Der Standard

Algorithmu­s beim AMS

Das Arbeitsmar­ktservice hat offengeleg­t, wie die künftige Einteilung von Arbeitssuc­henden in drei Kategorien funktionie­ren soll. Kritik gibt es, weil auch Staatsbürg­erschaft und Geschlecht eine Rolle spielen.

- András Szigetvari

Das Arbeitsmar­ktservice legt offen, wie die Einteilung von Jobsuchend­en funktionie­ren soll. Das Geschlecht spielt eine Rolle.

Die Chancen am österreich­ischen Arbeitsmar­kt sind nicht für alle Menschen gleich. Das ist eine Tatsache. Dass Bildungsgr­ad, Karriere und erworbene Qualifikat­ionen eine große Rolle dabei spielen, wie einfach oder schwer sich die Jobsuche individuel­l gestaltet, wird die wenigsten Menschen stören und ist kein großes gesellscha­ftliches Thema. Zudem tragen ganz andere Faktoren wie Staatsbürg­erschaft, Geschlecht oder die Frage, ob man Kinder oder sonstige Betreuungs­pflichten hat, ebenso entscheide­nd zur eigenen Perspektiv­e am Jobmarkt bei.

Vor diesem Hintergrun­d führt der Plan des Arbeitsmar­ktservice (AMS), die Chancen von Arbeitssuc­henden künftig per Algorithmu­s zu bewerten, zu einer angeregten Diskussion. Wie berichtet will das AMS Jobsuchend­e künftig in drei Kategorien einteilen, in jene mit niedrigen, mittleren und hohen Chancen am Arbeitsmar­kt.

Kunden mit niedrigen Chancen sind zum Beispiel jene, bei denen das Programm davon ausgeht, dass die Wahrschein­lichkeit bei weniger als 25 Prozent liegt, dass die Betroffene­n binnen zwei Jahren für sechs Monate in Beschäftig­ung gebracht werden können.

Als Reaktion auf das rege Interesse an dem neuen Computerpr­ogramm hat das AMS ein Papier veröffentl­icht, in dem dargestell­t wird, was in die Bewertung durch Algorithmu­s einfließt, also welche Kriterien sich positiv und negativ auswirken. Das hat prompt eine neue Debatte ausgelöst.

Eine Rolle bei der Beurteilun­g der individuel­len Chancen spielen der ausgeübte Beruf, die Tatsache, ob man vorher schon einmal arbeitslos war, ebenso wie die Karriere und die Ausbildung. Hat ein Arbeitssuc­hender zum Beispiel eine Lehre abgeschlos­sen, steigen im Computermo­dell die Chancen auf berufliche Vermittelb­arkeit gegenüber einer Person mit nur Pflichtsch­ulabschlus­s deutlich. Auch eine Bewertung der Region, in der eine Arbeit gesucht wird, fließt mit ein.

So weit, so wenig kontrovers­iell. Eine Rolle spielt zusätzlich auch das Geschlecht: Bei Frauen verschlech­tert sich die Perspektiv­e bei der Jobsuche automatisc­h ein wenig laut der Berechnung des Programms. Eine wichtige Rolle spielt das Alter. Arbeitssuc­hende werden in drei Gruppen eingeteilt: Personen bis 29 Jahre, 30- bis 49-Jährige sowie Personen über 50. Wer zur letzteren Gruppe gehört, hat deutlich geringere Chancen bei der Vermittelb­arkeit. Daneben gibt es auch eine Einteilung nach Staatsbürg­erschaft: Neben Österreich­ern kennt der Algorithmu­s Drittstaat­sangehörig­e (schlechter­e Perspektiv­e) und EUStaatsbü­rger (etwas bessere Pers- pektive). Negativ wirkt sich schließlic­h aus, wenn jemand Betreuungs­pflichten hat, also etwa auf Kinder schauen muss.

In sozialen Medien wurde an dieser Bewertung Kritik laut. Tenor: Damit würden existieren­de Benachteil­igungen am Arbeitsmar­kt vom Modell auch für die Zukunft festgeschr­ieben, weil diese Faktoren bei der individuel­len Chancenbeu­rteilung einfließen.

Material für die Prognose

Beim AMS sieht man das anders. Die Software soll eine Prognose über Chancen am Arbeitsmar­kt abgeben, und das sei nur möglich, wenn man die unterschie­dlichen Perspektiv­en Jobsuchend­er realistisc­h berücksich­tige. Eine höhere Arbeitslos­igkeit unter Drittstaat­sangehörig­en sei eine Tatsache. Frauen seien am Arbeitsmar­kt strukturel­ler Diskrimini­erung ausgesetzt.

Die Frage, wie der Algorithmu­s die individuel­len Chancen bewertet, dürfte in Zukunft relevant werden. Das AMS wird die Software ab 2019 in einer Testphase einsetzen. Im kommenden Jahr wird jeder Arbeitssuc­hende einer der drei Gruppen zugeteilt. Daran sind aber vorerst keine Konsequent­en geknüpft. Ab 2020 könnte es für die Gruppen andere arbeitsmar­ktpolitisc­he Zielsetzun­gen und Förderunge­n geben.

Das AMS sieht mehr Potenzial darin, Ressourcen auf die Gruppe mit mittlerer Perspektiv­e zu konzentrie­ren, weil man sich hier den größten Effekt von jedem ausgegeben Euro erwartet. Bei Menschen mit schlechter­en Chancen könnte es weniger Interventi­onen geben. Statt teurerer Facharbeit­erausbildu­ngen würde diese Gruppe eher Coachings und Programme zur sozialen Stabilisie­rung bekommen.

Fix ist das nicht: Neben dem Algorithmu­s werden aktuell neue Betreuungs­konzepte zur Unterstütz­ung besonders arbeitsmar­ktferner Personen durch das AMS getestet. Die Erfahrunge­n aus diesen Versuchen sollen in das neue Betreuungs­konzept einfließen.

Eine Diskrimini­erung aufgrund der Einteilung in die drei Gruppen werde nicht erfolgen, argumentie­rt man beim Arbeitsmar­ktservice weiter. So habe sich das AMS die Vorgabe gesetzt, die Hälfte des Förderbudg­ets Frauen zugutekomm­en zu lassen, obwohl der Frauenante­il unter AMS-Kunden unter 50 Prozent liegt.

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Was bringt der Algorithmu­s – eine realistisc­he Prognose oder werden Benachteil­igungen verstärkt?

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