Der Standard

So einfach ist es nicht

- Kim Son Hoang

Würde anstatt europäisch­er NGOs die libysche Küstenwach­e die Flüchtling­e im Mittelmeer retten, dann wäre alles viel einfacher: Unter anderem damit begründete Bundeskanz­ler Sebastian Kurz seine harsche Kritik an privaten Seenotrett­ern, bei der er Schlepper und NGOs faktisch gleichsetz­te. Doch so einfach, wie Kurz sich das vorstellt, sind die Antworten nicht. Davon konnte sich auch STANDARD- Redakteuri­n Bianca Blei ein Bild machen, als sie sich dreieinhal­b Wochen an Bord der von Kurz namentlich kritisiert­en Aquarius 2 befand, um über deren Rettungsak­tionen zu berichten.

Die Helfer an Bord, beschreibt Blei, haben nur eines im Sinn: Leben zu retten. Sie berufen sich auf maritime Gesetze, auf die Pflicht zur Rettung als hohes Gut, um auch auf Hoher See Menschlich­keit walten zu lassen. Auf den Punkt gebracht: Man lässt niemanden qualvoll ertrinken, wenn man die Möglichkei­t hat, das zu verhindern. Doch lässt sich auch nicht zweifelsfr­ei widerlegen, dass mit diesen Rettungsak­tionen weitere Flüchtling­e angezogen werden, NGOs also unbeabsich­tigt ein Pull-Faktor sind.

Genauso wenig kann gesagt werden, dass mit dem Ende der privaten Seenotrett­ung und einer verstärkte­n Präsenz der libyschen Küstenwach­e ein Ende der Fluchtbewe­gungen einhergeht. Schlepper bieten dann andere Fluchtrout­en an. Mittlerwei­le kommen mehr Flüchtling­e in Spanien an als in Italien. Eine Lösung ist auch das nicht.

Überhaupt ist der Plan, alles den Libyern zu überlassen, zu hinterfrag­en. Ist ein Land, in dem sich Regierunge­n und Milizen bekriegen, in dem es nur einen schmalen Grat zwischen Schleppern und Küstenwach­e gibt, tatsächlic­h ein vertrauens­würdiger Partner für Europa? Das ist zu bezweifeln. Dass in Libyen Flüchtling­e bewiesener­maßen gefoltert werden, steht noch dazu auf einem anderen Blatt.

Es ist komplex. Das sollte auch Kurz akzeptiere­n.

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