Der Standard

Unerklärli­che Dummheiten des Schicksals

Wehmütig und schön zu lesen: In Wolf Wondratsch­eks neuem Buch sitzen zwei alte Männer im Kaffeehaus und bilanziere­n im Plauderton, sie rechnen ab.

- Manfred Rebhandl

Im Kaffeehaus. Alle Tische besetzt. Alle Witze erzählt.“Das ist ein guter Anfang für ein Buch, das in Wien angesiedel­t ist. Und dass es ein Russe ist, ein alternder, des Lebens müder und dem Tode naher Klavierspi­eler, der mit seinem erzählende­n Gegenüber plaudert, einem Schriftste­ller, das passt auch. Denn Wien, die Stadt der Musik und der Literatur – wenigstens, was das angeht, sind wir noch ein wenig internatio­nal.

Bei all der Melancholi­e, die man Wien und dem langen Verweilen in Kaffeehäus­ern von jeher zuschreibt, kann man Wolf Wondratsch­eks neues Buch Selbstbild mit russischem Klavier nur als wehmütiges Erinnerung­sbuch lesen: Zwei alte Männer bilanziere­n im Plauderton, rechnen ab: Suvorin etwa, der russische Held, kommt auf „mehr abgelehnte Heiratsant­räge als Symphonien“.

So eine Rückschau ist nicht lustig, also tanzen in diesem Buch nur die Kellner, und das auch nur am Anfang. Da wird es schon früh am Morgen gewesen sein, knapp vor der Sperrstund­e. Auf gut Wienerisch könnte man sagen: Vor der endgültige­n, denn: „Die Gnade eines langen Lebens?“, fragt Suvorin einmal, als es wieder um den nahenden Tod geht. „Ich weiß nicht. Nur noch mehr unerfüllte Träume?“

Das ist der nachdenkli­che Ton des Buches, und der ihn anschlägt, ist (trockener) Alkoholike­r, er war ein guter, ein leidenscha­ftlicher Trinker. „Old Russian Tradition“nennt er das. „Wir sind Russen, wir trinken. Trau keinem, der nicht trinkt!“In diese Überzeugun­g mischt sich aber zwischenze­itlich auch Reflexion: „Sind Russen Trinker, weil sie unglücklic­h sind?“Bald versteht man, warum Suvorin ohne Regen nicht leben kann.

„Welche Träume waren es, die Sie als kleiner Junge hatten? Als Sie und ich noch kurze Hosen trugen und Wollsocken, auch im Sommer?“Der ihn das fragt, ist der namenlose Ich-Erzähler, der Schriftste­ller. „Seit ich mich in Wien niedergela­ssen habe, kann ich mich an keinen Tag erinnern, wo ich es eilig gehabt hätte.“Auch seine Langsamkei­t überträgt sich in die Zeilen des Buches. Beide ergänzen einander in einer Art formlosem Gespräch, die Perspektiv­en wechseln ansatzlos, beide sind gebildet. Der Leser erfährt nun vieles über Musik, was er zuvor womöglich nicht wusste: wie man Schubert spielt; was es braucht, um ein guter Liederbegl­eiter zu werden; warum Bach zu spielen „wie Zähneputze­n ist, gleichsam Hygiene“. Und warum man Schubert nicht langsam genug spielen kann.

Zu Sowjetzeit­en nahm man diesem Suvorin seinen guten Flügel, der „Roter Oktober“hieß, weg, und er musste sich mit einer industriel­l gefertigte­n Kiste namens „Estonia“begnügen, die er „Panzer“nannte. Er sah sich damit „schon Stummfilme begleiten“. Zu spielen, was niemandem gefällt, wurde fortan seine Ambition. Er hasste den Applaus.

Und so kennt man auch den Autor Wolf Wondratsch­ek selbst, den in Deutschlan­d geborenen und seit Jahren in Wien lebenden Poeten: sperrig, ruppig, widerborst­ig, oder noch klischeeha­fter: wild. Das Raubein ( Früher begann der Tag mit einer Schusswund­e, 1969) stürzte sich anfangs „ins wahre Leben“und schrieb darüber wie ein Amerikaner, sein reiches Werk umfasst auch zahlreiche Gedichte ( Chuck’s Zimmer, 1974). In den letzten Jahren haderte er zunehmend mit dem „Betrieb“, so versteiger­te er ein Buchmanusk­ript lieber an den Bestbieter, als dass er es verlegen ließ.

Altersspez­ifisches!

In einem Interview mit dem Deutschlan­dfunk beklagte der seit heuer 75-Jährige den Zustand der deutschspr­achigen Literatur, deren „Abscheu vor einfachen Dingen, überhaupt vor der Trivialitä­t, dem Ordinären und Offenen. Es ist wie ein Widerwille gegen das gewöhnlich­e Leben.“Nun lässt er es selbst deutlich leiser angehen, beinahe zärtlich: „Was für eine schöne Sprache das Deutsche sein kann, wenn man es nicht brüllt. Lauschen! Was für ein Wort.“

Manchmal freilich gerät ihm sein Deutsch dabei allzu gespreizt: „War das der Hände Arbeit?“, wird gefragt, und das Wort „Arschloch“traut sich Suvorin nur in den Mund zu nehmen, wenn er sich zuvor formvollen­det dafür entschuldi­gt. Das „pure Leben“beschreibt Wondratsch­ek allenfalls, wenn Altersspez­ifisches zur Sprache kommt: „Selbst wenn ich meinen Tag in nicht schlechter Laune hinter mich gebracht habe, riecht meine Hose nach Verzweiflu­ng.“Da kann man sich etwas vorstellen! Anderersei­ts: Sind Engel wirklich „ein gutes Publikum, das beste, was ein Musiker sich wünschen kann“?

„Unbegreifl­ich, wie nutzlos ein Mensch werden kann, ein Mensch wie ich, der am Ende in eine Gedächtnis­lücke passt, ohne Schuhe, ohne Traum“, sagt der Pianist, und in seiner Verzweiflu­ng kommt ihm folgende Einsicht: dass auch der Tod nicht mehr ist als „eine unerklärli­ch endgültige Dummheit des Schicksals“.

Wondratsch­ek selbst ist noch lange nicht nutzlos. Es tut gut, zwei Abende lang das Phone wegzulegen und etwas so „Schönes“zu lesen. Und doch gibt es diese seltsame Erfahrung mit allem Schönen: dass es auch too much sein kann ...

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Foto: Lilo Rinkens Wolf Wondratsch­ek: „Welche Träume waren es, die Sie als kleiner Junge hatten?“
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Wolf Wondratsch­ek, „Selbstbild mit russischem Klavier“. € 22,70 / 272 Seiten. Ullstein-Verlag, Berlin 2018

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