Der Standard

Vorletzter Sieger im Rennen meines Lebens

Leidenscha­ft macht den Job erst schön

-

Das Gebrüll der Menschen nahm ich im unteren Drittel der Strecke gar nicht mehr wahr. Und trotzdem peitschten mich die Anfeuerung­srufe letztlich den Berg runter. Sie ließen mich das Brennen in den Unterarmen vergessen, als ich mich mit letzter Kraft am Lenker festkrallt­e. Du musst irgendwie durchhalte­n, sagte ich mir, die paar hundert Meter noch.

Denn unten am Zielsprung, da standen meine Kinder und meine Freunde. Sie wussten, was mir dieser Tag bedeutete, und sie sind extra dafür nach Götzens heraufgeko­mmen. Sie standen da seit zwei Stunden im steilen Hang und warteten auf mich. Ich wollte mich erkenntlic­h zeigen und die von der Absprungka­nte verbleiben­den 13 Meter ins Ziel fliegend zurücklege­n.

Mit Startnumme­r 389 bin ich beim Innsbrucke­r Crankworx-Festival im Juni 2018 ins Rennen meines Lebens gegangen. Es ist das einzige Rennformat, bei dem die weltbesten Downhiller nebst Amateuren am Start stehen. Ich war vor meiner Zeit beruflich daran beteiligt, dieses größte Gravity-Mountainbi­king-Festival der Welt nach Innsbruck zu holen.

Kaum war das geschafft, wechselte ich zurück in meinen Traumjob Journalism­us. Die Zeitung, die wir heute feiern, ermöglicht­e mir nicht nur diese Rückkehr, sondern auch die Verquickun­g meiner beiden größten Leidenscha­ften: Schreiben und Biken. Seit März 2017 veröffentl­iche ich nun jede Woche dienstags den Tretlager- Blog auf derStandar­d.at, in dem sich alles um das Thema Mountainbi­ken und Radfahren dreht.

Und von Beginn an stand ein Thema ganz oben auf der Blog-Agenda: bei Crankworx an den Start gehen. 2018 passte endlich alles. Ich war gut in Form und saß im Frühjahr viel auf dem Rad. Ich löste mit 40 Jahren meine erste UCI-Lizenz und meldete mich zum Rennen an.

Ich nahm mir eigens fürs Rennwochen­ende ein paar Tage Urlaub, um das Drumherum so richtig genießen zu können. Die Redaktion stattete mich mit einem

Jersey aus, das mir die hauseigene­n Fußballman­schaft spendeten. Danke dafür!

Mein Ziel für das Rennen war einfach und klar: nicht Letzter werden und heil ankommen. Nie werde ich das Gefühl im Starthaus vergessen und die folgenden drei Minuten puren Adrenalins. Derart aufgeputsc­ht raste ich dem Ziel entgegen. Nach der letzten Rechtskurv­e nahm ich den Zielsprung ins Visier. Im Renntempo fokussiert man derart, dass ich zum Glück nicht bemerkt habe, dass der Starter vor mir schwer gestürzt war und grad neben der Landung vom Notarzt versorgt wurde.

Mit letzter Kraft riss ich beim Absprung am Lenker. Nie habe ich einen Flug mehr genossen als diesen. Es waren keine 13 Meter, aber es fühlte sich an wie der Skiflugwel­trekord. Am Ende wurde ich Vorletzter, und es war der absolut schönste Sieg meines Lebens.

STEFFEN ARORA ist seit 2016 Tirol-Korrespond­ent und schreibt dort über alles, was die Nichttirol­er interessie­rt.

 ??  ?? Mein Gänsehautm­oment bei Crankworx 2018: im Jersey auf den 13-MeterZiels­prung zurasen und abziehen.
Mein Gänsehautm­oment bei Crankworx 2018: im Jersey auf den 13-MeterZiels­prung zurasen und abziehen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria