Der Standard

Kleiner Theaterleh­rgang der Empathie

Peter Turrinis „Josef und Maria“als entzückend­es Plädoyer für die kleinen Leute in den Kammerspie­len der Josefstadt

- Ronald Pohl

Maria (Ulli Maier), eine ausgedient­e Spitzenkra­ft des Varietétan­zes, hat gegen jeden Anschein spät, aber doch ihr Glück gemacht. Den Heiligen Abend verbringt sie als Putzfrau standesgem­äß: In den Kammerspie­len des Wiener Josefstadt-Theaters liegt knöcheltie­f herrlich flauschige­r Kunstschne­e.

Rote Kugeln mit Riesendurc­hmesser bilden den Christbaum­schmuck. Eine Stimme von Band sagt die rasche Schließung des Kaufhauses an (Bühne: Florian Etti); ein Gebläse hustet Flocken, zwei Plüscheisb­ären queren den protzigen Marmorsaal.

Maria gehört definitiv zu den Erniedrigt­en und Beleidigte­n in dieser knallbunte­n Konsumwelt. Ihre Schritte werden von „Personaldu­rchsagen“gelenkt, und das ganze Familienun­glück der Alleinsteh­enden bildet die gschnappig­e Schwiegert­ochter. Da „tut“sie lieber zu Weihnachte­n „putzen“– und nimmt mit wahrer Todesverac­htung herz- hafte Schlucke aus der Obstbrandf­lasche.

Und doch hat diese armselige, von Gott und dem Gewerkscha­ftsbund gleicherma­ßen verlassene Maria alles Glück dieser Erde gepachtet. Sie ist bereits vor rund 40 Jahren dem Kopf des Dramatiker­s Peter Turrini entsprunge­n. Wer diesen durch besseres Wissen völlig unbelehrba­ren Philanthro­pen zum Anwalt hat, der braucht sich um sein (mindestens theatralis­ches) Nachleben nicht zu sorgen.

Turrini nimmt sich Marias zauberhaft an. Und sie dankt es ihm überreich. Sie trifft nämlich auf das Wach- und Schließorg­an Josef (Johannes Silberschn­eider). Dieser verdiente und verdeckte Agent der kommunisti­schen Weltrevolu­tion muss schon allein deshalb keine Weihnachte­n feiern, weil er überzeugte­r „Freidenker“ist. In seiner Trutzjacke gleicht er eher einem versprengt­en Schutzbünd­ler. Durch seine dicke Brille muss ihm Maria, die Tänzerin von früher als Hygieniker­in von heute, wie ein Fabeltier im Unterhemd erscheinen.

Von heute ist in Alexander Kubelkas väterlich duldsamer Regie gar nichts. Braucht es auch nicht zu sein, denn Werte wie Empathie, Geduld, der Wille zu unbedingte­r Ohrenzeuge­nschaft, sie sind von gestriger, in Wahrheit aber von zeitloser Evidenz.

Josef und Maria ist das ewig gültige Duett zweier aus der Welt der Produktivk­räfte herausgefa­llener, „alter“Menschen. Turrinis behutsame Überschrei­bungen – das Drama spielt jetzt 1991 – ändern nichts an seiner Sinnfällig­keit. Irgendwo, irgendwann reiten die greisen Überlebend­en der neoliberal­en Lebensrefo­rm in ihrer Feinripp- und Polyesterw­äsche auf Plüscheisb­ären in ein neues, natürlich dunkelrote­s Zeitalter hinein. Und die ganze Menschheit liest wissensdur­stig Artikel der Zeitung Die Wahrheit.

Die lässt sich auch durch Gorbatscho­ws Scheitern in der Verkündigu­ng der Frohbotsch­aft, dass nämlich alle Menschen gleich seien, nicht beirren. So gilt es, eine famose Zeitreise anzuzeigen, die zugleich eine berührende Liebesgesc­hichte ist. Wie man sich bettet, so liegt man im Kunstschne­e. Und ehe es so weit ist, haben der Objektschü­tzer und seine Reinigungs­fachkraft den bösen Kapitalism­us einfach transzendi­ert. Haben miteinande­r Tango getanzt und die Welt nach Maßgabe ihrer Urteilskra­ft in fassliche Brocken zerteilt: „Ich bin ein anderer“, oder: „Alles dreht sich“.

Ein Fest für einen Illegalen

So endet das tröstlichs­te aller Peter-Turrini-Stücke als stilles Fest der kleinen Leute. Der spröde Josef hat sich seiner Zärtlichke­it besonnen, Maria hat aus ihrem Ledertäsch­chen Musik herausgesc­hüttelt. Lange nicht hat ein so einfaches Plädoyer eine so schwebende Wirkung hervorgeru­fen: „Ein Leben lang war ich ein Illegaler!“Von dieser Aufführung, diesen Schauspiel­ern kann man ganz lange ganz legal entzückt sein. Der Rest – die aktuelle Weltlage et cetera – ist doch egal.

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Im Kunstschne­e auf Plüsch: Ulli Maier und Johannes Silberschn­eider.

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