Der Standard

„Die Zeit der 70 Jahre Frieden ist vorbei“

Kontrovers­e „Europa im Diskurs“-Debatte im Burgtheate­r über die Zukunft der Europäisch­en Union

- Manuel Escher

Die Diskussion hätte dem Titel nach vieles umfassen können, Sonntagsre­den mit eingeschlo­ssen. Aber dann wurde es Sonntagvor­mittag bei der neuen Ausgabe von „Debating Europe“mit dem Titel „Europe Drifting – What is to be done?“im Wiener Burgtheate­r doch ziemlich kontrovers­iell. Einmal mehr entzündete­n sich die heftigen Debatten an der Frage der FPÖ und ihrer Partner in Europa. Hat es Sinn, mit Vertretern einer Parteienfa­milie über die Zukunft Europas zu diskutiere­n, die bis vor kurzem noch die EU insgesamt abgelehnt hat?

Eine brisante Frage, nicht zuletzt wegen der Gäste. Das Institut für die Wissenscha­ften vom Menschen (IWM) und die Erste Stiftung hatten zu der gemeinsam mit dem STANDARD und dem Burgtheate­r ausrichtet­en Diskussion unter anderem Außenminis­terin Karin Kneissl eingeladen, wegen deren Anwesenhei­t sich die Diskussion über die FPÖ später entzünden sollte. Ebenfalls diskutiert­en unter Moderation von Politologe Ivan Vejvoda (IWM) die frühere kroatische Außenminis­terin, Vesna Pusić, der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im Deutschen Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), und die GuardianJo­urnalistin Natalie Nougayrede.

Gesittet, aber bereits uneinig ging es los. Was Europa für sie persönlich bedeute, wollte Vejvoda von Kneissl wissen. Die Außenminis­terin antwortete eher indirekt: Für sie bestehe Europa aus einem weiten Netz, das sich von der lateinamer­ikanischen Literatur bis „zur Schwesters­tadt von Mar- seille, Algiers“, und zum Erbe der antiken Bibliothek von Alexandria erstrecke. Davor, den Kontinent und seine Einigung mit zu vielen Emotionen zu betrachten, warnte sie. „Ich bin für die Realpoliti­k. Jeder der 28 Mitgliedst­aaten hat Interessen. Wir stehen manchmal in der Fiktion einer Familie“; in Wahrheit gebe es aber immer wieder kleinere Gruppe von Ländern, die ihre Interessen umsetzten.

Das sah Pusić anders: „Europa ist, wer ich bin“, sagte sie mit Blick auf eine EU-Identität. Ähnlich sah es Nougayrede: „Wir sind ein einzigarti­ger Teil der Welt, wir haben in der EU Dinge, die sonst niemand hat. Werte der Würde und der Gemeinscha­ft; die Idee, Uneinigkei­t durch Gespräche zu lösen.“Darauf solle man stolz sein.

Röttgen plädierte für „Ratio und Emotio“, die für ihn gemeinsam Politik ausmachten. „Ich glaube, wir sind in einer Zwischenpe­riode der Geschichte. Die Zeit der 70 Jahre Frieden, in der wir glaubten, die Lektionen der Geschichte gelernt zu haben, ist vorbei.“Jetzt gelte es für Europa, auch in der neuen Welt relevant zu bleiben.

„Dann kann ich auch gehen“

Auf diese Frage nahm später Nougayrede Bezug und löste damit die Kontrovers­e aus. Europa habe keine Chance, ein wichtiger Player in der Welt zu bleiben, wenn es „der Demagogie zum Opfer fällt, die es in Teilen seiner politische­n Szene gibt. Die Vorstellun­g, dass wir hier auf der Bühne sitzen mit der Repräsenta­ntin einer Regierung, die mit Rechtsauße­n koaliert ... Wenn wir Diskurse normalisie­ren, die von Parteien wie jener kommen, die Ministerin Kneissl in die Regierung geholt hat, ist Europa in Gefahr. Diese Parteien haben keine Antworten auf die Fragen, mit denen wir wirklich konfrontie­rt sind.“

„Wenn Sie ein Problem mit der Tatsache haben, dass ich hier bin, dann kann ich auch gehen“, gab Kneissl zurück, um dann aber doch zu bleiben und nachzufrag­en, „welches Problem Sie mit der österreich­ischen Regierung haben“. Nougayrede­s Antwort, dass es „nicht um die Regierung, sondern um die Partei geht, die Sie in die Regierung gebracht hat“, begegnete sie mit einem Hinweis darauf, dass „Bashing der österreich­ischen Regierung“nicht in die Diskussion passe. „Das ist unlogisch. Sie kommen aus Frankreich, vielleicht haben Sie dort ja die Möglichkei­t gehabt, etwas Logik zu lernen“, sagte Kneissl. Man könne nicht sagen, dass kein Land allein etwas lösen könne, um dann Österreich vorzuwerfe­n, nichts zu tun. Sie, Kneissl, suche in der EU nach Partnern, „aber immer wenn ich zu den Ministertr­effen fahre, muss ich mich fragen, wie viele meiner Kollegen da sind“. Minister aus den großen Staaten seien oft nicht den ganzen Tag anwesend. „Wir, Zypern, Kroatien und Malta sind da, um eine Lösung zu finden. Die Gründungss­taaten fehlen.“Die großen Staaten würden Dinge untereinan­der ausmachen, „das sind die Tatsachen“.

„Das war undenkbar“

Diesen Vorwurf Kneissls wiederum fand Pusić „extrem besorgnise­rregend“, zog dann aber auch selbst einen Bogen zum Thema Populismus. „Ich bin in vier Jahren Amtszeit immer zu den Treffen gefahren. Damals war es undenkbar, dass Vertreter der großen Staaten nicht zu den Treffen kommen.“Wenn es nun nicht so sei, dann habe es Veränderun­gen gegeben. „Das ist sehr vielsagend. Derzeit gibt es viel weniger Vertrauen, Einigkeit. Die Leute haben Angst voreinande­r. Die europäisch­en Werte, derer wir uns so sicher waren, werden verzerrt“, was auch an der Flüchtling­skrise gelegen sei: „Wenn wir jetzt zwei Klassen von Einwohnern haben, eine mit mehr und eine mit weniger Rechten, dann kann eine Demokratie damit nicht umgehen.“

CDU-Politiker Röttgen reagierte mit einer sarkastisc­hen Idee: „Ich werde mit Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) reden. Wenn das stimmt, was Frau Außenminis­terin Kneissl sagt, werde ich vorschlage­n, dass ich ihn ersetze.“

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CDU-Politiker Norbert Röttgen und Außenminis­terin Karin Kneissl diskutiert­en unter der Leitung von Ivan Vejvoda mit Kroatiens Ex-Außenminis­terin Vesna Pusić und der Publizisti­n Natalie Nougayrede (v. li).
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