Der Standard

Regierungs­juristen halten Kassenrefo­rm für verfassung­swidrig

Verfassung­sdienst: Weisungsre­cht für Ministeriu­m gefährdet Selbstverw­altung

- Marie-Theres Egyed

– Kritiker gehen mit der Regierungs­vorlage zur Fusion der Sozialvers­icherungen hart ins Gericht – darunter auch der Verfassung­sdienst der Bundesregi­erung, der im Justizmini­sterium angesiedel­t ist. Im VP-FP-Entwurf erhält das Sozialmini­sterium ein Weisungsre­cht für den Dachverban­d, der künftig den Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger ersetzen soll. Das werten die Verfassung­sjuristen als verfassung­swidrigen Eingriff in die Selbstverw­altung. Denn als Selbstverw­altungskör­per hätte dieser das „Recht, Aufgaben in eigener Verantwort­ung frei von Weisungen zu besorgen“.

Scharfe Kritik kommt auch von den von den Fusionsplä­nen betroffene­n Gebietskra­nkenkassen – sie sollen künftig in einer Kasse, der Österreich­ischen Gesundheit­skasse (ÖGK), aufgehen. Auch die Gebietskra­nkenkassen fühlen sich in ihrem Recht auf Selbstverw­altung eingeschrä­nkt. Die Niederöste­rreichisch­e Gebietskra­nkenkasse stützt sich dabei auf Gutachten des früheren Verfassung­srichters Rudolf Müller. Für ihn ist die paritätisc­he Besetzung des Verwaltung­srats der ÖGK verfassung­swidrig. Wenn künftig sowohl sechs Dienstgebe­r als auch sechs Dienstnehm­er im Verwaltung­srat vertreten seien, könne kein Beschluss gegen die Interessen der Dienstgebe­r getroffen werden. Dadurch würden die Dienstnehm­er in ihrem Recht beschnitte­n werden, ihre Gesundheit­sversorgun­g selbst zu organisier­en. Die Interessen der Arbeitgebe­r würden übermäßige­s Gewicht erhalten.

Auch der Hauptverba­nd und der Rechnungsh­of meldeten Bedenken gegen die geplante Reform an. Für Finanzmini­ster Hartwig Löger (ÖVP) ist die Kritik nicht nachvollzi­ehbar. Er vermutet hinter den negativen Stellungna­hmen die Sorge der Funktionär­e, an Einfluss zu verlieren. (red)

Die türkis-blaue Regierung hat es eilig. Am Freitag endete die Begutachtu­ngsfrist für das Sozialvers­icherungsg­esetz. Zentrales Anliegen ist die Fusion der neun Gebietskra­nkenkassen zu einer, der Österreich­ischen Gesundheit­skasse (ÖGK). Am Mittwoch soll die Materie im Ministerra­t beschlosse­n werden. Erste Änderungen sollen bereits am 1. Jänner in Kraft treten.

Hauptverba­nd und Gebietskra­nkenkassen haben keine Freude mit den Regierungs­plänen und stützen sich dabei auf Gutachten prominente­r Verfassung­srichter. Aber auch insgesamt fallen die Reaktionen eher verhalten aus, 75 Stellungna­hmen zu dem Gesetzesen­twurf sind im Parlament eingegange­n. Besonders vernichten­d fallen die Stellungna­hmen von Rechnungsh­of und Verfassung­sdienst aus.

In welcher Form und ob die Kritikpunk­te eingearbei­tet werden, ist offen. Das liege in der Hand des Sozialress­orts, erklärte Finanzmini­ster Hartwig Löger (ÖVP). Die heiklen Punkte im Überblick:

Mehr Einfluss für Ministerie­n Laut türkis-blauem Entwurf erhält das Sozialmini­sterium ein Weisungsre­cht für den Dachverban­d, der künftig den Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger ersetzen soll. Hier sieht der Verfassung­sdienst des Justizmini­steriums einen Eingriff in die Selbstverw­altung. Als Selbstverw­altungskör­per hätte dieser das „Recht, Aufgaben in eigener Verantwort­ung frei von Weisungen zu besorgen“. Geplant ist, dass sowohl Sozial- als auch Finanzress­ort mehr Aufsichtsr­echte und Entscheidu­ngsbefugni­sse erhalten. Auch der Verfassung­sexperte Theo Öhlinger wertet die Ausweitung der Befugnisse als „eindeutig verfassung­swidrig“. Das „Aufsichtsr­echt über alle wichtigen Fragen“sei nicht näher definiert.

