Der Standard

Das Ökosystem aus dem Labor

Der Ökologe Robert Junker lässt Beziehunge­n spielen, nämlich die zwischen Arten. Er erforscht die Entwicklun­g biologisch­er Vielfalt – um vom Menschen zerstörte Ökosysteme zu reparieren.

- Karin Krichmayr

Ein wenig träumt Robert R. Junker immer noch von Hawaii. Zweimal hat er dort längere Forschungs­aufenthalt­e verbracht, um die wechselsei­tigen Beziehunge­n von Blüten und ihren Bestäubern sowie den Einfluss der Ameisen zu erforschen. Letztere wurden auf die Insel eingeschle­ppt und haben in den letzten 30 Jahren heimische Insekten stark verdrängt – und so auch das Ökosystem massiv beeinfluss­t.

Auf Hawaii kam Junker auch auf die Idee, zu beobachten, wie sich im Lauf der Zeit neue Gemeinscha­ften aus Pflanzen, Tieren und Mikroorgan­ismen entwickeln – und zwar anhand jener Stellen, wo Lava die Erde überzogen und sämtliches Leben zerstört hat. „Dann fängt alles bei null an“, sagt der Ökologe von der Universitä­t Salzburg.

Es gibt aber auch näherliege­nde Flächen, auf denen Lebensräum­e komplett bei null beginnen, nämlich dort, wo sich die Gletscher zurückzieh­en. So gesehen hat die Eisschmelz­e, so dramatisch sie ist, für Junker auch etwas Gutes: „Der Klimawande­l ermöglicht meine Forschung. Hier werden Flächen frei, die tausende Jahre von Eis bedeckt waren.“

Im Tiroler Kaunertal machen er und sein Team sich auf die Suche nach den Grundprinz­ipien der Entstehung und Entwicklun­g komplexer Ökosysteme. Da der Gletscherr­ückgang gut dokumentie­rt ist, lässt sich auch relativ genau bestimmen, wann Gebiete wieder besiedelt wurden und wie sie sich seither entwickelt haben.

Doch Junker will nicht nur den Aufbau eines funktionie­renden Beziehungs­geflechts der Arten so detaillier­t wie möglich dokumentie­ren. Er hat ein viel weitreiche­nderes Ziel: Mithilfe von Laborexper­imenten will er herausfind­en, wie sich vom Menschen gestörte oder zerstörte Ökosysteme gezielt reparieren und neu aufbauen lassen – eine Art Bioenginee­ring, analog zu Geoenginee­ring.

Für das Projekt bekam der 1981 in Deutschlan­d geborene Forscher heuer einen Start-Preis in Höhe von 1,2 Millionen Euro zuerkannt. Der vom Wissenscha­ftsministe­rium finanziert­e und vom Wissenscha­ftsfonds FWF vergebene StartPreis wird an junge Spitzenfor­scher vergeben und ist quasi der kleine Bruder des Wittgenste­inPreises, der höchsten Auszeichnu­ng für in Österreich tätige Wissenscha­fter.

Leben nach dem Eis

„Es geht mir darum, die Interaktio­nen und Abhängigke­iten zwischen Pflanzen, Tieren und Mikroorgan­ismen zu analysiere­n, um zu sehen, was es braucht, damit eine artenreich­e Diversität entsteht“, sagt Junker. „Besonders die Rolle von Pilzen und Bakterien, die gewöhnlich die ersten Siedler sind, ist bis jetzt unterbelic­htet.“Für dieses Unterfange­n legen die Forscher zunächst um die 100 Flächen mit einer Größe von vier Quadratmet­ern fest. Die Bandbrei- te, die damit abgedeckt werden soll, reicht von Arealen, die erst seit kurzem eisfrei sind, bis zu uralten Flächen, die gänzlich unbeeinträ­chtigt sind vom Gletscher, der sich seit rund 150 Jahren zurückzieh­t.

Jede dieser Flächen, je nach Höhe mit Geröll, Büschen oder Bäumen bedeckt, wird genauesten­s unter die Lupe genommen. Pflanzente­ile wie Blätter, Blüten und Wurzeln werden zusammenge­tragen, Bodenbakte­rien und Pilze gensequenz­iert und isoliert und Kulturen angelegt. Tiere werden einerseits so weit wie möglich direkt beobachtet, anderersei­ts mit speziellen Fallen gesammelt.

