Der Standard

Nicht auf jeder Straße Vollgas fahren

Beschleuni­gung ist das Phänomen der Zeit. Aber was treibt sie an? Und was kann man tun, um nicht daran kaputtzuge­hen? Das war Thema beim Jahreskong­ress der Projektman­ager.

- Lisa Breit

Schneller, immer schneller: Unser Leben und Arbeiten beschleuni­gt sich zunehmend. Die meisten kennen wohl das Gefühl, ständig gehetzt zu sein wie das weiße Kaninchen in Alice im Wunderland. Aber was treibt die Beschleuni­gung an? Und kann es gelingen, mit ihr umzugehen? Das war Thema beim diesjährig­en pma focus 2018, dem 15. Jahreskong­ress der Projektman­ager. Die Keynote hielt der Neurobiolo­ge Bernd Hufnagl. Er beschäftig­t sich seit seinem Studium mit gehirngere­chtem Arbeiten.

Kurzfristi­g, sagt Hufnagl, könne die Beschleuni­gung eine durchaus positive Wirkung haben: Sie macht effizient. Langfristi­g aber schade sie. Der Grund: Das Gehirn kann nicht ständig Hochleistu­ngen bringen. Wer dem Kopf keine Pause gönnt, kann sich irgendwann nicht mehr konzentrie­ren. Die Aufmerksam­keitsfähig­keit nimmt ab, Zeitungsar­tikel werden nur noch überflogen, in Gesprächen dem Gegenüber nicht richtig zugehört. Folgeersch­einung ist, dass der Inhalt nicht gemerkt wird, quasi ein Filmriss im nüchternen Zustand. Die Beschleuni­gung macht ungeduldig und oberflächl­ich, sagt Hufnagl. Wir können Wichtiges nicht mehr von Unwichtige­m unterschei­den. Fatal sind auch die gesundheit­lichen Folgen bis hin zum Burnout.

Eine endlose To-do-Liste

Aber warum machen wir bei etwas mit, das uns schadet? Die Beschleuni­gung sei ein Mittel, alles zu schaffen, möglichst viele Optionen miteinzube­ziehen, sagt Hufnagl. „Wir leben in einer Multioptio­nsgesellsc­haft.“Bei jeder Entscheidu­ng gibt es einige Wahlmöglic­hkeiten. Die Schwierigk­eit: „Wenn wir uns für eines entscheide­n, schließen wir gleichzeit­ig vieles andere aus.“

Zum Beispiel beim Kauf eines Fernsehers: Man recherchie­rt im Internet die Vorteile der unterschie­dlichen Modelle, lässt sich im Shop beraten, entscheide­t sich schließlic­h – „und in der Sekunde, in der man das Gerät daheim ansteckt, herrscht im Hirn Großalarm“. Wäre das andere Modell nicht doch besser gewesen?

„Wir glauben immer, dass alles falsch ist“, sagt Hufnagl. Der fal- sche Fernseher, das falsche Hotel „oder sogar das falsche Schatzi“. Der Vortragend­e berichtet von einem jungen Paar, das auf der Suche nach einem Restaurant durch Paris spaziert. Anstatt sich umzusehen, lesen die jungen Leute im Netz Bewertunge­n durch. Indem sie möglichst alles abwiegen, alles miteinbezi­ehen, glauben Menschen, bessere Entscheidu­ngen zu treffen. Ein Trugschlus­s, denn in Wirklichke­it erzeugt das noch mehr Stress.

Die gute Nachricht: Es gibt Auswege. Einer heißt Gelassenhe­it. „Gehen Sie vom Gas“, empfiehlt Hufnagl. Ständig nur durchs Leben zu rasen, mache nicht nur ungeduldig, oberflächl­ich, unkonzentr­iert und krank, sondern auch unzufriede­n. „Manche glauben, dass sie erst glücklich sein können, wenn das letzte To-do abgehakt ist.“Das werde aber nie passieren, prognostiz­iert der Forscher, denn wenn eine Aufgabe erledigt ist, tauche eine neue auf – das Leben ist eine endlose To-doListe. Fertig werden ist gar nicht möglich und könne daher auch nicht das Ziel sein.

Zudem seien Erfolge in einer digitalisi­erten Welt, in der Ursache und Wirkung entkoppelt seien, nur schwerer feststellb­ar. „Menschen, die in der Excel-Tabelle leben, sehen nur Zahlen. Sie gehen nach Hause und sind erschöpft, sehen aber keinen Wert.“Anders als etwa beim Handwerken, wo das Ergebnis sofort erkennbar ist. Nur wenn man zeitnah sehen kann, wofür man sich anstrengt, produziere das Hirn das Belohnungs­hormon Dopamin.

Pilot, nicht nur Passagier

Die logische Konsequenz ist, den Fokus anstatt auf Erfolge auf Fortschrit­te zu legen. Hufnagl rät seinen Zuhörerinn­en und Zuhörern: „Behalten Sie Klarheit darüber, was Sie wirklich leisten. Notieren Sie es sich.“An einem Arbeitstag voller Meetings hat manch einer vielleicht das Gefühl, nicht produktiv gewesen zu sein. „Sie haben aber etwas getan“, sagt Hufnagl. „Das Hirn sagt: Es war anstrengen­d.“Und dafür solle man sich selbst auch Respekt zollen. Sonst könne es nämlich passieren, dass man die besten Dinge nicht mehr schätzen kann. Die Wirklichke­it wird verzerrt, das Negative tritt in den Vordergrun­d.

Und da ist Hufnagl schon bei der „Jammerkult­ur“. Sie gelte es zu beseitigen, sagt der Forscher. Durch Jammern gehe nämlich die sogenannte Selbstwirk­samkeit verloren. Man schiebt die Schuld anderen zu und glaubt nicht daran, dass man selbst über seine Zukunft bestimmen kann. „Sie sind aber dafür verantwort­lich, wie es Ihnen geht. Resigniere­n Sie nicht. Sie sind Pilot, nicht Passagier in Ihrem Leben.“Und als Pilot kann man auch die Geschwindi­gkeit bestimmen.

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Immer zu wenig Zeit? Es gibt auch Alternativ­en zum gehetzten Leben auf allen Ebenen und 24/7. Das Zauberwort: Selbstvera­ntwortung.
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Beim pma focus im Austria Center Vienna: Brigitte Schaden, pma-Vorstandsv­orsitzende, und der diesjährig­e Keynote-Speaker, Neurobiolo­ge Bernd Hufnagl.

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