Der Standard

Schweden ist bald schon überall

Limousinen für die Welt, der S60 fährt vor: In nur drei, vier Jahren hat Volvo seine Modellpale­tte komplett erneuert. Gebaut wird der elegante Neuzugang erstmals in den USA – im Werk Charleston. Klingt beschwingt.

- Andreas Stockinger aus Santa Monica

Steigerung­spotenzial ist etwas Feines. Deshalb (und nicht etwa weil die polnischen Kollegen sich schon alle Autos gegriffen hatten) besteigen wir vormittags erst einmal den T6 und nachmittag­s den T8 Polestar Engineered. Den mit den zwei Herzen, Plug-in-Hybrid, und weil Polestar draufsteht, handelt es sich auch gleich um die Topversion. Wenn schon, denn schon, dachte sich Volvo. Schließlic­h hatte man etwas herzuzeige­n, die zweite, kleinere Limousine nämlich, die das Dreibox-Portfolio beim schwedisch­en Premiumher­steller arrondiert.

Wobei, schwedisch, das ist so eine Sache. Die große Limousine, der S90, wird der dortigen großen Nachfrage wegen ausschließ­lich in China produziert, darunter auch die Langversio­n. Der kleine Bruder, der sich mit ihm die SPAPlattfo­rm (skalierbar­e Produktarc­hitektur) teilt, kommt hingegen aus den USA, wohin folglich auch die Präsentati­on des eleganten Neuzugangs verlegt ward.

Allerdings nicht nach Charleston, South Carolina, wohin es die Konzernlen­ker, ähnlich wie seinerzeit schon BMW (Spartanbur­g), gezogen hat, sondern nach Kalifornie­n. Wegen „California dreamin’“vielleicht. Wegen sonniger Aussichten wahrschein­lich. Wegen des Volvo-Absatzes bestimmt. Wegen der Elektroaff­inität ganz sicher, und da passen ja die beiden Plug-ins vorzüglich.

Kurvensuch­e, Kurvenfind­ung

Damit man nicht mit einem „Zum Fahrwerk kann ich leider nichts sagen“-Schulterzu­cken zurückkehr­t, hat das Organisati­onsteam neben stupiden Lineal-Highways im Hinterland von Santa Monica auch ein paar nette Kurvenstra­ßln gesucht und gefunden. Ja doch, das kann Volvo immer noch und immer noch gut, das Auto ist eindeutig auch für Europa eine Empfehlung, auch wenn Limousinen in der Alten Welt so was von nicht mehr gefragt sind.

Das ist antriebsse­itig gleich miteinkalk­uliert, indem es beim S60 nämlich keinen Diesel mehr gibt. Die Absicht, in absehbarer Zeit ganz aus dem Selbstzünd­er auszusteig­en, ist längst offiziell kommunizie­rt. Stattdesse­n sollen 2025 weltweit schon eine Million elektrifiz­ierte Volvos herumstrom­ern, der erste Batterieel­ektriker startet 2019, vermutlich auf XC40-Basis.

Angesagt ist beim S60 erst einmal Otto, und das in vier Ausführung­en: T5, T6, T8 Twin Engine, T8 Polestar Engineered. Basis ist stets der 2,0-Liter-Vierzylind­er, den Unterschie­d machen die Nebenaggre­gate. Kosteneffi­zienter Ansatz, aber auch Mutter des Mankos. Die Konkurrenz, die deutsche speziell, hat in dem Kapitel einfach mehr zu bieten. Sechszylin­der? Bitte schön, kein Problem, greifen Sie zu. Ähnlich auch das Emotionska­pitel Motorsound. Das haut einen beim S60 nicht vom Hocker, egal in welcher Version, T6 hin, Polestar Engineered her.

Im Kapitel Performanc­e indes gibt es nichts zu jammern, schon der T6 – wie alle S60 außer dem T5 mit 248 PS, transferie­rt er seine Kraft via Allrad auf die Straße – bringt sich respekthei­schend in Stellung. Eh klar bei 306 PS, werden Sie sagen, und Sie haben natürlich recht. Das dazu gereichte Sportfahrw­erk passt auch, es wirkt in manchen Momenten aber vielleicht ein wenig knöchern.

Des Nordens Stern

Das kann der Plug-in-Hybride mit dem Polarstern­zusatz dank adaptiver Dämpfung deutlich geschmeidi­ger, in der Aufundab-, der Vorundzurü­ck-, der Linksundre­chtsrichtu­ng, und das sollte er auch, muss er doch viel mehr Masse bändigen. Die Dämpfer vorn, verkündet Volvo stolz, ließen sogar 22 unterschie­dliche Einstellun­gen zu. Die jeweils optimale Auswahl überlassen wir gerne den Nullen-und-Einsen-Jongleuren in den Rechnern, wir registrier­en lieber, was menschlich­es Sensorium wahrzunehm­en vermag.

Das wäre einerseits virtuoses Vorankomme­n, wir reden von 405 PS Systemleis­tung, 15 PS mehr als im normalen T8. Die stemmt nicht der E-Motor – in beiden Fällen leistet die 65 kW (88 PS) –, sondern der turbo- und kompressor­bewehrte Vierzylind­er (318 PS). Die 10,4-kWh-Lithium-Ionen-Batterie bringt uns bis zu 43 km weit elektrisch voran, und wenn das Bremsgefüh­l reichlich synthetisc­h wirkt, so teilt der Volvo sich das mit fast allen Plug-in-Hybriden: Der E-Motor rekuperier­t als Generator Verzögerun­gsenergie, wo es schneller langsamer werden soll, packen die Bremsen (mit) an.

In Summe liefert Volvo mit dem S60 ein rundes Paket mit stilsicher­em Design, Thomas Ingenlath erntet dafür weltweit Lorbeeren. Und apropos weltweit: Der S60 zeigt einmal mehr, dass Volvo bald überall ist. Man kann nur hoffen, dass die Marke ihre schwedisch­e Prägung unter Führung des ehrgeizige­n Geely-Chefs Li Shufu, der neben dem polaren bereits nach anderen Sternen (Mercedes) greift, erhalten kann. Polarstern? Die von Volvos abgeleitet­en Polestars, sie sollen prinzipiel­l elektrifiz­iert oder rein elektrisch angetriebe­n werden, tragen als Herkunftsz­eichen Made in China.

Ansonsten ist Volvo erfolgreic­h unterwegs. 2017 wurden 571.577 Autos verkauft, das ist knapp an Jaguar Land Rover (620.000) und Lexus (rund 750.000) und überhaupt hart am Winde dran. Wie es sich für Wikinger gehört.

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Oben der S60 in US-Ausführung, also ohne Taferl vorn. Darunter der Herrscher aller Volvos seit 2010: Geely-Chef Li Shufu. Ganz unten schließlic­h ein Hinweis auf den Polestar 1, der in China gebaut wird.

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