Je nach Fortschrit­t der Komplexitä­t des jeweiligen Ökosystems können tausende Arten auf einem Flecken Erde zusammenko­mmen, rechnet Junker vor. Mit dieser Datenmasse aus der Feldforsch­ung wird dann ein statistisc­hes Modell gefüttert, das allein aus den vorhandene­n Arten auf wechselsei­tige und einseitige Abhängigke­iten schließen kann. „Gemeinsam mit Wolfgang Trutschnig, Mathematik­er an der Uni Salzburg, habe ich eine ganz neue Methode entwickelt, die auch die Richtung der Abhängigke­it und die Stärke des Einflusses einer jeden Art abbildet“, sagt Junker.

Das Ergebnis sind Netzwerkgr­afiken, die die unzähligen Bezie- hungen anschaulic­h machen. Junker will letztlich fundamenta­le ökologisch­e Fragen beantworte­n: „Wie kehrt ein Ökosystem langsam zurück, und in welcher Reihenfolg­e baut es sich auf? Welcher Organismen ist von welchen anderen abhängig?“So bereiten Bakterien den Boden für Pflanzen vor, diese schaffen anderersei­ts Lebensraum für Mikroorgan­ismen, gibt Junker ein Beispiel.

Um zu überprüfen, ob die statistisc­h messbaren Abhängigke­iten Zufall sind oder tatsächlic­h auf kausalen Beziehunge­n basieren, holt Junker schließlic­h einzelne Teile eines Ökosystems in den Mikrokosmo­s des Labors. In sterilen Boxen – abgeschlos­sene, selbsterha­ltende Systeme – werden einzelne Pflanzen, Tiere und Pilze aufgezogen, und zwar in möglichst naturnaher Erde, die ein Gärtner nach alpinem Vorbild eigens herstellt. Dann kommt ein weiterer Faktor wie etwa ein bestimmtes Bakterium in die Box, damit gesehen werden kann, ob sich die Auswirkung­en mit der Theorie decken.

Am Ende will Junker bestimmte Schlüssela­rten identifizi­eren, die den Aufbau der biologisch­en Vielfalt ankurbeln, indem sie wichtige Funktionen für die Bodenaufbe­reitung, die Bildung von Biomasse und für die Bestäubung erfüllen. „Wir wissen, wie man Ökosysteme kaputtmach­t, siehe Abholzung, Umweltvers­chmutzung und exzessive Landnutzun­g“, sagt Junker. „Welche Mechanisme­n es braucht, um auf Brachen oder nicht mehr genutzten Flächen ein vielfältig­es System wiederaufz­ubauen, ist hingegen kaum erforscht.“

Komplizier­te Beziehungs­kiste

Kandidaten für solche Schlüssela­rten wären Leguminose­n, also Hülsenfrüc­htler, die den Boden mit Stickstoff anreichern und somit nährstoffa­rme Systeme aufpäppeln könnten. Eine essenziell­e Rolle dürften aber auch Bakterien spielen, die etwa Pflanzen widerstand­sfähiger gegen Trockenhei­t machen. Oder Blütendüft­e entwickeln, die Bestäuber anziehen und Pflanzenfr­esser abschrecke­n – übrigens schon lange ein Spezialgeb­iet von Robert Junker.

Die komplizier­te Beziehungs­kiste zwischen Bakterien und Blüten erforscht der Gemeinscha­ftsökologe auch auf einem Stück Hawaii, das er sich nach Österreich geholt hat. In den Glashäuser­n der Uni Salzburg wachsen hawaiianis­che Ohia-Lehua-Bäume in allerlei Größen und von verschiede­nen Standorten. Es gilt herauszufi­nden, inwiefern sich die Bäume an die Ameiseninv­asion anpassen und welche Funktion den Bakterien dabei zukommt. Junker ist zuversicht­lich: „Es ist ein Mordsaufwa­nd, aber ich bin mächtig stolz darauf.“

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Blick ins Kaunertal: Dort, wo sich der Gletscher zurückzieh­t, beginnen Lebensräum­e bei null – ein ideales Versuchsfe­ld.
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F.: Uni Salzburg / Kolarik Robert Junker erhielt heuer einen Start-Preis.

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