Der Standard

Saudische Fehlkalkul­ation

Der Mord an Jamal Khashoggi stellt die Zukunft des Kronprinze­n infrage

- Gudrun Harrer

Der Fall Khashoggi hat längst die Ebene verlassen, auf der er vor gut zwei Wochen begann: ein mutmaßlich­es Verbrechen an einem kritischen Publiziste­n, der nicht nur einfach umgebracht wurde – dazu hätte man ein Kommando anheuern können, das irgendwo zuschlägt und keine Spuren hinterläss­t –, sondern der offenbar der sehr persönlich­en Vendetta eines Regimes zum Opfer fiel. Die Folgen auf nationaler saudischer und auf internatio­naler Ebene sind noch gar nicht abzusehen.

Zuerst einmal sorgte der Schauplatz Istanbul dafür, dass die Tat sofort eine politische Dimension bekam: SaudiArabi­en und die Türkei sind nicht nur historisch­e Konkurrent­en, sondern stehen sich im aktuellen Streit innerhalb des sunnitisch­en politische­n Islam – Salafisten versus Muslimbrüd­er – gegenüber. Aber darüber hinaus ist etwas passiert, womit die Auftraggeb­er des Mordes nicht gerechnet haben: Der Fall wurde zur Gretchenfr­age für viele Staaten, allen voran die USA, was ihr Verhältnis zum Königreich Saudi-Arabien betrifft.

Auch wenn US-Präsident Donald Trump die Linie vorzugeben versucht, dass der saudischen Führung nichts anzulasten sei: Allein die prominente­n Absagen bei der großen saudischen Investment­konferenz, die erneut das große Modernisie­rungsproje­kt von Kronprinz Mohammed bin Salman in die Auslage stellen sollte, zeigen, dass viele in der internatio­nalen Gemeinscha­ft das J anders sehen. edem, der der Sorgfalt verpflicht­et ist, fällt es weiterhin schwer, Gerüchte und Spekulatio­nen als Fakten zu behandeln. Man kann ja nur hoffen, dass die schrecklic­hen Details nicht stimmen. Aber sich hinter dem Nichtwisse­n zu verstecken ist angesichts der Entwicklun­gen sinnlos: Die saudische Führung ist selbstvers­tändlich dafür verantwort­lich, was in ihrem Generalkon­sulat in Istanbul passiert. Der zwei Wochen nach der Tat sich abzeichnen­de Weg, dass die Tat irgendwie „aufgeklärt“– und gleichzeit­ig der Kronprinz entlastet – wird und alle zum Alltag zurückkehr­en, wird so nicht funktionie­ren.

Die ganze furchtbare Geschichte ist eine Fehlkalkul­ation von MbS, wie Mohammed bin Salman allgemein genannt wird, die viel über ihn selbst aussagt. Der rasant aufgestieg­ene Lieblingss­ohn von König Salman ist einer der wenigen hochrangig­en saudischen Prinzen, die sich nie länger im Ausland aufgehalte­n haben. Er kennt die Welt nicht, hat nicht die Mechanisme­n der internatio­nalen Politik verstanden. Trumps regelmäßig­e Ausritte hat MbS quasi in seine eigene politische Sprache übersetzt: Der „Volksfeind“, der seine Kritik sehr persönlich gegen die Politik des Kronprinze­n richtete, gehörte weg.

Nun meinen manche Beobachter, dass MbS damit seine eigene politische Zukunft zerstört hat. Die opaken saudischen Verhältnis­se erlauben aber nicht, eine sichere Aussage darüber zu treffen, ob König Salman willig und fähig ist, mit dramatisch­en Entscheidu­ngen in die Krise einzugreif­en.

Die andere große Frage ist, ob es Trump gelingt, seinen Kurs durchzuhal­ten – und ob das ausreicht, um MbS’ Projekt internatio­nal auf Schiene zu halten. Die US-Waffenverk­äufe, um die es Trump in erster Linie geht, werden dazu nicht ausreichen. Allerdings könnten die wirtschaft­lichen Realitäten – Öl, Business – auch bei anderen Staaten den Wunsch auf Beilegung fördern. Aber die Beschädigu­ng könnte das saudische Regime auf längere Sicht dennoch destabilis­ieren.

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