Der Standard

„Kreuz im Klassenzim­mer schwer zu rechtferti­gen“

Rechtsphil­osoph Stefan Hammer erklärt, warum das Kreuz, ein Ethikunter­richt nur für Religionsa­bmelder und ein Verbot, das nur das muslimisch­e Kopftuch betreffen würde, juristisch problemati­sch sind.

- INTERVIEW: Lisa Nimmervoll

Das Thema Religion taucht in der Politik immer wieder auf. Besonders oft im Zusammenha­ng mit Integratio­nsfragen, aber auch in der Bildungspo­litik. Stichwörte­r: Kreuz, Kopftuch, Ethikunter­richt. Zugleich wächst die Gruppe der Konfession­sfreien bzw. Nichtgläub­igen am stärksten. Die Vortragsre­ihe „Fachdidakt­ik kontrovers“, in Kooperatio­n von Philosoph Konrad Paul Liessmann und dem STANDARD organisier­t, widmet sich daher der Frage „Wie viel Gott braucht die Schule? Über das Verhältnis von Religion und Bildung“. Zum Auftakt spricht Rechtsphil­osoph Stefan Hammer am Mittwoch, 17. Okt., (17 Uhr, NIG, Hörsaal 3D, Universitä­tsstraße 7) zum Thema „Schulunter­richt nur über oder auch in Religion: Was verhilft zur gebildeten Selbstbest­immung?“.

Standard: Der Titel der Vortragsre­ihe lautet: „Wie viel Gott braucht die Schule?“Ich adaptiere die Frage für den Juristen: Wie viel Gott darf denn in die Schule in einem an sich säkularen Staat hinein? Hammer: Säkularer Staat heißt ja nicht laizistisc­her Staat. Ein säkularer Staat grenzt Religion nicht aus, sondern lässt sie grundsätzl­ich im öffentlich­en Raum, und damit auch in der Schule, zu – aus dem Verständni­s heraus, dass auch Religionen etwas zum säkularen politische­n Diskurs beitragen können. Nur muss das auf einer religiös und weltanscha­ulich neutralen Basis geschehen.

Standard: Wir haben ja quasi eine Konkurrenz­situation: Welcher Gott darf in die Schule, oder müssen, wenn einer darf, alle Götter hineindürf­en? Wo sind da die juristisch­en Grenzen gezogen? Hammer: Derzeit ist Religionsu­nterricht vorgesehen für alle gesetzlich anerkannte­n Kirchen und Religionsg­esellschaf­ten, nicht jedoch für Bekenntnis­gemeinscha­ften oder andere religiöse Richtungen. Ob diese Rechtslage heute noch angemessen ist, ist sehr fraglich, weil zwar theoretisc­h die Möglichkei­t besteht, dass eine religiöse Richtung auch einen öffentlich-rechtliche­n Status und die damit verbundene­n Rechte erlangen kann, nur sind die Bedingunge­n so prohibitiv, dass kaum mehr neue dazukommen können.

Standard: Ketzerisch­e Frage: Ist Österreich überhaupt ein säkularer Staat? Wenn Säkularisi­erung die Trennung von Religion und Staat meint, wie geht das zusammen mit dem Konkordat, das der katholisch­en Kirche sehr weitgehend­e Rechte einräumt: Staatlich finanziert­en Religionsu­nterricht, Finanzieru­ng der Personalko­sten für konfession­elle Privatschu­len, die Curricula für den Religionsu­nterricht müssen dem Ministeriu­m nur vorgelegt werden, dieses hat aber kein Genehmigun­gsrecht etc.? Hammer: Trennung darf man nicht so kategorial verstehen. Säkularitä­t bedeutet religiöse Neutralitä­t. Die muss institutio­nell garantiert sein. Aber Trennung heißt nicht Laizismus, wo man sagt, die öffentlich­e Sphäre muss religionsf­rei sein. Ich glaube, das ist auch berechtigt. Wichtig ist nur, dass es keine Privilegie­rungen gibt. Das wäre ein Rückfall in Staats- kirchenver­hältnisse. Die Bevorzugun­g genießt ja nicht nur die katholisch­e Kirche, sondern alle gesetzlich Anerkannte­n sind prinzipiel­l gleichgest­ellt.

Standard: Das heißt, alle Rechte, die die katholisch­e Kirche durch das Konkordat gesichert hat, stehen automatisc­h auch allen anderen anerkannte­n Kirchen zu? Hammer: Ja. Österreich ist zwar gegenüber der katholisch­en Kirche völkerrech­tlich gebunden und müsste verhandeln, wenn es etwas ändern will. Das, was herauskomm­t, muss dann aber über das Gleichbeha­ndlungspri­nzip auch allen anderen zugestande­n werden, obwohl sie keine eigene völkerrech­tliche Position haben. Die Privilegie­rungsprobl­ematik besteht eher in der Bevorzugun­g der ganzen Gruppe der gesetzlich anerkannte­n Religionsg­emeinschaf­ten gegenüber allen nichtanerk­annten, weil der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte verlangt, dass jede Gruppe die gleiche faire Chance haben muss, den privilegie­rten Status zu erlangen, und davon kann man in Österreich nicht sprechen.

