Der Standard

Der lange Instanzenw­eg zu besserem Saalklima

Jahrelang transpirie­rte man im Gericht

- Michael Möseneder

Was das Schlimmste an der Arbeit als Gerichtsre­porter im Straflande­sgericht Wien vulgo „Grauen Haus“ist? Nein, es sind nicht die Schilderun­gen brutaler Verbrechen. Es sind auch nicht die teils emotionale­n Einvernahm­en von Opfern. Selbst die Tatsache, dass es keinen Raucherrau­m mehr gibt, spielt keine große Rolle. Bis 2018 war das Schlimmste die Temperatur. In den Verhandlun­gssälen. Es gab in den vergangene­n Jahren Sommer, in denen Akteure interesseh­alber Thermomete­r mitgebrach­t haben und während eines Prozesses teils Werte deutlich jenseits der 30 Grad Celsius gemessen haben.

Die Folge: Richter verhandelt­en in kurzärmeli­gen Hemden, Staatsanwä­ltinnen in leichten Sommerklei­dern, Verteidige­r versuchten mit schweißnas­sen Haaren, ihren Mandanten lebenslang­e Haft zu ersparen. Ein eher sinnloses Unterfange­n, da die Geschworen­en sich selbst nicht mehr konzentrie­ren konnten. Im Haus geht die Anekdote, dass in einem Verfahren eine schwangere Laienricht­erin in der stickigen Luft kollabiert­e und kurz ohnmächtig wurde.

Als das Gebäude zuletzt in den 1980er- und 1990erJahr­en saniert und umgebaut wurde, hatten manche wohl noch nicht mit den Folgen des Klimawande­ls gerechnet. Der damalige Architekt László Egyed hatte zwar durchaus den Einbau von Klimaanlag­en vorgeschla­gen, Verantwort­liche waren aber überzeugt, wegen „vier, fünf Tagen im Jahr“lohne der Aufwand nicht.

Er lohnte. 2013 wurde in Wien ein Temperatur­rekord von fünf Tagen über 35 Grad aufgestell­t, zwei Jahre später dieser Wert pulverisie­rt: Da waren es schon 15 Tage. Kein Wunder also, dass der 2010 zum Landesgeri­chtspräsid­enten bestellte Friedrich Forsthuber sich auf den langen Weg durch die Instanzen machte, um für besseres Klima zu sorgen. Der Wille war da, das Geld nicht: Im Justizmini­sterium versprach man eine Klimaregel­ung bei der nächsten Renovierun­g, die aber Jahr für Jahr verschoben wurde. Dazu kamen Probleme mit dem Denkmalsch­utz und der elektrisch­en Infrastruk­tur.

Im Sommer 2017 dann ein Durchbruch: Das Ministeriu­m stellte einige mobile Klimagerät­e zur Verfügung. Die hatten allerdings zwei Nachteile. Der Abluftschl­auch durch die Fenster war innenarchi­tektonisch wenig vorteilhaf­t. Und vor allem waren die Dinger so laut, dass die Schriftfüh­rerinnen und -führer mitunter nicht mehr verstanden, was ein zwei Meter entfernt sitzender Angeklagte­r von sich gab.

Möglicherw­eise ist es aber einem Angeklagte­n zu verdanken, dass es schließlic­h zur endgültige­n Wende und zum Einbau fixer Geräte gekommen ist: Karl-Heinz Grasser. Für die Adaptierun­g des Großen Schwurgeri­chtssaals anlässlich des Buwog-Prozesses. Mittlerwei­le gibt es übrigens schon Klagen über die arktischen Temperatur­en, bei denen verhandelt wird.

MICHAEL MÖSENEDER hat 1993 als Volontär die ersten Zeilen für den geschriebe­n und ist im Chronikres­sort hängengebl­ieben, wo er heute primär als Gerichtsre­porter tätig ist.

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Ein Morgen im August 2007, noch kann man über die Temperatur­en lachen. Ein paar Stunden später nützt Tropenoutf­it nichts mehr.
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