Der Standard

Kritik an Kassenrefo­rm hält an

Vorarlberg­s Landeshaup­tmann will nachverhan­deln

- ANALYSE: Marie-Theres Egyed, Günther Oswald

Wien – Die Regierung hat am Mittwoch zwei größere Vorhaben auf Schiene gebracht. Im Ministerra­t wurde die Sozialvers­icherungsr­eform beschlosse­n, die eine Reduktion der Träger von 21 auf fünf bringt. Da im Vergleich zum Erstentwur­f nur geringfügi­ge Adaptierun­gen vorgenomme­n wurden, reißt die Kritik nicht ab.

Der Vorsitzend­e des Hauptverba­nds, Alexander Biach, sieht einen unzulässig­en Eingriff in das verfassung­srechtlich­e Prinzip der Selbstverw­altung. Der Vorarlberg­er Landeshaup­tmann Markus Wallner (ÖVP) fordert, dass die Leistungsr­ücklagen der Gebietskra­nkenkassen im Bundesland bleiben müssen und nicht zur neuen Österreich­ischen Gesundheit­skasse wandern dürften. „Ein Abschluss dieser Rücklagen kommt nicht infrage.“

Bereits im Nationalra­t beschlosse­n wurde die Indexierun­g der Familienbe­ihilfe, die für die meisten EU-Zuwanderer, deren Kinder im Herkunftsl­and leben, Kürzungen bringt. Die Opposition hält das Gesetz für europarech­tswidrig. (red)

Die türkis-blaue Regierung ließ sich auch nicht durch die zahlreiche­n kritischen Stellungna­hmen von ihrem Kurs abbringen: Am Mittwoch wurde die Sozialvers­icherungsr­eform im Ministerra­t auf den Weg gebracht. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) bezeichnet­e die Kritik als „Angst- und Panikmache“, Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (beide FPÖ) verteidigt­e abermals das Projekt und verkündete: „Es ist gelungen.“40 Konkretisi­erungen nahm die Regierung auf Basis der Stellungna­hmen noch am Gesetzeste­xt vor, die Grundpfeil­er bleiben aber gleich.

Statt 21 Sozialvers­icherungst­räger soll es künftig nur noch fünf geben, die neun Ländergebi­etskranken­kassen werden zu einer Österreich­ischen Gesundheit­skasse ( ÖGK) fusioniert, und der Hauptverba­nd wird zu einem Dachverban­d umgewandel­t. Dienstgebe­r bekommen in den Gremien mehr Bedeutung, außerdem will die Regierung die Zahl der Funktionär­e reduzieren.

Auch wenn ÖVP und FPÖ einen großen Wurf sehen, wurden einige große Brocken ausgelasse­n. Doch gerade bei diesen gibt es Ungleichhe­iten innerhalb des Sozialvers­icherungss­ystems, die nun prolongier­t werden. Die wichtigste­n Punkte im Überblick:

Trennung nach Berufsstan­d ObQ wohl es künftig nur noch fünf Sozialvers­icherungst­räger geben soll (ÖGK, Selbststän­dige und Bauern, öffentlich­er Dienst und Schienenve­rkehrsunte­rnehmen, Unfallvers­icherung, Pensionsve­rsicherung) bleibt die Aufteilung nach Angestellt­en, Beamten und Selbststän­digen weiter aufrecht. Das widerspric­ht dem internatio­nalen Trend. Diese Trennung nach Berufsstan­d drückt sich auch in unterschie­dlichen Leistungen für Versichert­e aus. Beamte (BVAEB) und Selbststän­dige (SVS) müssen zwar einen Selbstbeha­lt zahlen, die Zuschüsse sind aber auch teilweise höher, beispielsw­eise bei der Zeckenimpf­ung. Bekommen hier Versichert­e der GKKs vier Euro Zuschuss, erhalten Beamte 16 Euro Unterstütz­ung, für Bauern gibt es Gratisimpf­aktionen.

Mehrfachve­rsicherung­en Im ReQ gierungspr­ogramm hatte TürkisBlau noch ein klares Ziel: „Mehrfachve­rsicherung­en sollen generell abgeschaff­t werden“, heißt es dort. Knapp ein Jahr später wird das nun nicht umgesetzt. Wer also angestellt ist und nebenher selbststän­dig arbeitet, wird auch in Zukunft bei zwei unterschie­dlichen Trägern versichert sein. Selbiges gilt für öffentlich Bedienstet­e, die einer Nebenbesch­äftigung nachgehen.

Lediglich Mehrfachve­rsicherung­en bei Gebietskra­nkenkassen fallen weg, weil die neun GKKs zur erwähnten ÖGK zusammenge­legt werden. In der Abwicklung wird es aber zu Vereinfach­ungen kommen. Künftig wird von Amts wegen geprüft, ob man durch zwei oder mehrere Jobs über die Höchstbeit­ragsgrundl­age (aktuell 5130 Euro) kommt. Derzeit muss zumindest das erste Mal ein Antrag gestellt werden. Doppelt Versichert­e werden durch die Beibehaltu­ng der Regelung insofern bevorzugt, weil sie eine Wahlmöglic­hkeit erhalten. Sie können sich aussuchen, von welcher Versicheru­ng sie welche Leistungen in Anspruch nehmen.

Ungleiche Verteilung Die Idee Q einer solidarisc­hen Versicheru­ngsgemeins­chaft gerät in den Hintergrun­d, bedenkt man, dass bestimmte Personengr­uppen, die im Schnitt höhere Kosten verursache­n und kaum Beiträge zahlen, nur bei einer Kassa versichert werden. Denn auch künftig werden Arbeitslos­e, Mindestsic­herungs- bezieher und Asylwerber bei der ÖGK versichert. Bei BVAEB und SVS bleiben tendenziel­l Besserverd­iener versichert. Die Lasten tragen nur die Angestellt­en, ein Risikostru­kturausgle­ich wurde verabsäumt.

Krankenfür­sorgeansta­lten Rund Q 250.000 Österreich­er sind bei 15 Krankenfür­sorgeansta­lten (KFAs) versichert. Diese Sondervers­icherungen für Gemeinde- und Landesbedi­enstete gelten als finanziell privilegie­rte Spezialver­sicherunge­n. Die größte ist in Wien, zahlreiche kleinere gibt es außerdem in Baden, Hallein oder Wels.

In Oberösterr­eich und Tirol existiert auch eine KFA für Landeslehr­er. Diese Sondervers­icherungen waren auch bisher nicht beim Hauptverba­nd organisier­t, sondern selbstverw­altet, weshalb die Struktur nicht transparen­t ist. Versichert­e der KFAs bekommen im Vergleich die besten Leistungen wie großzügige Zuschüsse für Zahnkronen, Psychother­apie oder Massagen. Um die KFAs in das allgemeine Versicheru­ngssystem einzuglied­ern, hätte die Regierung eine Verfassung­smehrheit im Nationalra­t benötigt, doch diese wurde von Türkis-Blau gar nicht angestrebt.

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SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner warf Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein im Parlament die „Zerstörung“des Gesundheit­ssystems vor.

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