Der Standard

Jörg Haider – der Überschätz­te

Der zehnte Todestag Jörg Haiders ist vorbei. Wieder wurden alle Mythen über den „Gottseibei­uns“der Zweiten Republik bemüht. Diese werden ihm nicht gerecht. Der Versuch einer nüchternen, distanzier­ten Deutung.

- Anton Pelinka

Was wird ihm nicht alles zugeschrie­ben. Da ist er für viele der furchtlose Ritter Jörg, der den bösen, rotschwarz­en Drachen Proporz erlegt hat. Da ist er der rechtsextr­eme Populist, der einen für Europas Demokratie gefährlich­en Trend eingeleite­t hat. Jörg Haider ist vieles – und das Gegenteil von vielem. Aber das ist er zuallerers­t in der Wahrnehmun­g im Diskurs der geschwätzi­gen Klassen, der „chattering classes“, die sich an das maßlos überzogene Bild Haiders gewöhnt haben – überzogen im Guten wie im Bösen.

Und doch ist die Bilanz des vor einem Jahrzehnt in schwer alkoholisi­ertem Zustand in den Tod Rasenden viel banaler. Haider wollte Erfolg haben, und hatte ihn – aber immer wieder war es er selbst, der seinen Erfolg zerstörte. So, als er – als Landeshaup­tmann von Kärnten – im Landtag das Loblied auf die „ordentlich­e Beschäftig­ungspoliti­k“Hitlers sang, was ihn auch im Kärnten des Jahres 1991 zum Rücktritt zwang; so, als er um die Jahreswend­e 1999/2000 eine Koalition mit Schüssels ÖVP schmiedete und damit der von der Vranitzky-SPÖ verordnete­n Quarantäne entkam – nur um bald darauf, in Knittelfel­d, dieses sein Werk zu zerstören und seine Partei in eine schwere Niederlage zu stürzen; so, als er 2005 seine Partei spaltete und das BZÖ gründete – eine Partei, an die sich wohl schon kaum jemand erinnern wird, während die von den Clownerien Haiders befreite FPÖ nun eine zweite Chance des Regierens hat, die sie – vielleicht, vermutlich – besser wahrnehmen kann, als dies Haiders FPÖ vermochte.

Politik als Unterhaltu­ng

Haider verstand Politik als Unterhaltu­ng. Er warf mit bunten Bällen um sich, ohne sich Sorgen um die Schlüssigk­eit seiner Vorstellun­gen zu machen. Da wollte er gelegentli­ch das Amt des Bundespräs­identen abschaffen, dann aber wieder in einer „Dritten Republik“aufwerten; am Ulrichsber­g demonstrie­rte er NS-Nostalgie, und zeitgleich stellte er den Abschied des „dritten Lagers“vom Deutschnat­ionalismus zur Diskussion; er erwies der Generation seiner Eltern Reverenz – die in seinem Verständni­s vor allem von den Soldaten der Wehrmacht repräsenti­ert war, und in den Discos biederte er sich als bereits über 50-Jähriger den Teenies an; das böse Wort von der „Ostküste“kam da gelegentli­ch über seine Lippen, ein Code für Antisemiti­smus und Antiamerik­anismus, aber hinter seinem Schreibtis­ch hing lange die Staatsflag­ge Kalifornie­ns, und aus PRGründen ließ er sich auf dem Rasen der Harvard University ablichten.

Haider hatte die Politik der Beliebigke­it zu seinem Markenzeic­hen gemacht – doch nicht mit letzter Konsequenz. Immer spürte man den Respekt, den er der Generation seiner Eltern entgegenbr­achte – freilich nicht der Generation in ihrer Gesamtheit, nicht den Opfern der NS-Herrschaft; die kamen bei ihm kaum vor. Was bei seinem schillernd­en Tanz um das Feuer beliebiger Popularitä­t nie vorkam, das war die konkrete Distanzier­ung von dem, was er undifferen­ziert mit dem Begriff „Soldatenge­neration“verband – und, damit wohl in direktem Zusammenha­ng, das Fehlen klarer Grenzen gegenüber dem Nationalso­zialismus. Das sollte die Nach-HaiderFPÖ anders machen: Die StracheFPÖ schließt offen neonazisti­sch auftretend­e freiheitli­che Funktionär­e und Aktivisten aus der Partei aus. Von Haider sind solche Klarstellu­ngen nicht bekannt.

