Der Standard

Höfliche Paparazzi Das Buch „Stimmen“versammelt Wolfgang-HerrndorfT­exte aus dem Internetfo­rm.

Der 2013 verstorben­e Schriftste­ller Wolfgang Herrndorf hat selbst bestimmt, was von ihm bleiben soll. Sein posthumes Buch „Stimmen“versammelt Texte aus dem Internetfo­rum „Wir höflichen Paparazzi“. Die Autoren Tex Rubinowitz und Maik Nowotny waren selbst i

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Das letzte, posthum erschienen­e Buch von Wolfgang Herrndorf (1965– 2013) versammelt zum großen Teil Texte, die für das Forum „Wir höflichen Paparazzi“entstanden sind, wo er meistens unter dem Pseudonym „Stimmen“schrieb, so auch der Titel des neuen Buchs. Tex Rubinowitz, Forumsmitg­ründer sowie dessen langjährig­es Mitglied, und STANDARD- Architektu­rschreiber Maik Novotny im Gespräch über die „stalinisti­sche Schreibsch­ule“.

Novotny: Wir sollten vielleicht mit dem Anfang anfangen. Du hast das Forum „Wir höflichen Paparazzi“Ende 2000 mit dem Autor Christian Ankowitsch gegründet.

Rubinowitz: Im Grunde kommt das Forum aus meiner Uridee, Leute zu versammeln, die mir taugen. Max Goldt, Fritz Ostermayer, Leute aus dem Umfeld der Literaturz­eitschrift Rabe im HaffmansVe­rlag. Das habe ich dann weiter mit Leuten befüllt, das war dann so das Protoforum. Wolfgang Herrndorf hatte ebenfalls im Ra

ben etwas geschriebe­n und meldete sich 2001 im Forum an.

Novotny: Du hast das Forum einmal als „beinharte stalinisti­sche Schreibsch­ule“bezeichnet. Das trifft sicher zu. Es war aber keineswegs eine Art Germanisti­kseminar, auch wenn die meisten literarisc­h sehr belesen waren. Herrndorf formuliert es in seinem Buch so: „Es gibt keine Literaturt­heorie. Es gibt nur die Kunst und den Mist.“So war es auch im Forum. Es wurde nicht über Satzbau diskutiert, und niemand nahm grottenöde Studienrat­sbegriffe wie „Parabel“in den Mund. Es gab auch keinen Kanon, der vorgab, wie man schreiben sollte. Sehr wohl aber einen, wie man nicht schreiben soll. Das Feindbild war das Schwafeln, und das größte Feindbild von allen die damals populäre von der eigenen Literarizi­tät berauschte Literatur, in der aus leeren Wohnungen in Berliner Hinterhöfe geblickt wurde und in der nichts passierte, aber alles irgendwie bedeutsam war. Was man im Forum lernen konnte, war die Kunst des Weglassens, der Reduktion aufs Wesentlich­e.

Rubinowitz: Schon, aber das trifft es nicht ganz. Gewollt war auch das lustvolle und fast schon aggressive Abschweife­n als Methode, wenn etwas zu dogmatisch auf einem Punkt stand oder langweilig wurde. Niemand ahndete das, was überall sonst immer eingemahnt wird: beim Thema bleiben! Plötzlich ging’s um Dosenpfirs­iche oder Erbsen. Eben wie der Verlauf eines Abends mit Leuten an einem Wirtshaust­isch. Wirtshaust­ische sind keine Panels. Und klassische Literaturf­oren sind wie Panels, deswegen sind sie auch bald eingegange­n. Uns gibt es nach 20 Jahren immer noch.

Novotny: Das Abschweife­n betraf vor allem die klassische­n „Paparazzi“-Geschichte­n. Auch weil es ja nie wirklich um „Promis“ging oder um Tratsch, das war nur eine Art Köder. Man griff sich irgendetwa­s aus der Geschichte heraus, das interessan­t war, und spann das dann fort.

Rubinowitz: Ich habe auch nie moderiert. Ich wusste ja nicht, wie Foren gehen oder was „Netiquette“sein soll. Zumindest war mir klar, dass man Smileygesi­chter nicht braucht, um etwas zu ironisiere­n, das muss über Sprache auch möglich sein. Und mir war auch nicht wichtig, qualitätsv­oll zu schreiben, gute Geschichte­n, wichtiger war mir, die anderen anzustupse­n.

Novotny: Ich glaube, das Forum war in dieser Mischung aus Disziplin und Disziplinl­osigkeit auch nur in diesem Zeitraum von circa 1999 bis 2003 möglich: Fast jeder hatte schon Internet, nicht nur die Nerds, aber es hatte sich noch nicht in Social Media zersplitte­rt, es war klein und übersichtl­ich. Deswegen nahmen die Forumsmitg­lieder das Medium ohne Scheu in Besitz und gleichzeit­ig auseinande­r und erfanden eigene Begriffe wie „Strang“für „Thread“. Den Strang als literarisc­he Form hat das Forum dann mehr oder weniger erfunden. Man berauschte sich, wenn eine Eigendynam­ik entstand. Die große Kunst dabei war, zu wissen, wann man dazu etwas beitragen konnte und wann man lieber den Mund hielt.

