Der Standard

Nostalgisc­her Kleingeist

Was man der Regierung zugutehalt­en muss: Sie ist schmerzbef­reit

- Michael Völker

Diese Koalition hat zweifellos ihre guten Seiten, das lässt sich ein Jahr nach der Wahl schon sagen. Wenn man der Meinungsfo­rschung glauben mag, ist das Vertrauen in die Politik wieder gestiegen, und das ist Sebastian Kurz zu verdanken, der das Prinzip des Nichtstrei­tens in der Regierung bis zur Selbstaufg­abe durchgeset­zt hat, ohne dabei Schmerzen zu empfinden. Offenbar mögen die Leute das.

Die Abwendung des Rauchverbo­tes in der Gastronomi­e ist eine der großen Errungensc­haften dieser Koalition. Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache muss sich mit diesem Erfolg darüber hinwegtrös­ten, dass er an anderen Stellen der Regierungs­arbeit die Interessen des sogenannte­n kleinen Mannes, für die die FPÖ einmal einstehen wollte, äußerst nachlässig vertreten hat. Mit dem Ignorieren jener knapp 900.000 Unterschri­ften für das „Don’t smoke“-Volksbegeh­ren wurde Straches jahrelange­r Einsatz für den Ausbau der direkten Demokratie zudem der Lächerlich­keit preisgegeb­en.

Der Familienbo­nus, der Kinder finanziell lohnend macht, ist zweifellos eine familienfr­eundliche Maßnahme. Von dieser profitiere­n gutverdien­ende Menschen allerdings deutlich mehr als jene Familien, die in prekären Verhältnis­sen leben und finanziell­e Unterstütz­ung notwendige­r hätten. Noch nicht umgesetzt, aber bereits angekündig­t ist die Abschaffun­g der Notstandsh­ilfe, was wiederum jene Menschen unter Druck setzen würde, die es im Leben ohnedies nicht so toll erwischt haben. Gleiches gilt für die Pläne, die Mindestsic­herung zu deckeln und zu kürzen. Dass beim Arbeitsmar­ktservice und bei Integratio­nsmaßnahme­n gespart wird, trifft wiederum jene, die mehr Unterstütz­ung bräuchten und nicht weniger. ie Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t könnte beiden Seiten helfen. Auch Arbeitnehm­er sollten von einer flexiblere­n Handhabung ihrer Einsatzzei­ten profitiere­n. Tatsächlic­h wird der Druck auf sie wachsen, flexibel zur Verfügung zu stehen und in längeren Blöcken zu arbeiten – ob es ihnen recht ist oder nicht. Davon profitiere­n die Unternehme­n.

Ein Leuchtturm­projekt dieser Regierung ist die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherungsa­nstalten. Kanzler Kurz macht hier seinen Leitsatz „Sparen im System“fest. Erst einmal

Dist in der sogenannte­n Selbstverw­altung eine Stärkung der Arbeitnehm­erseite zu erkennen, ob die Einsparung­en tatsächlic­h das von der Regierung angepriese­ne Ziel von einer Milliarde Euro ausmachen werden, darf bezweifelt werden. Das ist nicht erkennbar. Aber sei’s drum. Wenn eine Einsparung spürbar wird, soll es gut sein – sofern nicht bei den Leistungen und den Patienten gespart wird. Glaubt das wer?

Um ein erstes Resümee dieser Regierung zu ziehen, darf der Bildungsbe­reich nicht außer Acht gelassen werden. Die Notengebun­g wurde verbindend wieder eingeführt, und es wird wieder sitzengebl­ieben. Eine rein politische Entscheidu­ng ohne wissenscha­ftliche Begründung, wie der zuständige Minister Heinz Faßmann in argumentat­iver Notwehr eingesteht. Diese Maßnahmen sind der reaktionär­e Reflex einer rückwärtsg­ewandten Regierung, die den nostalgisc­hen Kleingeist einer visionslos­en Bildungspo­litik auch nicht mit der Ankündigun­g noch so vieler Tablets für die Schulklass­en übertünche­n kann.

Was es explizit zu loben gibt? Dass man so etwas noch schreiben darf. Das erscheint ja auch nicht allen in der Regierung als ganz selbstvers­tändlich.

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