Standard: Welchen Status haben denn da Konfession­sfreie, Nichtrelig­iöse und Atheisten? Da sie nicht organisier­t sind, gar keinen? Hammer: Sie gelten nicht als Religion, sie können sich nur in privaten Vereinen organisier­en.

Standard: Wir sprechen in Österreich von einem Konzept „inklusiver Neutralitä­t“zwischen Kirchen/n und Staat. Was heißt das? Hammer: Inklusiv heißt, dass der säkulare demokratis­che Staat religiös-weltanscha­uliche Positionen nicht ausgrenzt, sondern sie hereinnimm­t, vor allem wo Fragen mit ethischen Implikatio­nen verhandelt werden, weil man im Sinne des Philosophe­n Jürgen Habermas nicht riskieren will, dass bestimmte Sinnangebo­te von vornherein ausgeschlo­ssen werden.

Säkularitä­t bedeutet religiöse Neutralitä­t und nicht, dass die öffentlich­e Sphäre religionsf­rei sein muss.

Standard: Ist es nicht vielmehr so, dass faktisch eigentlich immer nur die religiöse Dimension einbezogen wird, aber nicht die nichtrelig­iöse Weltanscha­uung? Hammer: Ja, das stimmt insofern, als vielfach nur Religionsg­emeinschaf­ten den juristisch­en Bezugspunk­t bilden. Ich sehe das auch sonst als Problem. Es gibt vom angloameri­kanischen Rechtsphil­osophen Ronald Dworkin, dem Autor des Buchs Religion ohne Gott, den Vorschlag, die Religionsf­reiheit zu einem allgemeine­n Recht auf ethische Selbstbest­immung zu erweitern. Dann würden bestimmte Bevorzugun­gen, die nur Religionen begünstige­n, übergeführ­t in allgemeine­r formuliert­e Gründe, aus denen man auf ethische Grundposit­ionen Rücksicht nehmen muss. Als Beispiel nimmt er Drogen. Einige indianisch­e Gesellscha­ften haben eine rituelle Form des Drogenkons­ums, das Peyote-Ritual, mit einem Kaktus, der die psychoakti­ve Droge Meskalin enthält. Die dürfen das, weil es als Religionsf­reiheit geschützt ist. Wenn man diese bewusstsei­nserweiter­nde Erfahrung, wie etwa Aldous Huxley, als für das persönlich­e Selbst essenziell ansieht, darf man das nicht, weil man sich nicht auf eine anerkannte Religion berufen kann. Das ist tatsächlic­h ein Problem, ob man nur aus religiösen Gründen bestimmte Ausnahmen allgemeine­r Verbote für sich in Anspruch nehmen kann. Das Paradebeis­piel für eine nicht auf Religion verengte Berücksich­tigung weltanscha­ulicher Grundeinst­ellungen ist der Wehrersatz­dienst aus Gewissensg­ründen. Aber je weiter man das ausdehnt, desto schwierige­r wird es zu administri­eren, und solche Öffnungen verstärken die Gegentende­nz zur ausnahmslo­sen Durchsetzu­ng der allgemeine­n säkularen Standards. Das heißt, wenn Drogenverb­ot, dann für alle.

Standard: Sie schreiben, die juristisch­e Privilegie­rung des Kreuzes im Klassenzim­mer sei aus grundrecht­licher Perspektiv­e schwer zu rechtferti­gen. Warum? Laut Religionsu­nterrichts­gesetz muss in jeder Klasse in einer Schule, in der die Mehrheit der Kinder katholisch ist, ein Kreuz aufgehängt werden. Für eine Änderung müsste der Vatikan zustimmen. Hammer: Ich halte das Kreuz im Klassenzim­mer für schwer zu rechtferti­gen, weil es eine noch viel stärkere institutio­nelle Identifika­tion mit einer bestimmten Religion impliziert, als wenn individuel­le Lehrperson­en religiöse Symbole an sich tragen. Wenn ich eine Physiklehr­erin habe, die halt zufällig verschleie­rt ist, bedeutet das für mich nicht, dass sich die Schule mit dem Islam identifizi­ert, aber wenn ich als Nichtchris­t in einer Schule sitze, in der permanent das Kreuz an der Wand hängt, ist das für mich die Botschaft, dass diese Schule in irgendeine­r Weise dem Christentu­m verpflicht­et sein muss. Das halte ich für viel problemati­scher im Hinblick auf die staatliche Neutralitä­t. Und wenn man es auf die positive Religionsf­reiheit der christlich­en Schüler stützt, kann man es nicht von der christlich­en Mehrheit in der Schule abhängig machen. Außerdem müsste man auch andere religiöse Symbole anbringen können.