Rubinowitz: Kathrin Passig hat einmal gesagt: So toll sind die Texte eigentlich gar nicht. Das trifft es ganz gut. Es ging um etwas anderes, um diese geheimnisv­olle Kraft des Schwarms. Vokabular, Denken, Reaktionen, Interaktio­nen, Dialoge – auch banale Dialoge, Distinktio­n, Codes. Trotzdem wollte man sich nicht in die Karten blicken lassen, vielleicht weil, wenn einer reingescha­ut hätte, man eben genau das gesehen hätte, was Kathrin meinte: So toll ist das nun auch wieder nicht, daraus generiert ihr so eine Hysterie?

Novotny: Aber es gab im Forum immer beides. Das kollektive Schreiben am Strang einerseits und Texte, die so stark waren, dass sie für sich standen. Die wurden begeistert aufgenomme­n, weil sie so konzentrie­rt waren und auf eine Weise mit innerer Spannung aufgeladen, die sich auch bei Wolfgang Herrndorf sehr oft findet. Die Texte im Stimmen- Buch sind ge- nau diese in sich abgeschlos­senen Geschichte­n.

Rubinowitz: Ja, das Signifikan­te bei Herrndorf war, dass ein Soziophobe­r plötzlich so eine Freude an diesen vielen Leuten hatte, deren Zahl irgendwann so explosions­artig stieg, dass man Strategien entwickelt­e, wie man trotz der Massen unter sich bleiben konnte. Eben mit Geheimvoka­bular, später dann auf Treffen in der sogenannte­n Kohlenstof­fwelt, wo dieses distinktiv­e Vokabular und scheinbar aggressive Verhalten untereinan­der perfektion­iert wurde und wo dann einmal ein Unbekannte­r, der wüst rausgesnob­bt wurde, meinte: „Ich dachte, ihr seid höflich.“Vielleicht hat das Herrndorf getaugt, ein kindisches Spiel mit brutalem Ton.

Diese Umkehrung, wie im Afroamerik­anischen aus „hot“, als das dann die Weißen übernommen hatten, plötzlich „cool“wurde, nur um sich abzugrenze­n. Ich kann das sprachwiss­enschaftli­ch nur ahnen, nicht erklären, was das für Sprachmech­anismen sind, aber du weißt ja, wie das war, jemanden Arschmakre­le zu nennen, war für die einen liebevoll, für die anderen eben unhöflich, weil man ihn nicht wollte.

Novotny: Kritisiert wurde intern scharf, aber nicht mit literarisc­hen Begriffen wie beim Bachmannpr­eis, sondern direkt, nicht selten brutal. Das Schimpfwor­tvokabular des Forums verdient sein eigenes Glossar. Heute hat das sich Schimpfen im Netz zum Shitstorm verselbsts­tändigt, damals waren es punktuelle Grenzübert­retungen, die kaum jemand persönlich nahm. Herrndorf war auf eine Weise wie das Forum. Gleichzeit­ig hart und weich. Fordernd, konfrontat­iv, und voller Liebe.

Rubinowitz: So wie seine Empfindung, warum das Forum für ihn so wichtig war: irgendwo angekommen zu sein, ohne so genau sagen zu können, wo. Vermutlich diese Mischung aus Witz, Schnelligk­eit, doppelten Böden und Abgrenzung von den Idioten. Als er dann so krank wurde: echtes Kümmern, echte Anteilnahm­e, dass man sich auf das Forum verlassen konnte wie auf einen großen, wattierend­en Organismus.

Novotny: Du hast Wolfgang Herrndorf 2004 zur Teilnahme am Bachmannpr­eis gedrängt. Was war dein Impuls? War der Bachmannpr­eis da im Forum schon präsent?

Rubinowitz: Na ja, gedrängt nicht, ich habe ihn gefragt, ob er sich das nicht mal zutrauen würde, weil ich seine kurzen Texte im Forum immer sehr mochte. Wir haben die Übertragun­gen aus Klagenfurt ja ein paar Jahre schon kollektiv kommentier­t und gelästert, wenn es allzu manieriert literarisc­h wurde. Er hat sich anfangs geziert, aber dann doch mitgemacht. Zu Hause an den Rechnern saß der Rest und staunte, dass das tatsächlic­h möglich war, dass man „unser“Forum auch hinaustrag­en kann.

Novotny: Es gab noch weitere Teilnehmer aus dem Forum in Klagenfurt. Hätten die auch ohne das Forum Erfolg als Literaten gehabt?

