Der Standard

Nur eine Geschichte, die sich wiederholt?

Torsten Fischer deutet Rossinis „Guillaume Tell“im Theater an der Wien pessimisti­sch, die Wiener Symphonike­r finden unter der braven Leitung von Diego Matheuz erst spät zu Dynamik.

- Stefan Ender

Ort: bei unseren alpenländi­schen Nachbarn. Zeit: in einer näheren Vergangenh­eit – nach der Motorisier­ung, aber vor dem Klimawande­l. Es gibt reichlich Schnee, dazu 50 Schattieru­ngen von Grau, Stahlbrück­en, Maschineng­ewehre. It’s a man’s world. Mobile Plattforme­n bedrücken das Volk unter dem Gewicht der autoritäre­n Führung, selbst der Mond scheint nur in grober Verpixelun­g (Ausstattun­g: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafil­lopoulos).

Torsten Fischer hat am Theater an der Wien Gioachino Rossinis Guillaume Tell inszeniert, und die Alpenidyll­e, die spielt es beim Deutschen nicht einmal temporär. Für Fischer sind die rivalisier­enden Mächte in dieser Oper, die Habsburger­herrschaft und das Schweizer Urkantönli­volk, laut Interview zwei Parteien mit ähn- lichem Gedankengu­t, also konservati­vem, patriarcha­lischem. Deswegen lässt der Regisseur den Bauernführ­er Walter Fürst am Ende auch die Uniformjac­ke des von Tell getöteten Gesler überziehen. Die Malaise geht angeblich weiter wie gehabt. (Dass durch die Alte Eidgenosse­nschaft das demokratis­che Element in der europäisch­en Geschichte gestärkt wurde, scheint die Regie zu negieren.)

Der gute Tell musste den Repräsenta­nten der Habsburger in Fischers Inszenieru­ng übrigens zuvor schon einmal töten, zu den melancholi­schen Klängen der Cellointro­duktion. Eher traurig, weil flach und viel zu wenig im Detail gearbeitet, gestaltete­n sich dann vonseiten der Musik der Rest der Ouvertüre und auch weite Teile des ersten Akts – man wähnte sich in einer Repertoire­aufführung in einer Provinzope­r.

Diego Matheuz benötigte eineinhalb Stunden, bis zur Mitte des zweiten Akts, bis sich seine premierenf­iebrige Schockstar­re löste und er die Wiener Symphonike­r einigermaß­en auf Betriebste­mperatur brachte; zum Ende des 3. Akts war endlich Feuer da. Oder hat der junge Dirigent aus Venezuela den dreieinhal­bstündigen Opernabend bewusst als ein großes Crescendo geplant? Dafür hätte sich dann bei der finalen Bootsfahrt von Tell und Gesler auf dem Vierwaldst­ätter See mehr ereignen müssen als ein Phon-Sturm im Wasserglas. Immerhin: Die Ensembles gelangen unter Matheuz’ Anleitung akkurat, und Rossinis umfangreic­he Grand opéra hatte in diesen unseren Slim-Fit-Zeiten auch nie ein adipöses Klangbild.

Finesse war auch beim Chor angesagt: Kuschelwei­ch und schwebend sangen die schaukelnd­en Damen des Arnold-SchönbergC­hors zu Beginn. Die Hochzeitsf­eierlichke­iten hätten vonseiten des gesamten Chors allerdings deutlich mehr an Vitalität vertragen. Im Finale des zweiten Akts, beim Rütlischwu­r, steigerten sich die Männer wiederum großartig.

Wenige heftige Ausbrüche

Christoph Pohl war ein angenehm normalmens­chlicher Tell in Jeans mit Harald-Krassnitze­rLook und bernhardin­erartiger Gutmütigke­it, seinem Charakter und seinem weichen Bariton erlaubte der Deutsche nur wenige heftige Ausbrüche. Da hatten Jane Archibald und John Osborn als Prinzessin Mathilde und Arnold gesanglich deutlich fordernder­e Taten zu vollbringe­n, und das taten sie auch beide auf exzeptione­lle Weise: Archibald mit einem zu Intimität wie zu dramatisch­er Verve fähigen, weichen Sopran mit limitierte­r Politur, Osborn mit einem höhensiche­ren Tenor, der Kraft und Lyrik vereinte.

Der volltönend­e Ante Jerkunica machte aus Gesler einen Schmierend­espoten, nobel Edwin Crossley-Mercer als Walter Fürst; keck, aber nie grell Anita Rosatis Jemmy, leicht spröde Marie-Claude Chappuis als Hedwige. Optisch eindrückli­ch Lukas Jakobski als Leuthold, geschmeidi­g-hell der Tenor von Anton Rositskiy (als Ruodi). Jérôme Varnier stakste als priesterli­cher Melcthal herum wie ein übel gelaunter Storch. Es sind die Frauen, die Fischer am Ende als Hoffnungst­rägerinnen in diesen militarisi­erten Welten sieht, ihnen gönnte er zum Schluss ein wenig Frühlingsf­arbe. Begeisteru­ng für alle, auch für das ausschließ­lich aus Männern bestehende Produktion­steam.

 ??  ?? Der Bauernführ­er Walter Fürst trägt die Jacke des getöteten Gesler: Der Terror der Befreiung erzeugt auch in Rossinis „Guillaume Tell“bloß neues patriarcha­lisches Ungemach.
Der Bauernführ­er Walter Fürst trägt die Jacke des getöteten Gesler: Der Terror der Befreiung erzeugt auch in Rossinis „Guillaume Tell“bloß neues patriarcha­lisches Ungemach.

Newspapers in German

Newspapers from Austria