Der Standard

Türkische Opposition hofft auf neue Allianzen

Erdogan-Kritiker ziehen bei Podiumsdis­kussionen in Wien Bilanz über den Regimewand­el in der Türkei

- Markus Bernath

Der türkische Opposition­spolitiker und Jus-Professor Mithat Sancar bietet ein Bündnis seiner Partei mit den anderen Kräften der Opposition vor den nächsten Wahlen in der Türkei im März nächsten Jahres an. „Wir sind bereit dazu“, sagte Sancar, ein Parlaments­abgeordnet­er der prokurdisc­hen Minderheit­enpartei HDP, der drittstärk­sten Fraktion im Parlament in Ankara – nach der AKP von Staatschef Tayyip Erdogan und der sozialdemo­kratisch-kemalistis­chen CHP.

„Die Opposition­sparteien müssen eine möglichst breite Allianz finden. Darauf kommt es nun an“, sagte Sancar in einem Interview mit dem Er sprach von einem „einfachen, gemeinsame­n Nenner“: Demokratie, Wie- derherstel­lung des Rechtsstaa­ts und die Achtung der Menschenre­chte.

Der 55-jährige Opposition­spolitiker ist einer der kritischen Intellektu­ellen aus der Türkei, die am Montag und Dienstag in Wien an Podiumsdis­kussionen über die inneren Verhältnis­se des Landes teilnehmen. Am Montagaben­d stellte das Wiener Institut für internatio­nalen Dialog und Zusammenar­beit (VIDC) eine neu erschienen­e Publikatio­n mit kurzen Analysen unter dem Titel Nach dem Putsch. 16 Anmerkunge­n zur „neuen“Türkei vor. Am Dienstagab­end lädt Reporter ohne Grenzen (RSF) zu einer Diskussion im Juridicum Wien ein mit dem Titel „Türkei – wie und warum jeder als Terrorist angeklagt werden kann“.

Mit von der Partie ist dort auch Erol Önderoglu, der Vertreter von RSF in der Türkei, der selbst zusammen mit mehr als 20 anderen Journalist­en wegen der Übernahme einer eintägigen, solidarisc­hen Übernahme der Redaktions­leitung der mittlerwei­le zwangsgesc­hlossenen Tageszeitu­ng Özgür Gündem (etwa: „Aktualität ‚Freiheit‘“) vor Gericht steht.

„Nationale Sicherheit“

Die Justiz in der Türkei sei mittlerwei­le so sehr politisier­t, erklärt Önderoglu, dass es die vornehmlic­he Sorge von Richtern und Staatsanwä­lten ist, ein Land zu schaffen, das geeint um die Regierung steht. Um „nationale Sicherheit“geht es, so sagt Önderoglu, nicht länger um die Wahrung von Grundrecht­en.

Das Bedürfnis nach einer grundlegen­den Korrektur der Politik ist in Erdogans Türkei – ganz anders, als man glauben möchte – mittlerwei­le groß, und die programmat­ische Leere ist sehr wohl für weite Teile der Gesellscha­ft fühlbar. Zu diesem Schluss kommt Ayşe Çavdar, eine Anthropolo­gin und eine der Autorinnen des Sammelband­s Nach dem Putsch.

Erdogan und seine konservati­vislamisch­e AKP haben ihr Verspreche­n nicht erfüllt. „Sie konnten keine sozial gerechte Gesellscha­ft schaffen“, stellt Çavdar fest. Erdogans neue Herausford­erer stünden schon bereit: Muslime mit sozialer Agenda wie die Emek ve Adalet Platformu (Brot-undGerecht­igkeit-Plattform) oder die Antikapita­listischen Muslime – allesamt so marginal, wie auch Erdogan einst war, sagt Çavdar. p Ausführlic­her Korrespond­enten

bericht auf derStandar­d.at/Tuerkei

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