suschke wurde 1958 in Weimar geboren.

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