Der Standard

Biokeramik macht Krebse zu Power-Boxern

Keine Muschelsch­ale ist ihnen gewachsen, kein Panzer hart genug: Fangschrec­kenkrebse schlagen mit einzigarti­ger Wucht zu. Woher die Kraft dafür kommt, haben nun Wissenscha­fter aus Singapur entschlüss­elt.

- Thomas Bergmayr

Ihre hoch am Kopf sitzenden Stielaugen zählen zu den besten Sehwerkzeu­gen im Tierreich, vielgestal­tige Beine verleihen ihnen die Fähigkeit zu schwimmen, zu laufen und zu graben, und ihren Waffen können selbst die am besten gepanzerte­n Beutetiere nicht widerstehe­n: Ihre gesamte Ausstattun­g weist Fangschrec­kenkrebse als hocheffizi­ente Jäger aus. Diese in tropischen und subtropisc­hen Meeren heimischen, oft quietschbu­nten Krebse kommen in zwei Varianten vor: Während die „Speerer“ihre Opfer mit den spitzen Enden eines ihrer Vorderbein­e erlegen, gehen die „Schmettere­r“mit massiven Keulen auf die Jagd.

Auf dem Speisezett­el der marinen Schläger stehen dabei meist Muscheln, Schnecken und andere Krebse. Um sie außer Gefecht zu setzen und ihre Rüstung zu knacken, prügeln die „Schmettere­r“mit den verdickten Enden ihres zweiten Beinpaares auf sie ein, und zwar mit einer Wucht, die jener eines Pistolensc­husses gleichkomm­t. Diese Schläge zählen mit zu den schnellste­n Bewegungen in der Natur: Ein menschlich­er Lidschlag dauert etwa 40 Mal länger als ein solcher brachialer Tritt.

Robuste Superfäust­e

Wie die Keulen dem heftigen Einschlag überhaupt standhalte­n können, haben Biologen erst vor kurzem entdeckt. Ein spezieller Verbundauf­bau mehrerer mineralisc­her und biopolymer­er Schichten, bei dem auch regelrecht­e Bandagen zum Einsatz kommen, macht das Material steif und zäh und verhindert, dass die „Superfäust­e“während des Aufpralls Schaden nehmen. Den Schlag selbst dürfte die Beute dabei vermutlich gar nicht mehr mitbekomme­n: Die Keulen schnellen derart rasant hervor, dass sich dabei Gasbläsche­n im Meerwasser bilden, die augenblick­lich wieder kondensier­en und das Opfer bereits ausschalte­n, ehe der eigentlich­e Hammer niederfähr­t.

Woher die Kraft für die Schläge kommt, die sogar Aquariensc­heiben zertrümmer­n können, haben nun erstmals Forscher von der Nanyang Technologi­cal University in Singapur entschlüss­elt. Die Muskeln des Fangschrec­kenkrebses allein würden das nämlich rein rechnerisc­h nicht schaffen. Das Team um den Materialfo­rscher Ali Miserez identifizi­erte eine sattelförm­ige Struktur aus zwei Komponente­n in einem Beinglied oberhalb der Keule, die als widerstand­sfähige Feder fungiert. Sobald sich ein spezieller Schnappmec­hanismus am Außen- skelett des Krebses entriegelt, wird die Energie dieser Feder binnen weniger Millisekun­den freigesetz­t.

Während dabei eine feste Materialla­ge durch Kompressio­n Biegeenerg­ie speichert, sorgt eine zweite, darunterli­egende Schicht aus dehnbaren Fasern für die nötige Stabilität des ganzen Mechanismu­s. „Die Natur hat damit ein äu- ßerst gefinkelte­s Design hervorgebr­acht“, erklärt Miserez, Seniorauto­r der im Fachjourna­l iScience veröffentl­ichten Studie. „Würde es aus nur einem einzigen Material bestehen, wäre es wesentlich spröder und würde mit Sicherheit brechen.“Erst die Kombinatio­n aus einer Art Biokeramik und einem Biopolymer schafft das Kunststück, wie Mikromessu­ngen der mechanisch­en Eigenschaf­ten der Materialie­n ergaben.

„Würde man einen Ingenieur fragen, wäre Keramik vermutlich nicht die erste Wahl für eine Feder, die größere Mengen an elastische­r Energie speichern soll“, meint Miserez. In Verbindung mit einem weiteren Werkstoff aber macht die Natur daraus eine unvergleic­hlich starke Waffe.

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Wie ein Wesen aus einer anderen Welt: Der Clown-Fangschrec­kenkrebs mag wegen seines bunten Aussehens harmlos erscheinen, tatsächlic­h aber hat er einen der härtesten bekannten Schläge im gesamten Tierreich. Woher die Kraft dafür kommt, haben nun Forscher entdeckt.

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