Der Standard

Warum der Name auf dem Klingelsch­ild bleiben darf

Datenschut­zposse in Wien: Die DSGVO regelt keine Namensbeze­ichnungen an Wohnhausei­ngängen

- Lukas Feiler Thomas Rainer Schmitt

Wien – Alles begann mit der Beschwerde eines Gemeindeba­umieters. Daraufhin beschloss Wiener Wohnen, gleich auf den Klingelsch­ildern für alle 220.000 Gemeindeba­uwohnungen die Namen der Mieter durch Top-Nummern zu ersetzen. Der Tausch erfolgte – entgegen anderslaut­enden Medienberi­chte – nicht auf Anordnung der Datenschut­zbehörde, sondern weil die Stadt Wien selbst dies für notwendig befand. Daraufhin empfahl der deutsche Immobilien-Eigentümer­verband „Haus & Grund“all seinen 900.000 Mitglieder­n, ebenso eine „Anonymisie­rung“der Klingelsch­ilder vorzunehme­n.

Eine solche „Anonymisie­rung“ist nach der Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO) aber gar nicht erforderli­ch, weil die Verordnung in diesem Fall gar nicht anwendbar ist. Die DSGVO gilt nur für elektronis­che Daten und strukturie­rte physische Datensamml­ungen (z. B. Aktenverwa­ltungssyst­eme). Die physischen Namensschi­lder an der Gegensprec­hanlage unterliege­n daher nicht dem Datenschut­zrecht und sind daher zulässig. Das war auch unter der alten Rechtslage nicht anders.

Selbst wenn die DSGVO auf Klingelsch­ilder anwendbar wäre, würde dies am Ergebnis nichts ändern. Denn eine Datenverar­beitung ist nach der Verordnung insbesonde­re dann zulässig, wenn sie sich auf berechtigt­e Interessen des Verantwort­lichen (hier des Vermieters) oder eines Dritten stützt, die gegenüber den Interessen der Betroffene­n überwiegen. Namen auf den Klingelsch­ildern ermögliche­n es nicht nur Gästen, an der richtigen Tür zu läuten, sie erleichter­n auch Paketdiens­ten ihre Arbeit und können bei Polizei- und Rettungsei­nsätzen sogar lebensrett­end sein.

Geringere Interessen

Die Interessen von Mietern, anonym zu bleiben, sind demgegenüb­er meist sehr gering, sodass Klingelsch­ilder mit Namen auch bei Anwendbark­eit der DSGVO zulässig wären. Nur in höchst seltenen Sonderfäll­en – Personen im Zeugenschu­tzprogramm, Opfer von Stalking – überwiegen die Geheimhalt­ungsintere­ssen eines Mieters, sodass er der Namensnenn­ung am Klingelsch­ild widersprec­hen könnte.

Inzwischen hat auch die EUKommissi­on die Zulässigke­it der Namensnenn­ung auf Klingelsch­ildern bestätigt. Es ist daher zu hoffen, dass Wiener Wohnen die durchaus kostspieli­ge „Anonymisie­rung“absagt. Ansonsten drohen der kommunalen Hausverwal­tung nämlich Klagen von Mietern auf Nennung ihres Namens; diese ist nämlich verkehrsüb­lich, und eine Anonymisie­rung würde die vertraglic­he Nutzung des Mietobjekt­s einschränk­en.

Die Klingelsch­ilder in Wien sind leider nicht die einzige Datenschut­zposse. Um ein Beispiel zu nennen: Es wird vielfach behauptet, personenbe­zogene Daten – z. B. eine Steuererkl­ärung – dürften nicht mehr per E-Mail übermittel­t werden. Diese These ist unrichtig, weil alle modernen Mailserver verschlüss­elt miteinande­r kommunizie­ren und daher eine angemessen­e Sicherheit grundsätzl­ich gewährleis­tet ist.

Die DSGVO wollte die Sensibilit­ät im Umgang mit Daten steigern. Doch statt in Panik zu verfallen, sollten Unternehme­n auf Expertise setzen. Nur so können tatsächlic­he rechtliche Risiken kosteneffi­zient adressiert werden, ohne sich im Datenschut­zdschungel zu verlieren.

LUKAS FEILER leitet das Team für IPund IT-Recht bei Baker McKenzie in Wien, THOMAS RAINER SCHMITT ist Rechtsanwa­ltsanwärte­r ebendort. lukas.feiler@bakermcken­zie.com

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Foto: APA / H. Neubauer Namensschi­lder beim Hauseinang erfüllen einen wichtigen Zweck. Steht nur eine Zahl neben der Klingel, ist es für Gäste, für Paketdiens­te oder bei Rettungsei­nsätzen schwierige­r.

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