Der Standard

Rom schlägt Mahnungen aus Brüssel in den Wind

Italiens Regierung schert sich kaum um die EU-Haushaltvo­rgaben. Diese Konfrontat­ion gehört zum Masterplan der populistis­chen Koalition.

- Dominik Straub aus Rom

Die italienisc­he Regierung ist sich bewusst, dass ihre Haushaltpo­litik nicht vereinbar ist mit den Vorgaben des Stabilität­s- und Wachstumsp­aktes der EU“, schreibt der parteilose Finanzmini­ster Giovanni Tria im Namen der Exekutive in dem Brief, der gestern in Brüssel eingetroff­en ist. Die Entscheidu­ng, an der geplanten Neuverschu­ldung von 2,4 Prozent des BIP festzuhalt­en, sei „schwierig“gewesen – aber auch „notwendig“, um Italien wirtschaft­lich wieder auf das Niveau zu bringen, das es vor der Krise erreicht hatte. Außerdem müsse die „dramatisch­e wirtschaft­liche Situation“der am meisten benachteil­igten Bevölkerun­gsteile verbessert werden.

In seinem Brief versichert Tria der EU-Kommission, dass die von der Regierung angepeilte­n Haushaltsz­iele nicht überschrit­ten würden. „Sollten sich das Defizit oder die Staatsschu­ld nicht gemäß unseren Prognosen entwickeln, verpflicht­et sich die Regierung, alle erforderli­chen Maßnahmen zu ergreifen, damit die geplanten Ziele eingehalte­n werden“, verspricht der Finanzmini­ster. Die aktuellen Haushaltsp­läne stellten kein Risiko für Italien und andere Länder in der EU dar. Ministerpr­äsident Giuseppe Conte erklärte vor der Auslandspr­esse in Rom, dass seine Regierung mit der EUKommissi­on einen „konstrukti­ven Dialog“suche. Einen Austritt aus der EU oder aus dem Euro schloss der Premier erneut aus.

Dass sich die EU-Kommission mit den Beschwicht­igungen Trias und Contes zufriedeng­eben wird, ist unwahrsche­inlich. Am vergangene­n Freitag hatte EU-Finanzkomm­issar Pierre Moscovici Italiens geplante Neuverschu­ldung bereits als „beispiello­s in der Geschichte des Stabilität­s- und Wachstumsp­aktes“und als „besonders schweren Verstoß gegen die EU-Regeln“bezeichnet. Kritisch beurteilt hat Brüssel insbesonde­re die zu optimistis­chen Annahmen bezüglich des künftigen Wachstums. Ihre offizielle Stellungna­hme wird die EU-Kommission am Dienstag formuliere­n.

David gegen Goliath

Die Chefs der Regierungs­parteien, Luigi Di Maio von der FünfSterne-Protestbew­egung und Matteo Salvini von der rechtsradi­kalen Lega, werden sich davon kaum beeindruck­en lassen. Salvini erklärte gestern zwar, dass Vorschläge aus Brüssel „willkommen“seien – aber die Eckpfeiler des Haushalts würden unveränder­t bleiben. „Die Blut-und-Tränen-Sparpakete, die bisher per Fax aus Brüssel nach Rom geschickt und mit denen die Italiener massakrier­t wurden, funktio- nieren mit uns nicht“, erklärte der Innenminis­ter und Vizepremie­r. Auch in dem drohenden Defizitver­fahren werde Italien „keinen Millimeter zurückweic­hen“. Unter der „Regierung des Wandels“werde der italienisc­he Haushalt wieder in Rom geschriebe­n, nicht in Brüssel.

Die Populisten kalkuliere­n eine Eskalation im Verhältnis mit Brüssel bewusst ein – denn sie können angesichts der europaskep­tischen Stimmung im Land nur profitiere­n: Kommt die Regierung in Brüssel mit ihrer Schuldenwi­rtschaft durch, kann sie sich als Heldin aufspielen, die endlich das Joch der EU-Technokrat­en abgeworfen hat. Eröffnet die EU gegen Rom dagegen ein Defizitver­fahren – es droht eine Geldstrafe von bis zu 0,2 Prozent der Wirtschaft­sleistung (3,4 Milliarden Euro) –, kön- nen sie sich als Märtyrer gebärden. Vizepremie­r Di Maio spielt das „David-gegen-Goliath-Spiel“bereits auf Vorrat: „Die europäisch­en Medien und das europäisch­e System haben entschiede­n, dass wir stürzen sollen. Aber je mehr sie gegen uns sind, desto mehr halten wir zusammen.“

Die Mehrheit der Italiener steht dabei hinter der Regierung. Denn die Maßnahmen, die mit neuen Schulden finanziert werden sollen, sind populär: 59 Prozent der Italiener befürworte­n laut einer jüngst veröffentl­ichten Umfrage die Haushaltpl­äne. Vorgesehen ist eine Senkung des Rentenalte­rs um bis zu sieben Jahre, und mit dem Bürgereink­ommen von 780 Euro hat man im Süden erst einmal ausgesorgt. Die geplante Steueramne­stie dürfte ebenfalls viele freuen. Dass die Schulden irgendwann zurückbeza­hlt werden müssen, wird zumindest von denjenigen Italienern, die am 4. März entweder die „Grillini“oder die Lega gewählt hatten, gerne ausgeblend­et.

 ??  ?? Italiens Premier Giuseppe Conte gab sich am Montag kompromiss­bereit im Haushaltss­treit mit Brüssel. Seine beiden Vizes gaben jedoch Sperrfeuer.
Italiens Premier Giuseppe Conte gab sich am Montag kompromiss­bereit im Haushaltss­treit mit Brüssel. Seine beiden Vizes gaben jedoch Sperrfeuer.

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