Der lange Instanzenweg zu besserem Saalklima
Jahrelang transpirierte man im Gericht
Was das Schlimmste an der Arbeit als Gerichtsreporter im Straflandesgericht Wien vulgo „Grauen Haus“ist? Nein, es sind nicht die Schilderungen brutaler Verbrechen. Es sind auch nicht die teils emotionalen Einvernahmen von Opfern. Selbst die Tatsache, dass es keinen Raucherraum mehr gibt, spielt keine große Rolle. Bis 2018 war das Schlimmste die Temperatur. In den Verhandlungssälen. Es gab in den vergangenen Jahren Sommer, in denen Akteure interessehalber Thermometer mitgebracht haben und während eines Prozesses teils Werte deutlich jenseits der 30 Grad Celsius gemessen haben.
Die Folge: Richter verhandelten in kurzärmeligen Hemden, Staatsanwältinnen in leichten Sommerkleidern, Verteidiger versuchten mit schweißnassen Haaren, ihren Mandanten lebenslange Haft zu ersparen. Ein eher sinnloses Unterfangen, da die Geschworenen sich selbst nicht mehr konzentrieren konnten. Im Haus geht die Anekdote, dass in einem Verfahren eine schwangere Laienrichterin in der stickigen Luft kollabierte und kurz ohnmächtig wurde.
Als das Gebäude zuletzt in den 1980er- und 1990erJahren saniert und umgebaut wurde, hatten manche wohl noch nicht mit den Folgen des Klimawandels gerechnet. Der damalige Architekt László Egyed hatte zwar durchaus den Einbau von Klimaanlagen vorgeschlagen, Verantwortliche waren aber überzeugt, wegen „vier, fünf Tagen im Jahr“lohne der Aufwand nicht.
Er lohnte. 2013 wurde in Wien ein Temperaturrekord von fünf Tagen über 35 Grad aufgestellt, zwei Jahre später dieser Wert pulverisiert: Da waren es schon 15 Tage. Kein Wunder also, dass der 2010 zum Landesgerichtspräsidenten bestellte Friedrich Forsthuber sich auf den langen Weg durch die Instanzen machte, um für besseres Klima zu sorgen. Der Wille war da, das Geld nicht: Im Justizministerium versprach man eine Klimaregelung bei der nächsten Renovierung, die aber Jahr für Jahr verschoben wurde. Dazu kamen Probleme mit dem Denkmalschutz und der elektrischen Infrastruktur.
Im Sommer 2017 dann ein Durchbruch: Das Ministerium stellte einige mobile Klimageräte zur Verfügung. Die hatten allerdings zwei Nachteile. Der Abluftschlauch durch die Fenster war innenarchitektonisch wenig vorteilhaft. Und vor allem waren die Dinger so laut, dass die Schriftführerinnen und -führer mitunter nicht mehr verstanden, was ein zwei Meter entfernt sitzender Angeklagter von sich gab.
Möglicherweise ist es aber einem Angeklagten zu verdanken, dass es schließlich zur endgültigen Wende und zum Einbau fixer Geräte gekommen ist: Karl-Heinz Grasser. Für die Adaptierung des Großen Schwurgerichtssaals anlässlich des Buwog-Prozesses. Mittlerweile gibt es übrigens schon Klagen über die arktischen Temperaturen, bei denen verhandelt wird.
MICHAEL MÖSENEDER hat 1993 als Volontär die ersten Zeilen für den geschrieben und ist im Chronikressort hängengeblieben, wo er heute primär als Gerichtsreporter tätig ist.