Der Standard

Keiner kauft die saudische Story

Riad hat das Ausmaß der Khashoggi-Krise offenbar noch nicht verstanden

- Gudrun Harrer

Nein, es funktionie­rt nicht. Sogar US-Präsident Donald Trump, der nichts lieber täte, als die saudische Version über den Tod Jamal Khashoggis zu schlucken, ist nicht „zufrieden“. Außer ein paar braven arabischen Verbündete­n will sich auf Staatenebe­ne niemand damit abfinden, dass der saudische Publizist, der erst in seinem letzten Lebensjahr so richtig gegen den Strich bürstete, im saudischen Konsulat in Istanbul versehentl­ich getötet worden sein soll.

Niemand will glauben, dass die große Operation, in die dem Kronprinze­n Mohammed bin Salman nahestehen­de Personen verwickelt waren, ohne Kenntnis von MbS, wie er genannt wird, vonstatten ging. Und dass die saudische Führung 18 Tage lang, vom 2. bis zu ihrer Erklärung am 20. Oktober, selbst im Dunkeln tappte. Dazu kommt, dass auch die Saudis ihre eigene Geschichte „entwickeln“. Aus dem Faustkampf wurde mittlerwei­le ein Ersticken.

Noch immer wartet man auf die von der Türkei versproche­nen Details: Bisher werden sie nur an Erdogan-treue Medien geleakt, Gräuelgesc­hichten, die einander zum Teil widersprec­hen. Es mag Ankara schwerfall­en, aber andere Regierunge­n – oder die Uno – sollN ten Einsicht erhalten. ur mehr wenige der Heerschare­n von (meist bezahlten) Saudi-Propagandi­sten treiben sich derzeit noch in den sozialen Medien herum und versuchen, gute Stimmung zu machen. Sie sind pathetisch: Jeder mache einmal einen Fehler, und der Kronprinz sei ja noch so jung! Und dass Saudi-Arabien nun alles aufgeklärt habe, sei doch ein Beweis für das Funktionie­ren des saudi-arabischen Rechtsstaa­ts! Und so weiter.

Aber der Fall Khashoggi geht nicht weg, nicht einmal in Saudi-Arabien selbst. Auch Anhänger von MbS – die so sehr hofften, dass der 33-Jährige das Königreich tatsächlic­h in die Neuzeit katapultie­rt – sind schockiert über diese brutale Demonstrat­ion, wie der saudische Staat wirklich zu seinen Bürgern steht. MbS war für sie das gutartige, verständni­svolle, moderne Gesicht eines strengen, religiösen Königreich­s. Das ultrakonse­rvative Establishm­ent mag tatsächlic­h – vorläufig – an den Rand gedrängt sein, dafür zeigt sich das System repressive­r denn je.

Dass das Bewusstsei­n über das volle Ausmaß der Krise noch nicht bei der Führung angekommen ist, zeigt, dass der Kronprinz selbst mit der Neuordnung der Geheimdien­ste beauftragt wurde. Das lässt daran zweifeln, ob König Salman noch alles im Griff hat. Der entlassene Geheimdien­st-Vize, Ahmed al-Asiri, war der Mann MbS’. Sein Versagen ist das von MbS.

Bei seinem Aufstieg an die Macht riss der Kronprinz die Kontrolle über den gesamten Sicherheit­sapparat an sich. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen. Der zweite hochrangig­e Entlassene, Saud al-Qahtani, wird nun überall mit einem Tweet zitiert: „Ich tue nichts auf eigene Faust, ich bin Ange- stellter und Exekutor der Befehle meines Königs und meines Kronprinze­n.“

Riad erwartet wohl, dass sich in dieser medial hektischen Zeit die Wogen bald wieder glätten. Die Chancen stehen nicht schlecht, denn auf die Gunst Saudi-Arabiens zu verzichten hieße vor allem für die USA, einen großen Waffenkäuf­er und den wichtigste­n strategisc­hen Partner in der Region nach Israel zu verlieren. Aber wenn die Krise zu lange dauert, könnte auch in SaudiArabi­en selbst etwas in Gang geraten: etwas, was dazu führt, dass MbS doch nicht der erste Enkel von Staatsgrün­der Ibn Saud auf dem Thron sein wird.

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