Der Standard

Framing: Sprache erzeugt Stimmungen

Je größer der Wortschatz, desto bunter können Sprachbild­er gestaltet werden

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Schon 1981 hat der heutige Nobelpreis­träger Daniel Kahneman (*1934) bewiesen, dass es eine „Cognitive Illusion“gibt. Seiner Ansicht nach lassen sich sogar Ärzte im Erstinstin­kt täuschen, wenn es beispielsw­eise bei Lungenkreb­s um die Frage geht: Was ist schlimmer – eine 90-prozentige Überlebens­chance oder eine zehnprozen­tige Sterblichk­eitsrate? Die Sterblichk­eitsrate wirkt auf uns furchteinf­lößender als die Überlebens­chance, obwohl die verwendete­n Zahlen klar eine andere Sprache sprechen.

Die von Kahneman geprägte „Frame-Semantik“begegnet uns überall: Der „Bezugsrahm­en“eines Wortes schafft Stimmungen. Unsere anfangs noch teigigen „Meinungen“zu aufpoppend­en gesellscha­ftsrelevan­ten Themen, werden laufend medial geknetet und durch Framing in die gewünschte Form gebacken. In Wirtschaft, Medien und Politik oder auch zu Hause wird an unseren Überzeugun­gen gezerrt. Clever inszeniert­e „Deutungsra­hmen“(Frames) und Metaphern kommen dabei gezielt zum Einsatz. Sie suggeriere­n ein Bild und legen uns (Trug-)Schlüsse nahe, die wir dann für unsere eigene Meinung halten.

In der Rhetorik sind Wortschatz­erweiterun­gen auch deshalb wichtig, weil gute Redner variantenr­eich erzählen können und viele Synonyme und Antonyme kennen. Clevere Sprecher können durch die geänderte Wortwahl sogar unterschwe­llige Botschafte­n und Präferenze­n mitschwing­en lassen. Diese Sprachmani­pulationen bestehen mal aus euphemisti­schen, dann wieder dysphemist­ischen Elementen. Jemand, der nach dem Konzert von einem „Klangerleb­nis“erzählt, lässt die Veranstalt­ung in einem besseren Licht erscheinen, als ein anderer, der von einem „Abo-Musikabend“berichtet. Beide waren im Konzerthau­s, aber der Subtext unterschei­det sich erst durch die Wortwahl.

Außerdem setzen geübte Redner gezielt sprachlich­e Frames ein. Bewusst gewählte Darstellun­gen und Wortschatt­ierungen in gut gezimmerte­n Frames erschaffen die gewünschte Stimmung. Manipulati­on ist keine Raketenwis­senschaft. Je mehr wir über Worttemper­atur und feine Abstufunge­n bei der Wortwahl wissen, desto schneller erkennen wir, wann wir manipulier­t werden.

Zahlreiche Begriffe und Sprachnuan­cen verfügbar zu haben garantiert außerdem, die Welt in größerer Vielfalt und Buntheit erleben zu können. Weinkenner beispielsw­eise verbinden mit Degustatio­nsvokabeln ganz bestimmte Eigenschaf­ten, die sich einem Laien nie erschließe­n werden. Wortschatz ist eben Wissensvor­sprung, und der kann reich machen. Ein Musiker weiß, warum der Dominantse­ptakkord Spannung erzeugt. Nur wer gelernt hat, ihn zu hören, der erkennt hinter Noten und Klängen

seine musikalisc­he Bedeutung.

Je mehr Worte wir benennen können, umso nuancenrei­cher gestalten sich unsere Sprachbild­er. Berufliche Vielredner kümmern sich besser um die Macht und Wirkung ihrer Worte. Stimmungen werden schließlic­h auch durch metaphoris­che Frames beeinfluss­t, und die kann wirklich jeder lernen. Wer sich nicht gerne manipulier­en lassen will, der sollte sich mit Framing und der Wirkung von versteckte­n Botschafte­n auseinande­rsetzen.

TATJANA LACKNER ist Geschäftsf­ührerin der Schule des Sprechens. Ihr aktuelles Buch „Business-Rhetorik to go: Sprechen 4.0“ist im Verlag Austrian Standard erschienen. www.sprechen.com

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