„Mehr denn je braucht es die Stimme der Künstler!“
Geprägt vom Jazz, sucht der neue Opernchef am Linzer Landestheater, Markus Poschner, Gestaltungsfreiheit und Spontanität im Spiel. In dieser Saison dirigiert er Wagners „Tristan und Isolde“und Strauss’ „Elektra“.
Standard: Linz hat eine markante musikalische Geschichte und trägt auch ebenso markante dirigentische Spuren. Wie setzen Sie Ihre Zeichen in diesem Zusammenhang? Poschner: Wir müssen wissen, auf welchen Schichten wir als Künstler stehen, um erahnen zu können, wer wir sind und wohin wir gehen wollen. Linz und Oberösterreich liefern da ja im Grunde einen Impuls nach dem anderen, neben den Hausgöttern Bruckner und Schubert vor allen Dingen auch die Avantgardisten aus der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart, wie die Ars Electronica und viele, viele andere heimische Künstler. Insofern verstehen wir unsere Herangehensweise als Orchester auch als sehr eigen und andersartig – das betrifft unsere Lesart der Bruckner-Werke ebenso wie das spezielle Programmangebot an das Publikum.
Standard: Wenn Sie Ihren Werdegang Revue passieren lassen: Wer waren Ihre wichtigsten Impulsgeber, und in welcher Form fühlen Sie noch ihren Einfluss? INTERVIEW:
Poschner: Meine intensive Beschäftigung mit Jazz schon in jungen Jahren hat mich sehr geprägt und inspiriert: Der Jazz hat mir letztlich Augen und besonders Ohren geöffnet. Ohne Jazz wäre ich auch als Dirigent nicht denkbar. Neben meinem Elternhaus prägten mich später dann ganz besonders Sir Colin Davis und Sir Roger Norrington, denen ich beiden länger assistieren durfte.
Standard: Was bedeutet Jazz für Sie? Poschner: Freiheit. Freiheit im Denken und Hören, wobei das Zu-Hören das Wichtigste dabei ist. Ohne Vorgaben eine Phrase, eine Melodie oder ein ganzes Stück improvisieren zu können ist eine wunderbare und unglaublich reiche Erfahrung für einen klassischen Musiker, der ja so sehr am Text und dessen Umsetzung hängt.
Standard: Was zeichnet einen guten Chefdirigenten aus? Poschner: Diese Frage ist allgemein schlicht nicht zu beantworten, dazu ist das ein viel zu persönliches und deswegen komplexes Thema. Es gibt allerdings einen zentralen Begriff: Vertrauen. Wenn die Musiker kein Vertrauen in die Entscheidung des Dirigenten haben, ist alles umsonst. Und um das zu gewinnen, braucht ein Dirigent wohl in erster Linie Kompetenz und Persönlichkeit.
Standard: Wie viel Freiheit gibt es beim Dirigieren? Und unterscheiden sich da Oper und Konzert? Poschner: Ich habe das beliebte Unterscheiden und Abwägen beider Metiers unter Kollegen nie nachvollziehen können. Natürlich ist der Apparat in der Oper viel größer, zeitaufwendiger und unterliegt vielerlei Risiken. Dennoch ist das Ziel immer das gleiche: größtmögliche Gestaltungsfreiheit und Spontanität. Dazu muss ein Werk von allen Protagonisten perfekt beherrscht werden. Aber das Ziel ist immer die maximale Freiheit am Rande der Katastrophe – reine Kontrolle ist langweilig.
Standard: Was verbindet „Tristan und Isolde“mit „Elektra“? Und was trennt sie? Poschner: Außer, dass in beiden Werken die Welt vollkommen aus den Fugen gerät und beide zu absoluten Schockmomenten und daher Meilensteinen in der Kunst zählen, gibt es wohl keine vordergründigen Parallelen. Höchstens noch: Beide Opern sind meine persönlichen Leib- und Magenstücke, die mir unheimlich viel bedeuten.
Standard: Welche Bedeutung haben Künstler und Kunst in dieser unserer Zeit? Poschner: Mehr denn je braucht es die laute und unverfälschte Stimme der Künstler, um über die große Kunst von Toleranz, Respekt und Mitmenschlichkeit zu erzählen. Unsere Gesellschaft scheint mehr denn je darauf angewiesen zu sein, täglich daran erinnert zu werden, was sie im Innersten eigentlich zusammenhält: Das ist neben Kultur und Bildung vor allen Dingen das einander Zuhören.
MARKUS POSCHNER (geb. 1971) ist seit der Saison 2017/18 Chefdirigent des Bruckner Orchesters Linz und Opernchef am Landestheater Linz.