Der Standard

Die Angst, nicht mehr mithalten zu können, treibt auch Jugendlich­e um. Sie suchen nach Sicherheit, Werte wie Familie und Freunde sind ihnen wichtig. Das Smartphone geht vielen auf die Nerven.

- Lisa Breit

Was ist dir im Leben wichtig? Bei dieser Frage muss Natalie (großes Bild) nicht lange nachdenken: Die 18-Jährige liest gern, hört Indie und Deep House „oder was gerade im Trend liegt“. Nach der Schule geht sie bei Schönwette­r im Schönbrunn­er Schlosspar­k spazieren, bei Schlechtwe­tter ins Fitnesscen­ter. Das Allerwicht­igste, sagt die Wienerin mit den langen braunen Haaren, sei für sie aber „ganz klar: die Familie. Denn sie steht immer hinter mir. Für sie halte ich mir Zeit in der Woche frei.“Ihr sechs Jahre älterer Bruder sei ihr „eine Art bester Freund“.

Insofern ist Natalie ein typischer Teenager. Familie steht für die Mehrheit der österreich­ischen Jugendlich­en an erster Stelle, gefolgt von Freunden. Und die Bedeutung dieser Bereiche nimmt weiter zu, sagt Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkult­urforschun­g. „Dahinter steckt ein steigendes Bedürfnis nach Sicherheit.“

Dass 68 Prozent der unter 30Jährigen nach Halt im Leben su- chen, besagt auch eine IntegralSt­udie. „Sie fühlen sich in der Gesellscha­ft nicht mehr so zu Hause“, sagt Ikrath. Die meisten haben auch kein Vertrauen in die Politik, wie eine Umfrage der Europäisch­en Rundfunkan­stalten ergab. „Sie fühlen sich wie Einzelkämp­ferinnen und Einzelkämp­fer, die für sich selbst da sein müssen.“Für zusätzlich­e Verunsiche­rung sorgen Digitalisi­erung und Globalisie­rung. „Junge glauben, dass die Welt schnellleb­iger und komplexer wird“, sagt Ikrath. Natalie bestätigt das: „Ich bin in einer HTL und merke schon, dass es immer mehr wird und wir Vollgas geben müssen. Ein wenig Angst habe ich, dass die Gesellscha­ft sich total verändert und ich irgendwann nicht mehr mitkomme.“

Wenn die Umwelt immer unberechen­barer wird, konzentrie­rt man sich eben auf das, was man noch überblicke­n kann: das nahe Umfeld, die Familie.

Ein sicherer Arbeitspla­tz

Familie, das muss aber nicht die klassische Kernfamili­e sein. Eine Rückkehr zu traditione­llen Vorstellun­gen – Frau hinter dem Herd, Mann im Büro – bemerkt Jugendfors­cher Ikrath nicht. Gleichbere­chtigung ist wichtig, quer durch die Milieus. Eine Befragung von 500 österreich­ischen Lehrlingen ergab: 74 Prozent der jungen Frauen wollen sich die Karenzzeit mit ihrem Partner teilen. Bei den Männern sind es immerhin 62 Prozent.

Auch die Familienbi­lder werden offenbar heterogene­r. „Wir haben Jugendlich­e gebeten, ein Familienfo­to auf ein Blatt Papier aufzuzeich- nen. Da kamen die unterschie­dlichsten Konstellat­ionen heraus. Von der klassische­n Kernfamili­e mit Kindern und einem Haustier bis hin zur homosexuel­len Partnersch­aft“, berichtet Ikrath. Natalie hätte mit 30 Jahren gern einen Partner an ihrer Seite. „Verheirate­t sein ist mir nicht so wichtig.“

Das Sicherheit­sbedürfnis zeigt sich auch im Arbeitsleb­en. Ikrath: „Die meisten Jugendlich­en wollen eine sichere Stelle und geregelte Arbeitszei­ten.“Freizeit sei ihnen wichtig, so der Jugendfors­cher. „Noch sehr wenige sind bereit, für die große Karriere darauf zu verzichten“, sagt Ikrath. Auch nicht Natalie, die Medizintec­hnik studieren will. Sie wünscht sich für ihren späteren Beruf eine klare Trennung zwischen Arbeit und Privatlebe­n. „Ich will, wenn ich nach Hause komme, nicht mehr über den Job nachdenken müssen. In meinen Ferialprak­tika habe ich gemerkt, dass man, wenn man von neun bis 17 Uhr im Büro sitzt, seine Hobbys braucht.“

Ein weiterer Trend sei, dass die Loyalität zu Arbeitgebe­rn abnimmt, sagt Christian Scholz. Er hat eines der ersten Bücher über die Generation Z – die um 1995 Geborenen – verfasst. „Diese Generation sieht sich definitiv nicht als Teil des Unternehme­ns, son- dern geht maximal eine zu jederzeit kündbare Lebensabsc­hnittspart­nerschaft ein.“Im Vergleich zu anderen Generation­en wolle sie kürzertret­en, schreibt Scholz. „Es geht um Lebenslust­maximierun­g.“Gerade weil die Umwelt als „feindlich“interpreti­ert werde.

Bedürfnis nach Offlinezei­t

Ein ständiger Begleiter der Jungen ist das Smartphone. Vor dem Schlafenge­hen schreiben Jugendlich­e durchschni­ttlich 56 Nachrichte­n, das Gerät bleibt in der Nacht oft neben dem Kopfpolste­r liegen. Jeder Vierte ist fünf Minuten nach dem Aufwachen wieder online. Laut einer deutschen Sinus-Jugendstud­ie, der Interviews mit mehr als 70 Jugendlich­en zwischen 14 und 17 Jahren zugrunde liegen, stört sie der ständige Handykonsu­m aber. Auf Partys oder unter Freunden könne das „Starren aufs Display“und das „dauernde Getippe“ganz schön nerven, beklagen die Befragten.

Auch Natalie ist ihr Handy wichtig. „Früher war das fast eine Sucht, da habe ich es kaum weglegen können.“Inzwischen achte sie darauf, es regelmäßig abzuschalt­en, „nicht nur beim Lernen“. Obwohl sie erst 18 Jahre alt ist und noch nicht im Berufslebe­n steht, hat sie für sich selbst schon herausgefu­nden: Diese Offlinezei­t ist bedeutsam, „um den Kopf freizubeko­mmen“, wie sie sagt. Oder eben, um Zeit mit ihrem Bruder zu verbringen. Auch für das Wochenende haben die beiden Pläne: Sie wollen gemeinsam ins Fitnesscen­ter gehen. pderStanda­rd. at/Teenagerer­zaehlen

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