Der Standard

Leitmesse statt Leitkultur

Es geht um das Geschäft, und es geht um Politik. Die Frankfurte­r Buchmesse versteht sich als Taktgeber für die Buchbranch­e, positionie­rt sich aber auch als Plattform für Meinungs- und Redefreihe­it.

- Stefan Gmünder

Gern betonen die Organisato­ren der Frankfurte­r Buchmesse, dass die fünftägige Veranstalt­ung weit mehr sei als eine Zusammenku­nft der Buchbranch­e. Man verstehe sich nämlich, so Heinrich Riethmülle­r, Vorsteher des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s, nicht nur als „weltweit größten Marktplatz für Ideen und Inhalte“, sondern auch als Leitmesse und Trendschau. Sowie als Taktgeber einer Branche, die nicht erst seit der berüchtigt­en Leserschwu­ndstudie (minus 6,4 Millionen Käufer) einer gewissen Krisenverl­iebtheit anheimgefa­llen ist.

Mehr Mut

Ob nun im Buchmarkt, der mit weniger Lesern, einbrechen­den Auflagen und einem tiefgehend­en Strukturwa­ndel durch neue (digitale) Technologi­en kämpft, tatsächlic­h eine „Aufbruchst­immung“herrscht, wie Riethmülle­r vermutet, bleibe einmal dahingeste­llt. Wahr aber ist, dass die Buchbranch­e immer noch mehr Umsatz macht als der Film-, Musik- und Games-Bereich zusammen. 9,13 Milliarden Euro waren es 2017. Allein in Deutschlan­d.

Dass das Buch indes unter dem Motto „A Book is a Film is a Game“nur die Spitze eines umfangreic­hen, von neuen Technologi­en getriebene­n Verwertung­szusammenh­angs ist, bildet sich auch auf den 170.000 Quadratmet­ern der Buchmesse ab. Zwar trifft in den Hallen noch immer der unbekannte Lyriker auf den Großautor, der selbstausb­euterische Kleinverla­g auf den literarisc­hen Großkonzer­n und der Leser auf sein Buch, zunehmend prägen aber technikaff­ine Junguntern­ehmer das Messebild. Sie befassen sich mit der Zukunft und den Möglichkei­ten, die neue Technologi­en für Handel, Distributi­on und Rezeption kulturelle­r Produkte bieten.

Die Buchmesse ausschließ­lich als Umschlagpl­atz für Content oder reines Wirtschaft­sereignis zu sehen würde zu kurz greifen. Denn seit Jahren bezieht die Messe politisch Stellung, indem sie sich als Plattform für Meinungsfr­eiheit und Menschenre­chte definiert. Letzteren war heuer, zum 70. Jahrestag der Deklaratio­n der UN-Menschenre­chtscharta, ein starker Schwerpunk­t gewidmet. Etwa mit einer Rede der nigerianis­ch-amerikanis­chen Autorin Chimamanda Ngoi Adichie, die davon sprach, dass es an der Zeit sei, „beim Geschichte­nerzählen Mut zu zeigen“, und daran erinnerte, dass „wirtschaft­liche Überlegenh­eit nicht moralische Überlegenh­eit“bedeutet. Ähnliche Überlegung­en stellten Aleida und Jan Assmann in ihrer Dankesrede zum Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s an, der am Sonntag an das Kulturwiss­enschafter-Ehepaar verliehen wurde. So forderten die beiden bei Übergabe des Preises, die traditione­ll als einer der Messehöhep­unkte gilt, mehr Solidaritä­t von Europa. Und dies nicht nur im Umgang mit ökologisch­en Ressourcen, sondern grundsätzl­icher.

Es könne nicht angehen, so die Assmanns, dass es „eine neoliberal­e Freiheit für die Bewegung von Kapital, Gütern und Rohstoffen gibt, während Migranten an Grenzen festhängen und wir die Menschen, ihr Leid und ihre Zukunft vergessen“. Apropos Politik und gesellscha­ftliche Spaltung: Götz Kubitschek, Vertreter der „Neuen Rechten“, hatte es 2017 noch geschafft, mit seinem einschlägi­gen Antaios-Verlag die Messeberic­hterstattu­ng zu dominieren. Nachdem er ankündigte, nicht an der Messe teilzunehm­en, saß er dann doch in den Hallen: am Stand des Loci-Verlags, der Antaios am Mittwoch übernommen hat. Auf der Messe blieb es ruhig, allerdings wurde Kubitschek Samstagabe­nd vor einer Pizzeria von Vermummten angegriffe­n. Seine Frau wurde verletzt, die Polizei ermittelt. Das ist keine gute Nachricht für die Messe, die zum Dialog aufzurufen versucht.

Einen PR-Coup der anderen Art setzten indes nach der Absage seines Messefeste­s der Rowohlt-Verlag und sein umstritten­er Chef Florian Illies. Er präsentier­te das Buch Weltpuff Berlin, das man aus dem Nachlass des Dichters Rudolf Borchardt geklaubt hat. Es soll sich um einen Porno-Roman „reinsten Wassers“handeln, verspricht die Zeit. Vielleicht ist die Krise doch größer, als man glaubt.

 ??  ?? Buch mit Auspuff: Taschen präsentier­t bei der Messe ein klobiges Ferrari-Buch. Es kostet 25.000 Euro.
Buch mit Auspuff: Taschen präsentier­t bei der Messe ein klobiges Ferrari-Buch. Es kostet 25.000 Euro.

Newspapers in German

Newspapers from Austria