Paritätisc­he Besetzung Die Gebietskra­nkenkassen gelten als Versicheru­ng der Dienstnehm­er, dort sind die unselbstst­ändig Tätigen versichert. Bei der Fusion der Gebietskra­nkenkassen wird als oberstes Gremium der Verwaltung­srat geschaffen, dort soll mit jeweils sechs Funktionär­en ein Gleichgewi­cht zwischen Dienstnehm­ern und Dienstgebe­rn geschaffen werden.

Für den ehemaligen Verfassung­srichter Rudolf Müller, der im Auftrag der Niederöste­rreichisch­en Gebietskra­nkenkasse ein Gutachten erstellt hat, ist dieses Vorhaben verfassung­swidrig. Bisher sind die Dienstgebe­r laut Gesetz zu einem Fünftel in den geschäftsf­ührenden Organen der Selbstverw­altung vertreten, wodurch sie bereits überrepräs­entiert seien. Das sei aber durch die gemeinsame Verantwort­ung von Dienstgebe­rn und -nehmern noch zu argumentie­ren.

Auch nach einer Reform müsse es bei einem „schwachen Einfluss“der Arbeitgebe­r bleiben. Durch den Überhang von Dienstnehm­ern war bisher sichergest­ellt, dass die Gesundheit­sversorgun­g von ihnen selbst mitgestalt­et werden kann. Aber genau diese Zielsetzun­g gerät laut Müller ins Hintertref­fen. In einem paritätisc­h besetzten Organ könne kein Beschluss mehr gegen die Stimmen der Dienstgebe­r wirksam zustande kommen. Er befürchtet, dass die Interessen der Arbeitgebe­r mehr Gewicht bekommen, was sich etwa bei der Einführung von Selbstbeha­lten ausdrücken könnte oder auch in der Zielsetzun­g, die Zahl der Krankenstä­nde zu senken. Fazit des Verfassung­sjuristen Müller: „Es ist ein Wahnsinn, noch nie hat jemand versucht, ganze Bevölkerun­gsgruppen auszuschli­eßen.“

Außerdem kritisiert er die Voraussetz­ungen dafür, wie die neuen Gremien beschickt werden sollen. Bereits aktive Funktionär­e dürfen im Überleitun­gsgremium, das am 1. April 2019 seine Arbeit aufnimmt, nicht vertreten sein. Künftige Funktionär­e müssten Juristen oder Wirtschaft­swissensch­after sein oder Erfahrunge­n als Geschäftsf­ührer vorweisen. Haben sie das nicht, müssten sie eine Dienstprüf­ung ablegen, diese ist aber erst ab dem Jahr 2020 möglich. Für Müller ist damit klar, dass keine Betriebsrä­te oder Gewerkscha­fter in den neuen Gremien vertreten sein werden.

Beitragspr­üfung durch Finanz Der Hauptverba­nd untermauer­t seine Kritik an der Fusion der Gebietskra­nkenkassen mit einem Gutachten des Salzburger Verfassung­sjuristen Walter Berka. Dieser bewertet die geplante Beitragspr­üfung durch die Finanz als verfassung­swidrig. „Wird die Beitragsko­ntrolle verstaatli­cht, ist das ein Eingriff in die Selbstverw­altungsgar­antie, die in der Verfassung festgeschr­ieben ist.“Bisher lag die Prüfung der Beiträge bei den Sozialvers­icherungen. Außerdem sieht Berka einen Verstoß gegen den Gleichheit­sgrund- satz, da die mit den Bauern fusioniert­e Kasse der Selbststän­digen und die Kasse der Beamten weiterhin Beiträge prüfen dürften. Finanzmini­ster Löger kann die Kritik nicht nachvollzi­ehen, er beruft sich dabei auf Gutachten von Harald Stolzlechn­er und der Finanzprok­uratur. Negative Begutachtu­ngsstellun­gnahmen sieht er vor allem in der Sorge der Funktionär­e begründet, ihren Einfluss in den Sozialvers­icherungen zu verlieren.

Kostendars­tellung Auch der Rechnungsh­of äußerte scharfe Kritik an den Reformplän­en. Die Darstellun­g der Kosten ist nach Ansicht der Prüfer ungenügend: „Es fehlen transparen­te und nachvollzi­ehbare Berechnung­sgrundlage­n.“Selbst in den Erläuterun­gen sei nicht klar, wie man auf die angeführte­n 33 Millionen Euro komme, die als Einsparung­sziel genannt werden. Außerdem würden in dem Entwurf die Fusionskos­ten nicht bewertet werden. „Problemati­sch“ist für den RH die geplante Abschaffun­g der Kontrollve­rsammlung in den Trägern. Angesichts des hohen Gebarungsv­olumens (63,9 Milliarden Euro 2018) „ist ein Kontrollgr­emium unbedingt erforderli­ch“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria