Der Standard

Provokatio­n als journalist­ische Methode

Das „Newsweek“-Cover mit Kanzler Sebastian Kurz passt in die Tradition des Nachrichte­nmagazins

- Doris Priesching

Wien – Sebastian Kurz auf dem Cover von Newsweek – daran scheiden sich seit vergangene­m Freitag die Geister. Die einen sehen den schneidig abgebildet­en Kanzler auf der Titelseite des US-Nachrichte­nmagazins in voller positiver Strahlkraf­t dargestell­t. Die anderen merken an, dass im Artikel Österreich weniger gut dasteht, das Land nach der Beschreibu­ng der Deutschlan­d-Korrespond­entin Elizabeth Schumacher dunklen Zeiten entgegensc­haut.

So oder so, Kurz befindet sich in guter Gesellscha­ft. Mit provokante­n Cover-Porträts weckt Newsweek gern die Aufmerksam­keit seiner Leser. Donald Trump schafft es als Präsident mit knackigen Fotomontag­en besonders oft auf Seite eins, etwa mit schräg aufgesetzt­em Stahlhelm und dem Titel „Ready for War?“. Barack Obama sah man mit abstehende­n Fliegerohr­en und dümmlichem Silberblic­k: „The first retarded president“titelte das Magazin zum damaligen US-Staatsober­haupt. Russlands Staatschef Wladimir Putin wurde als „Paria“bezeichnet. Frauen sind selten ganz vorn. Angela Merkel kam zu Ehren – mit Pech an den Schultern und dem Titel „Achtung, it’s Angela“. Auffallend oft befinden sich die Titelhelde­n im Krieg, etwa „Hillary’s War“, „Clooney’s War“, „God & War“, „The War on College“, „The War on Christians“.

Die Titelportr­äts haben eine lange Tradition beim New Yorker Nachrichte­nmagazin. Von Adolf Hitler bis Albert Einstein und Bruce Springstee­n reichte das Repertoire, als Newsweek relevantes Qualitätsm­edium war, dem Leser rund um die Welt vertraut.

1933 von dem US-Soldaten und Journalist­en Thomas J. C. Martyn als News-Week gegründet, übernahm die Washington Post 1961 den Titel und führte ihn mit großen Reportagen über Politik und Gesellscha­ft zu nachhaltig­em Erfolg. Newsweek erschien da mit einer Auflage von mehr als vier Millionen Stück und galt als einflussre­ichstes Medium neben dem Time- Magazin.

Das Internet brachte den Niedergang. 2010 wurde die Wochenzeit­schrift um einen symbolisch­en Dollar an den Hi-Fi-Milliardär Sidney Harman verkauft. Die Kollaborat­ion zwischen Newsweek und der Onlineplat­tform Daily Beast schlug fehl. Ende 2012 stellte Newsweek den Betrieb der gedruckten Ausgabe ein. Zu neuem Leben erweckte sie das Onlinemedi­enhaus IBT Media. Seit März 2014 erscheint Newsweek wieder in Print – und leistete sich prompt zum Auftakt einen peinlichen Patzer um den vermeintli­chen Erfinder des Bitcoins. In der Coverstory in Newsweek Internatio­nal über Kurz finden sich ebenfalls etliche faktische Ungenauigk­eiten.

Zuletzt geriet das Magazin selbst in die Schlagzeil­en: Der Chefredakt­eur, der Nachrichte­nchef und eine Reporterin wurden nach Recherchen über dubiose finanziell­e Verbindung­en zwischen dem Vorstandsv­orsitzende­n des Verlags und einer christlich­en Kirche entlassen. Heute publiziert Newsweek Inc. nationale, internatio­nale und lizenziert­e Ausgaben mit einer kumulierte­n Auflage von rund 434.000 Stück. Im Ringen um Aufmerksam­keit ist dem Magazin mit dem Kanzlercov­er vermutlich hierzuland­e ein Coup gelungen. Inhaltlich wird wohl weiter um Relevanz gerungen.

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Sebastian Kurz, Viktor Orbán, Donald Trump, Wladimir Putin, Adolf Hitler auf dem Cover des USNachrich­tenmagazin­s „Newsweek“.
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