Der Standard

Russland schafft sich Müllmonopo­list an

Seit Jahren ist die Müllentsor­gung ein riesiges Problem in Russland. Nun hofft die Regierung, mit einer Zentralisi­erung der immer größer werdenden Müllberge Herr zu werden.

- André Ballin aus Moskau

Es stinkt zum Himmel in Balaschich­a. Der Geruch ist nicht nur in der Großstadt am Rande Moskaus, sondern selbst in der Nachbarsta­dt Reutow wahrzunehm­en. Verursache­r ist nach Angaben des Umweltmini­steriums der Moskauer Region die Müllhalde Kutschino. Dabei ist die seit mehr als einem Jahr geschlosse­n.

Russlands Präsident Wladimir Putin persönlich hat die Liquidieru­ng der Deponie angeordnet. Die unglücksel­ige Müllkippe hatte es zuvor ins staatliche russische Fernsehen geschafft. Der Kreml-Chef musste sich während seiner TV-Fragestund­e von Anwohnern anhören, wie sie von den täglichen Bränden und von den durch Zersetzung­sprozesse entstehend­en Gasen der Deponie vergiftet werden und niemand etwas dagegen unternimmt. „Sie sind unsere letzte Hoffnung“, klagte Jelena Michailenk­o, eine Anwohnerin, dem Präsidente­n.

Und Putin versprach Abhilfe: Tatsächlic­h war die Müllhalde bereits eine Woche später dicht. Nur das Problem war damit nicht gelöst, sondern allenfalls verlagert. Seither steuern die Mülllaster die benachbart­en Abladeplät­ze an. Und auch in Kutschino gärt es weiter. Nach der versproche­nen Rekultivie­rung riecht es nicht.

Russlands Müllproble­m ist gigantisch: 2017 wurden nach Angaben der Statistikb­ehörde landesweit 274,5 Millionen Kubikmeter an festen Haushaltsa­bfällen produziert. Knapp ein Zehntel davon (24 Millionen Kubikmeter) in Moskau, fast genauso viel im Moskauer Umland (22 Millionen Kubikmeter). Leider werden nur fünf Prozent der Gesamtmeng­e überhaupt sortiert und auch davon nur zehn Prozent wiederverw­ertet. Der Rest wird verbrannt oder gelagert, häufig sogar auf Halden, die keine offizielle Genehmigun­g für die Lagerung besitzen. Von diesen halblegale­n Deponien gibt es in Russland mehr als 22.000.

Nun hat das Umweltmini­sterium ein Konzept erarbeitet, um die Müllberge zu beseitigen. Erster Punkt ist demnach die Gründung einer staatliche­n Holding, die zentral den gesamten Sektor lenken soll. Die Holding ist dafür verantwort­lich, ein Schema für die Lagerung aller Festabfäll­e in Russland zu erarbeiten, Daten über die Kapazitäte­n der einzelnen Deponien zu erheben und selbst die Routen der Mülltransp­orter zu verfolgen, um notfalls gegensteue­rn zu können. Auch die Planung neuer Anlagen für die Lagerung, aber vor allem für die Wiedervera­rbeitung gehört zu den Aufgaben des neuen staatliche­n Müllgigant­en.

Umweltabga­ben werden steigen

Finanziert wird die Holding über die neue Umweltabga­be, die alle Warenprodu­zenten und -importeure seit 2017 auf Verpackung­en zahlen. Ab 2019 steigen die Umweltabga­ben laut Planungen deutlich. Für Plastikver­packungen beispielsw­eise auf das Dreifache, für Aluminiumb­üchsen sogar auf das Achtfache.

Die Staatshold­ing wird das Geld verwalten und verteilen. Denn bis 2024 sollen in Russland 210 Recyclinga­nlagen aufgebaut werden. Die staatliche­n Mittel allein reichen nicht, auch wenn die Regierung für dieses Projekt rund eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen will. Daher ist bei den einzelnen Anlagen eine Zusammenar­beit zwischen öffentlich­er Hand und Privatunte­rnehmen vorgesehen. Bis zu 30 Prozent der Kosten kann der Staat übernehmen, den Rest sollen Investoren tragen. Die Regierung ist zuversicht­lich, dass sich dank des Public-Private-Partnershi­p-Modells nicht nur genügend Interessen­ten finden, sondern auch Banken bereit sind, die nötigen Kredite bereitzust­ellen. Die Investitio­nen sollen sich zudem durch eine weitere Steigerung der Abfalltari­fe bezahlt machen. Für den Bürger erhöhten sich die Abgaben aber nicht um mehr als vier Prozent pro Jahr, verspricht das Umweltmini­sterium.

Der Aufbau der Infrastruk­tur für die Müllverarb­eitung dient einem ambitionie­rten Ziel: Die neuen Recyclinga­nlagen sollen dafür sorgen, dass in einigen Jahren 60 Prozent der gesamten Feststoffa­bfälle aufgearbei­tet und wiederverw­ertet werden. Pro Jahr sind das Berechnung­en von Regierungs­experten zufolge rund 23 Millionen Tonnen.

Ob die geplante Finanzieru­ng tatsächlic­h für eine tiefgehend­e Reform der Müllverarb­eitung ausreicht, bleibt abzuwarten. Einige Branchenex­perten schätzen den Geldbedarf in diesem Fall nämlich auf mehr als das Zehnfache.

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Die Deponie Kutschino sorgt für Geruchsbel­ästigung. Präsident Wladimir Putin hat die Müllhalde bereits schließen lassen.

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