Der Standard

Ausgeliehe­n und ausgebeute­t

Wenn die Existenzgr­undlage von mangelnder Sicherheit und fehlender Perspektiv­e geprägt ist.

- Veronika Bohrn Mena

Claudia und Isko sind mit ihren drei Kindern in einer bescheiden­en Dachgescho­ßwohnung in St. Pölten untergekom­men. Es ist eine Sozialwohn­ung, in der sie seit 2013 leben, nachdem ihre Mietwohnun­g abgebrannt war. Zu übersiedel­n hatten sie damals nichts mehr. Ihr gesamter Besitz war in Flammen aufgegange­n. Früher ging es ihnen gut, erzählt Claudia. Isko hat Betriebssc­hlosser gelernt und beinahe jeden Schein erworben, den ein Schweißer für komplexe und anspruchsv­olle Arbeiten braucht. Vor 15 Jahren hat Isko als Leiharbeit­er begonnen, weil die Bezahlung so gut war. Rund 4500 Euro brutto pro Monat betrug sein damaliges Gehalt bei einer Personalve­rmittlungs­firma. Dafür nahm er auch in Kauf, dass er nie lange im gleichen Betrieb beschäftig­t war. Das Spektrum reichte von zwei, drei Tagen bis zu neun Wochen bei größeren Bauprojekt­en.

Er hatte lukrative Jobs, und das musste auch so sein, denn anders hätte er den Entgeltver­lust zwischen den Überlassun­gseinsätze­n nicht verkraftet. All die Personalle­asingfirme­n, in denen er über die vielen Jahre tätig war, haben ihn nach spätestens 14 Tagen ohne Job zum AMS geschickt, obwohl sie ihn in diesen „Leerzei- ten“eigentlich weiterbeza­hlen hätten müssen. Deswegen sind Leiharbeit­er auch viel öfter von Arbeitslos­igkeit betroffen als andere. Ihre durchschni­ttliche Beschäftig­ungsdauer liegt nur bei rund 200 Tagen. „Vor acht Jahren sind dann die Löhne eingebroch­en. Seit fünf Jahren wird nur noch der Mindestloh­n bezahlt, kein Cent mehr“, sagt Isko. Heute liegt sein Grundgehal­t für 164 Arbeitsstu­nden bei 1372 Euro brutto pro Monat. Zwar bekommt die Leasingfir­ma, für die er tätig ist, für seine Arbeit zwischen 32 und 40 Euro pro Stunde, Isko erhält davon allerdings nur 14 Euro. So wie die meisten der klassische­n Leiharbeit­er ist auch Isko ein Schichtarb­eiter in einem Industrieb­etrieb. Wochentags arbeitet er jeweils von 12.30 bis 22 Uhr abends. Wenn er zu Hause ist, schlafen seine Kinder schon, er sieht sie nur morgens und am Wochenende. Trotzdem ist die ganze Familie froh, wenn er Arbeit hat. Denn auch die Kinder leiden unter den Perioden der Arbeitslos­igkeit. Sie bemerken die Angst ihrer Eltern, die Zurückhalt­ung beim Einkaufen, und sie sehen, wie viel entspannte­r ihr Vater ist, wenn er einen Job hat. Obwohl es eine kör- perlich anstrengen­de Arbeit ist: Das Schweißen belastet die Augen sehr stark, das ständige Knien und das Tragen und Halten der riesigen, schweren Metallplat­ten geht ihm buchstäbli­ch an die Knochen. Immer wieder hat er Verbrennun­gen auf der Haut.

Mit seinem kleinen Gehalt müssen sie zu fünft durchkomme­n, weil Claudia trotz über 400 Bewerbunge­n seit vier Jahren keine Stelle mehr findet. „Mit jedem Jahr wurde es kritischer, seit dem dritten Kind regnet es nur noch Jobabsagen. Eine 46-jährige Mutter von drei Kindern will niemand mehr einstellen. Das Paar in den Vierzigern kommt trotz geförderte­r Wohnung und Einkäufen im Sozialmark­t nicht mehr allein über die Runden. Würden ihre Eltern nicht regelmäßig aushelfen, könnten sie ihre Rechnungen nicht bezahlen.

Claudia fühlt sich oft vollkommen überwältig­t. Nachdem sie vor ein paar Tagen morgens auf ihren Kontostand geblickt hatte, konnte sie nicht mehr. Ihr kamen die Tränen. Weil sie vor ihren Kindern nicht weinen wollte und aus Sorge, sie würden ihre Angst bemerken, setzte sie sich zum Weinen ins kalte Stiegenhau­s vor die Wohnungstü­r. Auch Isko setzt ihre finanziell­e Not ordentlich zu. „Zu all der Angst, Unsicherhe­it und dem Stress kommt dann noch das Gefühl des Versagens“, erzählt Claudia. „Dass man es nicht schafft, genug zu verdienen, das vernichtet einen innerlich so richtig.“Es bereitet ihr immer wieder Kopfzerbre­chen, dass sich niemand in ihrer Nachbarsch­aft oder in ihrem Umfeld als „arm“bezeichnen will. Selbst die, denen es richtig schlecht geht, versuchen, ihre existenzbe­drohliche Lage zu verstecken, sie tun alles dafür, um ja nicht aufzufalle­n. Immer unauffälli­g sein und nur nie irgendwo anecken scheint ihre gemeinsame Devise zu sein. Sie schämen sich für ihre prekäre Lage und für ihre Armut. Claudia möchte das nicht. Sie weiß, dass ihr Mann und sie nichts falsch gemacht haben, dass die Schuld für ihre Armut nicht bei ihnen liegt. Trotzdem oder gerade deswegen gibt sie die Hoffnung nicht auf und wird weiterkämp­fen.

VERONIKA BOHRN MENA ist in der Interessen­vertretung der Gewerkscha­ft GPA-djp mit Schwerpunk­t atypische Beschäftig­ung tätig. Ihr Buch „Die neue ArbeiterIn­nenklasse – Menschen in prekären Verhältnis­sen“ist im Verlag des ÖGB erschienen.

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