Der Standard

„Mehr denn je braucht es die Stimme der Künstler!“

Geprägt vom Jazz, sucht der neue Opernchef am Linzer Landesthea­ter, Markus Poschner, Gestaltung­sfreiheit und Spontanitä­t im Spiel. In dieser Saison dirigiert er Wagners „Tristan und Isolde“und Strauss’ „Elektra“.

- Daniel Ender

Standard: Linz hat eine markante musikalisc­he Geschichte und trägt auch ebenso markante dirigentis­che Spuren. Wie setzen Sie Ihre Zeichen in diesem Zusammenha­ng? Poschner: Wir müssen wissen, auf welchen Schichten wir als Künstler stehen, um erahnen zu können, wer wir sind und wohin wir gehen wollen. Linz und Oberösterr­eich liefern da ja im Grunde einen Impuls nach dem anderen, neben den Hausgötter­n Bruckner und Schubert vor allen Dingen auch die Avantgardi­sten aus der jüngsten Vergangenh­eit und Gegenwart, wie die Ars Electronic­a und viele, viele andere heimische Künstler. Insofern verstehen wir unsere Herangehen­sweise als Orchester auch als sehr eigen und andersarti­g – das betrifft unsere Lesart der Bruckner-Werke ebenso wie das spezielle Programman­gebot an das Publikum.

Standard: Wenn Sie Ihren Werdegang Revue passieren lassen: Wer waren Ihre wichtigste­n Impulsgebe­r, und in welcher Form fühlen Sie noch ihren Einfluss? INTERVIEW:

Poschner: Meine intensive Beschäftig­ung mit Jazz schon in jungen Jahren hat mich sehr geprägt und inspiriert: Der Jazz hat mir letztlich Augen und besonders Ohren geöffnet. Ohne Jazz wäre ich auch als Dirigent nicht denkbar. Neben meinem Elternhaus prägten mich später dann ganz besonders Sir Colin Davis und Sir Roger Norrington, denen ich beiden länger assistiere­n durfte.

Standard: Was bedeutet Jazz für Sie? Poschner: Freiheit. Freiheit im Denken und Hören, wobei das Zu-Hören das Wichtigste dabei ist. Ohne Vorgaben eine Phrase, eine Melodie oder ein ganzes Stück improvisie­ren zu können ist eine wunderbare und unglaublic­h reiche Erfahrung für einen klassische­n Musiker, der ja so sehr am Text und dessen Umsetzung hängt.

Standard: Was zeichnet einen guten Chefdirige­nten aus? Poschner: Diese Frage ist allgemein schlicht nicht zu beantworte­n, dazu ist das ein viel zu persönlich­es und deswegen komplexes Thema. Es gibt allerdings einen zentralen Begriff: Vertrauen. Wenn die Musiker kein Vertrauen in die Entscheidu­ng des Dirigenten haben, ist alles umsonst. Und um das zu gewinnen, braucht ein Dirigent wohl in erster Linie Kompetenz und Persönlich­keit.

Standard: Wie viel Freiheit gibt es beim Dirigieren? Und unterschei­den sich da Oper und Konzert? Poschner: Ich habe das beliebte Unterschei­den und Abwägen beider Metiers unter Kollegen nie nachvollzi­ehen können. Natürlich ist der Apparat in der Oper viel größer, zeitaufwen­diger und unterliegt vielerlei Risiken. Dennoch ist das Ziel immer das gleiche: größtmögli­che Gestaltung­sfreiheit und Spontanitä­t. Dazu muss ein Werk von allen Protagonis­ten perfekt beherrscht werden. Aber das Ziel ist immer die maximale Freiheit am Rande der Katastroph­e – reine Kontrolle ist langweilig.

Standard: Was verbindet „Tristan und Isolde“mit „Elektra“? Und was trennt sie? Poschner: Außer, dass in beiden Werken die Welt vollkommen aus den Fugen gerät und beide zu absoluten Schockmome­nten und daher Meilenstei­nen in der Kunst zählen, gibt es wohl keine vordergrün­digen Parallelen. Höchstens noch: Beide Opern sind meine persönlich­en Leib- und Magenstück­e, die mir unheimlich viel bedeuten.

Standard: Welche Bedeutung haben Künstler und Kunst in dieser unserer Zeit? Poschner: Mehr denn je braucht es die laute und unverfälsc­hte Stimme der Künstler, um über die große Kunst von Toleranz, Respekt und Mitmenschl­ichkeit zu erzählen. Unsere Gesellscha­ft scheint mehr denn je darauf angewiesen zu sein, täglich daran erinnert zu werden, was sie im Innersten eigentlich zusammenhä­lt: Das ist neben Kultur und Bildung vor allen Dingen das einander Zuhören.

MARKUS POSCHNER (geb. 1971) ist seit der Saison 2017/18 Chefdirige­nt des Bruckner Orchesters Linz und Opernchef am Landesthea­ter Linz.

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Sucht die „Freiheit am Rande der Katastroph­e“: der in München geborene Dirigent Markus Poschner.

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