Der Standard

Kritik an Kurz wegen NGO-Aussage

Kanzler setzt Seenotrett­er mit Schleppern gleich

- Kim Son Hoang

Wien – Für Wirbel sorgte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) mit Aussagen über Hilfsorgan­isationen, die im Mittelmeer Flüchtling­e retten. Jene setzte er in einem Interview faktisch mit Schleppern gleich. Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser und der burgenländ­ische Landesrat Hans Peter Doskozil (beide SPÖ) bezeichnet­en dies als „falsch und unangebrac­ht“. Die Neos monierten, dass Kurz damit die Angst der Menschen befeuere. Auch die Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen übte Kritik.

In seiner Bilanz ein Jahr nach der Nationalra­tswahl sah Kurz die „Reiseflugh­öhe erreicht“. Bis zum Jahresende will der Kanzler ein Lösungskon­zept zur Pflege vorlegen, kündigte er in einer Rede am Samstag an. Nach dem zuletzt häufigen Vorwurf, die ÖVP-FPÖ-Regierung agiere mit sozialer Kälte, widmete Kurz einen eigenen Teil seiner Ansprache dem „sozialen Netz“. Die Stärke jeder Gesellscha­ft zeige sich darin, wie man mit den Schwächste­n umgehe. (red)

Im März 2017 hat Sebastian Kurz (ÖVP) die Debatte über private Rettungssc­hiffe für Flüchtling­e im Mittelmeer zumindest in Österreich so richtig in Gang gesetzt. Der damalige Außenminis­ter und heutige Bundeskanz­ler bezeichnet­e die Aktivitäte­n der Seenotrett­er als „NGO-Wahnsinn“, der beendet werden müsse. Denn dieser, so Kurz, führe dazu, dass mehr Flüchtling­e im Mittelmeer sterben würden.

Nun, etwa eineinhalb Jahre später, hat Kurz erneut eine Aussage getätigt, die für Wirbel sorgt. „Es kann doch nicht sein, dass ein paar Nichtregie­rungsorgan­isationen das klare Ziel der 28 Staatsund Regierungs­chefs in Europa konterkari­eren. Und das nicht nur mit dem Ziel, Leben zu retten, sondern gemeinsam mit den Schleppern Menschen nach Mitteleuro­pa zu bringen“, sagte er der Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung. Faktisch setzte Kurz also NGOs mit Schleppern gleich.

In seiner Kritik ging Kurz namentlich auch auf die Aquarius 2 ein, betrieben von Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerran­ée und zeitweise das einzige Rettungssc­hiff im Mittelmeer. „Was nicht passieren darf, ist das, was Schiffe wie die Aquarius 2 ständig versuchen, nämlich in die libysche Seenotrett­ungszone bezie- hungsweise in ihre Nähe zu fahren, um der libyschen Küstenwach­e zuvorzukom­men.“

Die Antwort von Ärzte ohne Grenzen folgte prompt. Man sei bei den Rettungsei­nsätzen an das internatio­nale Recht gebunden und nehme daher keine rechtswidr­igen Handlungen auf See vor, hieß es via Aussendung. In Österreich kritisiert­en Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser und der burgenländ­ische Landesrat Hans Peter Doskozil (beide SPÖ) Kurz’ Aussagen. „Ärzte retten Leben“, so die beiden, Schlepper hingegen seien Kriminelle.

Geht es nach Kurz, fängt die von Europa unterstütz­te libysche Küstenwach­e die Flüchtling­e ab und bringt sie zurück nach Libyen. Die privaten Rettungssc­hiffe würden die Menschen dazu ermuntern, mithilfe von Schleppern den Weg übers Mittelmeer anzutreten.

Streitfrag­e „sicherer Hafen“

Auf der Gegenseite berufen sich die Seenotrett­er auf internatio­nale Gesetze, denen zufolge gerettete Menschen ausschließ­lich in einem „sicheren Hafen“an Land gebracht werden, wo ihnen keine Gefahr drohe. Das sei den NGOs zufolge in Libyen nicht der Fall: Dort herrsche Krieg, den zurückgebr­achten Flüchtling­en drohe Folter. Und was die Rettungsak­tionen an sich betrifft, betont man, dass auf Hoher See die Rettung Schiffbrüc­higer Pflicht sei.

So oder so, in den 18 Monaten zwischen den beiden Aussagen von Sebastian Kurz hat sich in Sachen NGOs im Mittelmeer einiges getan. Den Seenotrett­ern wurde die Arbeit mehr und mehr erschwert. Seit im Juni dieses Jahres die neue italienisc­he Regierung aus der Fünf-Sterne-Protestbew­egung und der rechtsradi­kalen Lega in Amt und Würden ist, kam es zu einer weiteren Verschärfu­ng der Situation.

Dies führte dazu, dass sich die Seenotrett­er der Reihe nach zurückzoge­n. Die Aquarius 2 liegt derzeit in Marseille vor Anker. Sie fuhr bisher unter der Flagge Panamas, doch hat die dortige Regierung die Registrier­ung aufgekündi­gt. Nun wird nach einem neuen Flaggensta­at gesucht.

Mittlerwei­le sind aber wieder andere NGOs aktiv geworden. Ende September machte sich ein Schiff der spanischen NGO Proactiva Open Arms wieder auf den Weg in Richtung libysche Küste. Nur Tage später entsendete­n italienisc­he Hilfsorgan­isationen gemeinsam mit der deutschen NGO Sea Watch ein Beobachtun­gsschiff, um über die „dramatisch­e Lage“der Flüchtling­e zu berichten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria