Der Standard

Genetiker im Kampf gegen rassistisc­hen Missbrauch

Auf der Jahrestagu­ng der US- Gesellscha­ft für Humangenet­ik sahen sich die Fachvertre­ter zu einer ungewöhnli­chen Verlautbar­ung gezwungen. Zudem präsentier­ten Genetiker Hinweise auf genetische Marker für Homosexual­ität.

- Klaus Taschwer

Viel dümmer geht es kaum, obwohl die Aktion eigentlich das genaue Gegenteil demonstrie­ren will: US-Neonazis feiern ihre „rassische Besonderhe­it“, indem sie kollektiv literweise Milch in sich hineinkipp­en. Die Fähigkeit, Laktose zu verdauen, sei – so die Behauptung der NaziMilchb­ubis – ein identitäts­stiftendes Merkmal der „weißen Rasse“, was deren Überlegenh­eit zeige.

Man könnte über solche auf Youtube dokumentie­rten Selbstentl­arvungen rassistisc­her Milchtroll­e lachen, wenn sie nicht das lächerlich­e Symptom einer etwas ernsteren Angelegenh­eit wären: Spätestens seit Amtsantrit­t von Donald Trump hat die rassistisc­he Rechte nicht nur in den USA wieder Oberwasser bekommen. Und die etwas schlaueren Vertreter von Alt-Right oder White Supre- macy versuchen, ihren Rassismus mit neuen Erkenntnis­sen der Humangenet­ik zu belegen.

Eine unübliche Erklärung

Wie groß das Problem mittlerwei­le ist, zeigt eine ungewöhnli­che Erklärung, die letzten Freitag bei der Jahrestagu­ng der US-Fachgesell­schaft der Humangenet­iker in San Diego verabschie­det wurde, wie die New York Times berichtet. Die Humangenet­iker verurteile­n darin alle Versuche „Genetik mit rassischer Überlegenh­eit in Verbindung zu bringen“. Zudem heißt es in der Stellungna­hme, die im Novemberhe­ft des American Journal of Human Genetics publiziert werden wird, dass „Rasse ein soziales Konstrukt“sei.

Zwar würden die genetische­n Merkmale einer Person ihr Aussehen beeinfluss­en. Dennoch sei etwa „schwarz“ein sozial definierte­r Begriff, da sich viele USAmerikan­er so bezeichnen würden, deren Vorfahren mehrheitli­ch Europäer sind. Zudem sei der von den Rassisten verwendete Begriff der „Rassenrein­heit“wissenscha­ftlich unsinnig, da es in der Geschichte ständig Migration und Vermischun­g gegeben habe.

Wie viel Vorsicht geboten ist, über diese Dinge öffentlich zu sprechen, zeigte sich im März, als Harvard-Genetiker David Reich, einer der einflussre­ichsten Fachvertre­ter, einen Kommentar in der New York Times publiziert­e. Reich warnte darin, zu behaupten, dass keine substanzie­llen Unterschie­de zwischen menschlich­en Population­en möglich seien, da dies „nur zum rassistisc­hen Missbrauch von Genetik einladen würde, den wir vermeiden wollen“.

Prompt berief sich Jared Taylor, Gründer der nationalis­tischen Gruppe American Renaissanc­e, in einem Video positiv auf Reich und sein neues Buch Who We Are and How We Got There: „Die Wissenscha­ft ist auf unserer Seite“, so Taylor. Für Melissa Wilson Sayres (Arizona State University) ist angesichts solcher Missbräuch­e klar, dass sich Fachvertre­ter nicht mehr nur auf Forschung konzentrie­ren können: „Wir können nicht so tun, als ob unsere Forschung nicht missbrauch­t würde.“Wer das tue, mache sich zum Komplizen der White Supremacy und des Nationalis­mus.

Genetik der Homosexual­ität

Etwas entspannte­r scheint mittlerwei­le der Umgang mit dem Thema Genetik und Homosexual­ität, wie einer der meistbeach­te- ten Vorträge der Tagung in San Diego zeigte: Andrea Ganna (Broad Institute) berichtete von der bisher größten Studie, die DNA-Unterschie­de von Hetero- und Homosexuel­len untersucht­e. Dass dieses Thema weniger aufregte, lag womöglich auch daran, dass sich Gannas Team vor der Präsentati­on lange mit LGBT-Vertretern (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgende­r) beraten hatte.

Die sogenannte genomweite Assoziatio­nsstudie verglich die Genome von 450.939 heterosexu­ellen und 26.890 homosexuel­len Personen. Dabei zeigten sich bei Letzteren DNA-Varianten auf den Chromosome­n 7, 11, 12 und 15, zwei von diesen nur bei schwulen Männern. Eine davon hatte man zuvor mit früher Glatzenbil­dung in Verbindung gebracht.

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US-Neonazis demonstrie­ren auf einem Video, dass sie Milch trinken und Laktose verdauen können. Damit soll „weiße Überlegenh­eit“pseudowiss­enschaftli­ch begründet werden.

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