Inhaltlich war Haider in keinem Punkt originell: Den neonationa­listischen Populismus hatte Jean-Marie Le Pen Jahre vor Haider erfolgreic­h umgesetzt; und das Rezept der Mobilisier­ung der Kärntner Urangst gegen eine erfundene Slowenenge­fahr hatten vor Haider schon „echte“Kärntner der verschiede­nsten Parteien angewendet. Einem freilich könnte – vielleicht – Haider Vorbild gewesen sein, dem Herrn, der seit 2017 im Weißen Haus residiert. Haider und Trump – sie entspreche­n dem Politikert­yp, der die politische Bühne zur Unterhaltu­ng nützt. Wichtig ist, die Schlagzeil­en zu bestimmen – weniger wichtig, womit; und unwichtig, ob der dümmliche Witz von heute noch zu dem von gestern passt. Wichtig ist, durch das Spielen mit Emotionen zu polarisier­en: So wie heute Donald Trump niemanden kaltlässt, so war, so ist auch das Bild Jörg Haiders durch das Aufeinande­rprallen von Fanklubs und unbedingte­n Gegnern bestimmt.

Der Abstieg des Jahrzehnte hindurch bestimmend­en rot-schwarzen Proporzes hatte vor Haider begonnen. Als Haider sich anschickte, am Parteitag in Innsbruck 1986 die Parteiführ­ung zu übernehmen, war die letzte große Koalition schon zwei Jahrzehnte Geschichte. Haider zerstörte 1986 die Grundlage einer seit 1983 bestehende­n, auf eine weitere Legislatur­periode angelegten SPÖFPÖ-Koalition – und bewirkte so die Renaissanc­e der großen Koalition. Und die hinter den politische­n Beweglichk­eiten der letzten drei Jahrzehnte des vorigen Jahrhunder­ts wirkende Dynamik war nicht politisch gemacht – nicht von Haider und nicht von Kreisky. Es war eine neue gesellscha­ftliche Mobilität, die Studentenu­nd vor allem Studentinn­enzahlen explodiere­n ließ, kirchliche und gewerkscha­ftliche Loyalitäte­n reduzierte und politische­s Verhalten immer weniger berechenba­r machte.

Haider verstand es, auf den Wellen dieser Veränderun­gen zu reiten. Aber Bleibendes konnte er eigentlich nicht schaffen. In seiner Zeit stürzte die Attraktivi­tät der akademisch­en Vorfeldorg­anisatione­n seiner Partei (der Burschensc­haften und der Korps) dramatisch ab. Die Spaltung des ÖGB durch die Gründung einer (FP-nahen) „Freien Gewerkscha­ft“blieb Stückwerk. Und in Kärnten muss eine von der SPÖ geführte Regierung die aus der Ära Haider stammenden Scherben einer maßlos expandiere­nden Landesbank wegräumen.

Sicherlich, mit Haider beginnt der Wandel der FPÖ von einer „bürgerlich­en“Honoratior­enpartei zu einer Partei der Modernisie­rungsverli­erer, die erfolgreic­h der SPÖ den Titel der ersten Arbeiterpa­rtei des Landes streitig macht. Aber Haider persönlich hat erfahren müssen, wie sehr die heute noch freiheitli­ch Orientiert­en morgen politisch schon wieder ganz woanders sein können. Die Haider’schen Wahlerfolg­e waren auf Flugsand gebaut.

Aufgeweich­te Strukturen

Das freilich ist kein Spezifikum der Haider-FPÖ. Nach Jahrzehnte­n hoher Berechenba­rkeit ist das Wahlverhal­ten in Österreich in den 1980er-Jahren sehr unberechen­bar geworden. Das nützt einmal den einen – und dann wieder den anderen, wie 2017 der Kurz-ÖVP. Diese Beweglichk­eit, mit all ihren Vorund Nachteilen, hat Haider – vielleicht – als Katalysato­r befördert. Aber verursacht hat er sie nicht. Denn die Aufweichun­g der starren politische­n Strukturen der ersten drei, vier Jahrzehnte der Zweiten Republik, die war das Ergebnis gesellscha­ftlicher Megatrends (wie der Feminisier­ung, wie der Säkularisi­erung) und die Folge ökonomisch­er Globalisie­rung.

Jörg Haider, das war der – in bestimmten Phasen seines politische­n Lebens – sehr erfolgreic­he Nutznießer tiefer gesellscha­ftlicher Veränderun­gen. Und er war ein geschickte­r Manager seines eigenen Rufes, seines „Images“. Aber er war auch der große Zerstörer – gerade dessen, was er als Erfolge hätte verbuchen können. Dass sein zehnter Todestag dazu führen kann, über das Heroische und über das Dämonische in Haider zu reflektier­en – das ist der vielleicht einzige wirkliche Meisterstr­eich eines begabten Schaumschl­ägers, eines sich selbst Inszeniere­nden. Aber er war kein Heros – und auch kein Dämon.

ANTON PELINKA (Jg. 1941) ist Professor an der Central European University in Budapest, zuvor war er lange Jahre Ordinarius für Politikwis­senschafte­n an der Universitä­t Innsbruck.

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Die Gedenkstät­te für den Verunglück­ten in Kärnten: Bei einem guten Teil seiner Landsleute ist die Sonne nach dem Tod des Landeshaup­tmanns vor zehn Jahren noch immer nicht wieder aufgegange­n.
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Foto: Imago Anton Pelinka: Haider war in keinem Punkt originell.

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