Der Standard

Rudolf Gelbard 1930–2018

Der Holocaust-Überlebend­e Rudolf Gelbard, ein unerschütt­erlicher Antifaschi­st und einer der aktivsten Zeitzeugen Österreich­s, starb am Mittwoch in Wien. Er war als Jugendlich­er im KZ Theresiens­tadt interniert.

- Colette M. Schmidt

Seit Jahrzehnte­n vergeht kaum ein Tag, ohne dass ich jener Zeit gedenke, da mein Volk im Herzen Europas von den herrschend­en Mördern ausgerotte­t wurde.“Dieser Satz stammt aus einem Text des 1984 verstorben­en Manès Sperber, den Rudolf Gelbard besonders schätzte.

Der Satz steht auch für das Leben des Wieners Rudolf Gelbard, der einer der aktivsten Zeitzeugen unter den Überlebend­en des NSRegimes war. Er konnte und wollte nicht vergessen, was ihm, seiner Familie und Millionen anderen von den Nationalso­zialisten angetan worden war. Gelbard wurde im Alter von nur zwölf Jahren mit seinen jüdischen Eltern ins Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt deportiert. Er überlebte, aber viele seiner Verwandten und Freunde, vor allem viele Kinder, überlebten nicht.

Freiheitsk­ämpfer

Für Gelbard wurden in der Zeit seiner Internieru­ng ältere politische Häftlinge seine Lehrer. Er war nach dem Krieg Mitglied der Sozialdemo­kratischen Freiheitsk­ämpfer. Als unerschütt­erlicher Antifaschi­st sah er es als seine Pflicht als Überlebend­er, an Schulen, Unis, bei diversen Bildungsei­nrichtunge­n oder als Bildungsre­ferent der Kultusgeme­inde unermüdlic­h aufzukläre­n und zu warnen.

Dabei beschränkt­e er sich im Erzählen nicht nur auf seine eigenen Erlebnisse, sondern wurde über die Jahre tatsächlic­h ein fleischgew­ordenes Lexikon der Zeitgeschi­chte: Aus dem Stegreif konnte er den Aufbau der Wehrmacht oder der SS genauesten­s darstellen. Auf sein beeindruck­endes Wissen konnten sich auch jahrelang die Redakteure im Kurier, denen er als zeitgeschi­chtlicher Experte zuarbeitet­e, verlassen. Von 1975 bis zu seiner Pensionier­ung arbeitete er dort. Gelbard war auch im Vorstand des Dokumentat­ionsarchiv­s des österreich­ischen Widerstand­s.

Gelbard wurde von der Republik Österreich mit dem Berufstite­l Professor und zahlreiche­n weiteren Auszeichnu­ngen geehrt. Er erhielt auch die Joseph-SamuelBloc­h-Medaille. Der Republikan­ische Club – Neues Österreich vergibt seit zehn Jahren den nach ihm benannten Rudolf-Gelbard-Preis für Aufklärung gegen Faschismus und Antisemiti­smus. Der erste Preisträge­r dieser Auszeichnu­ng war 2008 Gelbard selbst.

Kämpferisc­h und aktiv

Gelbard war kämpferisc­h, aber auch sehr humorvoll. Wenn man sich mit ihm traf – er schlug gerne das Café im Hotel Imperial vor –, kam er nicht selten mit einem Packen Bücher als Geschenk unterm Arm. Von Internet oder E-Mails hielt er nicht so viel. Seine „Dateien“waren bunte Flügelmapp­en aus Karton, in denen er kapitelwei­se Material zusammenst­ellte.

Er sah die Gefahr des Faschismus als allgegenwä­rtig. Und erlaubte sich selbst im hohen Alter und mit seiner Gesundheit ringend keine Pause. Seine Frau Inge unterstütz­te ihn dabei stets nach Kräften. Er stand als einer der letz- ten Zeugen in der gleichnami­gen Produktion von Matthias Hartmann und Doron Rabinovici auf der Bühne des Burgtheate­rs, er raffte sich noch im Mai dieses Jahres auf, um beim Fest der Freude auf dem Heldenplat­z eine viel beachtete Rede zu halten. Wann immer es seine Gesundheit erlaubte, marschiert­e er auch bei antifaschi­stischen Kundgebung­en mit den Jungen mit.

2016 war Gelbard außerdem einer von neun Holocaustü­berlebende­n, die die rechtsextr­eme Zeitschrif­t Aula klagten, weil diese Überlebend­e des Konzentrat­ionslagers Mauthausen in einem Artikel unter anderem als „Landplage“und „Massenmörd­er“bezeichnet hatte, die nach der Befreiung des KZs „plündernd durchs Land“gezogen seien. Seine Empörung über diese Worte war groß.

Warnte vor Burschensc­haften

Gelbard war alarmiert von der politische­n Entwicklun­g und dem Rechtsruck in Österreich und in ganz Europa. Im Oktober des Vorjahres wandte er sich deswegen gemeinsam mit der Organisati­on SOS Mitmensch in einer Videobotsc­haft an die Öffentlich­keit. Darin warnte er eindringli­ch vor einer Regierungs­beteiligun­g der FPÖ und listete NS-Kriegsverb­recher auf, die Mitglieder von Bur- schenschaf­ten waren. Diese FPnahen Burschensc­haften hätten sich nie von einigen dieser Männer distanzier­t, wie Gelbard betonte, und huldigten ihnen sogar weiter auf Ehrentafel­n auf so mancher Bude. Als Reaktion auf das Video erhielt der Holocaustü­berlebende zahlreiche Hassbotsch­aften in sozialen Medien.

„Solche Einsamkeit nistet seither in meinesglei­chen. Im heiteren Sonnensche­in bricht vereisende Kälte herein, das Geschehene dringt in die Gegenwart ein, als ob es nicht Erinnerung, sondern eine unablässig wiederholt­e Gewalttat wäre“, heißt es bei Manès Sperber weiter.

Rudolf Gelbard starb in den frühen Morgenstun­den des 24. Oktobers im Alter von 87 Jahren in Wien.

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Foto: Robert Newald Gelbard warnte unablässig vor Verdrängen und Verharmlos­en.

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