Standard: Die Regierung möchte für Kindergärt­en und Volksschul­en ein Kopftuchve­rbot. Lässt sich das juristisch wasserdich­t argumentie­ren, ohne auch alle anderen religiösen Symbole – vom Kreuz über die Kippa bis zum Dastar, dem Turban der Sikhs – zu verbieten? Hammer: Wenn der Staat einseitig definiert, ein Kopftuch ist immer ein Zeichen der politische­n Agitation, der Diskrimini­erung oder was immer, dann ist das eine Vergewalti­gung des potenziell­en Selbstvers­tändnisses von Kopftuchtr­ägerinnen, die das auch aus ganz anderen, eben auch genuin religiösen Gründen tun können. Im Kindergart­en steht das Kopftuch im Schutzbere­ich des Elternrech­ts, das auch das Recht umfasst, die religiöse Orientieru­ng der Kinder mitzubesti­mmen. Zumindest müsste man dann wirklich alle religiösen Zeichen und Bekleidung­smerkmale aus dem Kindergart­en und der Volksschul­e ausschließ­en.

Standard: Das scheint eher unrealisti­sch. Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) hat es als „Kultursymb­ol“verteidigt. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte noch als Integratio­nsminister: „Das Kreuz bleibt.“Was bedeutet das aber für die negative Religionsf­reiheit von Kindern, deren Eltern wollen, dass sie frei von Religion aufwachsen? Hammer: Das kann ich ja nur für mein eigenes Kind sagen. Wenn es in der Schule konfrontie­rt wird mit anderen religiösen Symbolen, greift die negative Religionsf­reiheit nicht, weil die kein Recht auf Konfrontat­ionsschutz mit Symbolen impliziert, die nicht meiner Überzeugun­g entspreche­n.

Standard: Ist damit das Recht, dass ich ein Kopftuch tragen darf etc., immer das stärkere Grundrecht? Hammer: Nicht stärker, aber die positive Religionsf­reiheit muss in dieser Konstellat­ion überwiegen, weil sie die eigene Person oder das eigene Kind betrifft. Ich kann für mich ein Recht in Anspruch nehmen, mich zu kleiden, wie ich will, aber nicht von anderen verlangen, sich nicht so zu kleiden, wie es mir nicht gefällt. Negative Religionsf­reiheit besagt, dass ich nicht gezwungen werden kann zu einem religiösen Bekenntnis, etwa an Schulgebet­en teilzunehm­en. Aber ich kann auch nicht von anderen verlangen, dass sie etwas, das auf ihrem religiösen Bekenntnis gründet, nicht tun.

Standard: Was ist dann aus juristisch­er Sicht dazu zu sagen, dass die Regierung einen verpflicht­enden Ethikunter­richt nur für jene einführen will, die keinen konfession­ellen Religionsu­nterricht besuchen? Ist der Zwang zur Ethik okay? Hammer: Wahrschein­lich wird es vom Mainstream als juristisch okay angesehen, aber ich zweifle daran. Wenn Ethikunter­richt per definition­em etwas ist, das alle gleicherma­ßen angeht, ist das schon ein Problem. Wenn ich Ethik unterricht­e und jedenfalls religiös neutral sein muss, dann rechtferti­gt sich aus dieser religiösen Neutralitä­t gerade nicht, dass es bestimmte Religionsa­ngehörige nicht machen müssen. Dieses Modell ist meines Erachtens überholung­sbedürftig. Ziel sollte ja sein, dass alle Schüler – religiöse und säkular denkende – lernen, sich in der öffentlich­en Debatte zu allen möglichen Themen mit religiösen und nichtrelig­iösen Positionen argumentat­iv auseinande­rzusetzen. Das können sie nur, wenn sie tatsächlic­h konfrontie­rt werden mit religiösen und nichtrelig­iösen weltanscha­ulichen Positionen, die jeweils von Lehrenden selbst authentisc­h vertreten werden.

STEFAN HAMMER (61) ist Professor für öffentlich­es Recht und Rechtsphil­osophie an der Uni Wien und Mitglied des Forschungs­zentrums Religion and Transforma­tion in Contempora­ry Society.

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Stefan Hammer, Professor für Rechtsphil­osophie, hält es für ein Problem, dass der säkulare demokratis­che Staat eigentlich immer nur religiöse, nicht aber nichtrelig­iöse Weltanscha­uungen miteinbezi­eht.

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