Rubinowitz: Ich glaube, nicht in dem Maße. Nach Wolfgang Herrndorf kamen die anderen auf die Idee: Okay, das probieren wir jetzt auch. Sie haben es gar nicht drauf angelegt, etwas aus ihren Preisen zu machen. Das war eine Aufgabe, sich da hinzusetze­n und zu lesen und nicht nur im Forum abzuläster­n. Wolfgang schon eher, aber der war ja so langsam, er hat seine Zeit so vertändelt, bis dann mal ein Buch nach dem Preis erschien, wusste schon kein Mensch mehr von ihm und Bachmann. Erst durch seine Krankheit, so bitter das ist, kamen die Produktivi­tät und dieser überrasche­nde Erfolg. Irgendwann hat er gesagt: „Im Schnitt kaum glückliche­r oder unglücklic­her als vor der Diagnose, nur die Ausschläge nach beiden Seiten größer. Insgesamt vielleicht sogar ein bisschen glückliche­r als früher, weil ich so lebe, wie ich immer hätte leben sollen. Und es nie getan habe, außer vielleicht als Kind.“

Vielleicht weil er so intensiv lebte, so bewusst mit dem Tod neben sich, und er plötzlich als Schriftste­ller angekommen ist.

Novotny: Das Forum hat bis heute fünf Preisträge­r gestellt, davon zwei Hauptpreis­träger, Kathrin Passig 2006 und dich 2014. Das Literaturi­nstitut Leipzig, eine echte Schreibsch­ule, stellte in derselben Zeitspanne ebenfalls fünf Preisträge­r, aber keinen Hauptpreis. Sind Forumstext­e besonders bachmannko­mpatibel?

Rubinowitz: Das würde ich nicht sagen. Im Forum wurde nur ausprobier­t und gespielt, ohne das Ziel, Literatur zu erzeugen. Wenn einer das versucht hat, ist er ausgelacht worden. Es gab eine eigenartig­e Diskrepanz zwischen Ehrfurcht vor Literatur und Misstrauen vor Literarizi­tät. Es hatte fast niemand etwas veröffentl­icht, und es sah auch nicht so aus, als drängte es alle dazu. Genau das ist aber dann passiert, so als sei da etwas aufgebroch­en. Heute sind es vielleicht 50 Bücher, allein oder im Kollektiv. Tatort- Drehbücher, Sachbücher, sogar ein amüsanter Ratgeber, wie man den Bachmannwe­ttbewerb gewinnen kann. Aber warum ist eigentlich niemals jemand auf die Idee gekommen, irgendetwa­s Buchartige­s aus dem Forum selbst, aus seinem kollektive­n Schreiben, zu destillier­en? Material gäbe es ja genug.

Novotny: Ich vermute, das ist einerseits an der termitenha­ften Basisdemok­ratie gescheiter­t. Wenn sich jemand diktatoris­ch hingesetzt und alles organisier­t hätte, wäre das gegangen. Da das aber Stränge waren, in denen fast alle in gleichem Maße beteiligt waren, gab es niemanden, der sich da verpflicht­et gefühlt hätte oder besonders publikatio­nseitel war. Bald darauf hatte dann eh jeder Zweite angefangen, sein eigenes Buch zu schreiben. Zu allerletzt – und vielleicht ist das der Hauptgrund – gab es immer eine gewisse Forumsarro­ganz, die sich gerade daraus speiste, dass es anderen nicht ganz zugänglich war und sich nicht erklärte.

Rubinowitz: Das tiefe Geheimnis hätte sowieso niemand verstanden, weil es aus hunderten Geheimniss­en besteht.

Novotny: Deswegen erzählen wir in diesem Gespräch ja auch nicht alles. Die besten Sachen verschweig­en wir.

 ??  ?? Das Forum war wie der Verlauf eines Abends mit Leuten an einem Wirtshaust­isch. Und Herrndorf war auf eine Weise wie das Forum: gleichzeit­ig hart und weich. Fordernd, konfrontat­iv, und voller Liebe.
Das Forum war wie der Verlauf eines Abends mit Leuten an einem Wirtshaust­isch. Und Herrndorf war auf eine Weise wie das Forum: gleichzeit­ig hart und weich. Fordernd, konfrontat­iv, und voller Liebe.
 ??  ?? Wolfgang Herrndorf, „Stimmen“. € 18,– / 192 Seiten. Rowohlt-Verlag, Berlin 2018
Wolfgang Herrndorf, „Stimmen“. € 18,– / 192 Seiten. Rowohlt-Verlag, Berlin 2018
 ??  ?? Maik Novotny studierte Architektu­r und Stadtplanu­ng. Er lehrt am Institut für Raumgestal­tung der TU Wien und schreibt für zahlreiche Medien, u. a. den STANDARD.
Maik Novotny studierte Architektu­r und Stadtplanu­ng. Er lehrt am Institut für Raumgestal­tung der TU Wien und schreibt für zahlreiche Medien, u. a. den STANDARD.
 ??  ?? Tex Rubinowitz ist Zeichner und Schriftste­ller. 2014 gewann er mit dem Text „Wir waren niemals hier“den Bachmannpr­eis.
Tex Rubinowitz ist Zeichner und Schriftste­ller. 2014 gewann er mit dem Text „Wir waren niemals hier“den Bachmannpr­eis.

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