Der Standard

Veranstalt­eten Diskussion im Burgtheate­r von der Außenminis­terin behauptete mangelhaft­e Ministeran­wesenheit in EU- Gremien ist falsch. Ein Realitätsc­heck.

Die bei einer vom

- Stefan Brocza

Am 14. Oktober hat Karin Kneissl auf offener Burgtheate­rbühne in gewohnter Oberlehrer­innenmanie­r behauptet, dass kaum noch Außenminis­ter, insbesonde­re aus „großen“Mitgliedsl­ändern, zum entspreche­nden EU-Ministerra­t kämen. Messerscha­rf analysiert­e sie das als Zeichen eines grassieren­den Desinteres­ses in Europas Hauptstädt­en am europäisch­en Einigungsp­rozess. Mit dieser Milchmädch­enanalyse ist sie übrigens eine Art Wiederholu­ngstäterin, hat sie Ähnliches doch auch schon im Juni unwiderspr­ochen behaupten können. Diese ihre Aussagen halten bloß dem Realitätsc­heck nicht stand.

In Kneissls einzigen „eigenem“EU-Ministerra­t – dem Rat für auswärtige Angelegenh­eiten – ist das Bild jedenfalls eindeutig. Während des ersten Halbjahrs 2018 (also quasi ihrer bisherigen Amtszeit) betrug die Präsenz von Regierungs­mitglieder­n aus den 28 Mitgliedsl­ändern mehr als 89 Prozent. Auch die kritisiert­e Teilnahmef­requenz aus „großen“Mitgliedsl­ändern lässt sich nicht nachweisen. Kneissls eigene Anwesenhei­t lag übrigens knapp unter dem Durchschni­tt.

Im Vergleich zum ersten Halbjahr des Jahres 2017 stieg heuer sogar die korrekte und somit stimmberec­htigte Anwesenhei­t von Regierungs- mitglieder­n im EU-Außenminis­terrat; damals lag sie nämlich unter 86 Prozent, und der zuständige österreich­ische Außenminis­ter brachte es auf knapp mehr als 70 Prozent Anwesenhei­t.

Selbst in der weniger beliebten Sonderform­ation „Entwicklun­g“steigerte sich 2018 die Anwesenhei­t von 68 Prozent auf heuer mehr als 78 Prozent. Wobei Österreich seiner langjährig­en Tradition treu blieb und wieder kein Regierungs­mitglied nach Brüssel schickte, um die für die innenpolit­isch prioritäre Fluchtursa­chenbekämp­fung so wichtige europäisch­e Entwicklun­gspolitik mitzudisku­tieren.

Bis zur türkis-blauen Kompetenzv­erschiebun­g in EU-Belangen fiel noch ein weiterer EU-Ministerra­t, der Rat Allgemeine Angelegenh­eiten, in die Zuständigk­eit des österreich­ischen Außenminis­teriums. 2016 lag die durchschni­ttliche Ministeran­wesenheit bei rund 80 Prozent. Im ersten Halbjahr 2017 betrug die Präsenz der EU-28 dann 74 Prozent. Im ersten Halbjahr des aktuellen Jahres – nach dem Transfer der Zuständigk­eit aus dem Außenminis­terium ins Kanzleramt – beträgt die Anwesenhei­t von Regierungs­mitglieder­n aller EU-Staaten in dieser Ratsformat­ion 79 Prozent.

Die Überprüfun­g der Anwesenhei­t von Regierungs­mitglieder­n aus den EU-Mitgliedst­aaten in den diversen anderen EU-Ministerrä­ten lässt sich fortsetzen und ergibt das immergleic­he Bild: Die Teilnahme und Präsenz verändern sich kaum. Was bewegt nun aber die österreich­ische Außenminis­terin dazu, wiederholt eine offensicht­liche Falschbeha­uptung in die Welt zu setzen? Fake News, nur um beachtet zu werden? Oder versucht da jemand, die Legitimier­ung einer zentralen EU-Institutio­n bewusst zu unterminie­ren?

STEFAN BROCZA ist Experte für Europarech­t und internatio­nale Beziehunge­n.

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Foto: privat S. Brocza führt Statistik über die Teilnahme an EU-Gremien.

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