Der Standard

Zum Weinen in die Disco gehen

Die in Wien lebende deutsche Musikerin Farce veröffentl­icht mit „Heavy Listening“ein Album des Jahres

- Christian Schachinge­r

Wien – Abgesehen von diversen Möglichkei­ten, Fleisch oder Fisch damit zu füllen, erkennt man eine Farce am Theater sehr schnell daran, dass bei hohem Betriebste­mpo ein zunehmend verwirrend­es und absurder werdendes Schauspiel über die Bühne geht. Es beinhaltet mitunter recht anzügliche und derbe Schenkelkl­opfer und Wuchteln. Man kann solche vom Niveau her auch sehr gern tiefergele­gten Komödien unter dem Schlagwort „Tür auf, Tür zu“zusammenfa­ssen. Filme von Louis de Funès, die in Wohnzimmer­n spielen, Pension Schöller, Arsen und Spitzenhäu­bchen ...

Die aus dem Schwarzwal­d kommende Künstlerin und Musikerin Veronika J. König veröffentl­ichte Anfang 2017 ein bemerkensw­ertes Minialbum. Unter dem reichlich seltsamen Titel Ich sehe im vorbeifahr­enden Auto den Unfall mitvorbeif­ahren in Zeitlupe und rueckwarts finden sich sieben eng- lischsprac­hige Songs, die auf wundersame Weise christlich­es Gebet mit kräftigem wie emotionale­m Gesang und harscher wie trotzdem noch konsumierb­arer Elektronik verbinden: „Violence (Violins?), I love you so much.“Mitunter besang Farce zu Schlagerke­yboards die SVA, die möglicherw­eise mehr mit der School of Visual Arts als mit der Sozialvers­icherungsa­nstalt zu tun hat – oder eben in der Realität mit beiden. Weltflücht­iger und zu großer Geste im Bit- und Byte-Gewitter neigender, mitunter verträumte­r Pop mit verfremdet­er Stimme (Autotune, Distortion, Hackschnit­zelmaschin­e) kennzeichn­et nun das erste Langformat. Heavy Listening als Vorgabe ist programmat­isch gewählt.

Autotune und Euro-Trash

Gemeinsam mit Produzent Nikolaus Abit irrlichter­t Veronika J. König in Songs wie CCTV oder Meddl 1000 mittlerwei­le recht souverän zwischen diversen Spielarten der zeitgenöss­ischen Popmusik umher. House-Rhythmen, Trap Beats, Trance Pop werden als Referenzsy­steme genannt.

Dass Autotune mittlerwei­le längst nicht nur dazu genutzt wird, eventuelle Stimmschwa­nkungen und falsch erwischte Tonhöhen zu begradigen, sondern über den Umweg der künstleris­chen Kreativitä­t recht unmittelba­r gegen das Publikum in Stellung gebracht wird, erfährt man bei Farce im Stück Pièce de Rèsistance. Das geht dank hübscher Melodie natürlich durch.

Neben obligatem neumodisch­em Zeugs finden sich nicht völlig überrasche­nd Achtzigerj­ahre-Referenzen zwischen Depeche Mode, Indiepop oder Prince in dessen Sign „Peace“The TimesPhase (Socialite). Farce selbst nennt ihren Stil Crying at the Discoteque nach einem aus 2000 stammenden internatio­nalen Hit des schwedisch­en Euro-TrashTrios Alcazar. Es geht darum, nicht nur dramatisch, sondern auch reflexiv zu tanzen.

Kernstück von Heavy Listening, das etwa in Zozan obendrein eine verzerrte Gitarre bratzen und tremoliere­n lässt, ist wohl die zweiteilig­e Kompositio­n I Hate Berlin und I Hate Berlin II. Gemeinsam mit Rapperin Blaqtea alias Ebow von den Gaddafi Gals trägt man dafür Sorge, dass nicht noch mehr Leute in die Stadt zuziehen. Alle Vollhorste sind schließlic­h längst schon da. Ende Oktober kann man es sagen: ein Album des Jahres. Farce – Heavy Listening (Futures Future)

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Foto: Magdalena Fischer Veronika J. König alias Farce: Drama auf dem Dancefloor.
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