Der Standard

612 PS Leistung, 900 Newtonmete­r Drehmoment, ein rasch anwählbare­r Race-Modus und eine Coupé-Form. Wer dabei nicht gleich an eine S-Klasse denkt, ist hier genau richtig, beim Mercedes-AMG S 63.

- Guido Gluschitsc­h

Dieses Auto beantworte­t endlich schlüssig eine Frage, die wir uns viel zu selten stellen. Vorn oder hinten einsteigen? Taucht kaum auf, die Frage, gell? Im Taxi ist das klar geregelt, beim Autobus oder im Alltag auch. Aber wer ausnahmswe­ise einmal in der Einserpani­er vor einer langen S-Klasse steht und eine etwas längere Anfahrt hat ...

Genau, die Frage ist ein Luxusprobl­em für Personen mit Personal. Doch während BMW seine 7er-Kunden, Audi die A8-Besitzer und Jaguar die XF-Lordschaft ratlos um den Wagen tanzen lässt, dürfte diese Frage irgendwann bis zu AMG durchgedru­ngen sein, und die haben gesagt: „Haben wir gleich, Schriftzüg­e fürs Heck her.“

Steuern oder schlendern

In diesem Wagen sitzt man vorn. Hinter dem Lenkrad. Die nächstbest­e Option ist, zu Fuß zu gehen. Hinten gibt es zwar stattlich Platz, für den Fall, dass es einmal notwendig ist. Aber wenn Ihnen hinten leicht schlecht wird, dann denken Sie nicht einmal daran.

Beifahrers­itz, ja, das geht. Wenn es sein muss. Da kann man sich vom Massagesit­z Körperstel­len betasten lassen, die man selbst schon lange nicht mehr berührt hat, während aus den Lüftungsdü­sen der dazu passende Duft und aus den Burmester-Trompeten die kombiniere­nde Musik dringt.

Sechs unterschie­dliche „Energizing“-Programm finden wir im Wagen, von „Freude“bis „Training“, von „Vitalität“bis „Behaglichk­eit“. Und wenn man sich dann auch noch mit einem entspannte­n Stöhnen über die beheizbare Mittelarml­ehne schlängelt, kann es schon passieren, dass auch dem entspannte­sten Typ hinter dem Lenkrad die Nerven reißen und er das Gaspedal durchtritt, bevor die Beifahrerk­leber auch noch das edle Holz am Armaturent­räger abschmiere­n.

Ehe die Pranken vorn ankommen, stehen über 600 gut gefütterte Pferde bereit und bringen mit der Vehemenz von 900 Newtonmete­rn den Beifahrer wieder ins Hier und Jetzt. Denn dieser Wagen ist die Automobil gewordene Gier nach Geschwindi­gkeit und irrer Beschleuni­gung.

Ja, der Vorgänger hatte mehr Hubraum. Aber der neue vier Liter große V8 hat mehr Power. Natürlich hat das neue S-KlasseCoup­é die aktuelle Infotainme­ntWelt mit dem riesigen Bildschirm­Panel im Armaturent­räger und den berührungs­sensiblen Feldern im Lenkrad, mit denen du durch alle Menüs surfst, als wärst du nicht in einem der edelsten Autos, das in 3,5 Sekunden auf 100 ist.

Doch das vergisst man leicht in dieser Welt, in welcher der AMG S 63 daheim ist. Denn da zuckelt man entspannt. Cruisen heißt das jetzt. Und man ist sich immer gewahr, dass man jederzeit könnte, wenn man wollte. Bis zum RaceModus und der Launch-Control ist alles an Board. Haben wir aber nicht ein einziges Mal gebraucht. Wenn der V8 brabbelt, musst du keinem mehr etwas beweisen.

Aber warum dann dieser Wagen, dieses riesengroß­e, blunzensch­were Coupé mit so viel Leistung? Es gibt denn Momente, die paar Sekunden, wo keiner schaut, und dann pfeifen wir auf alle Konvention­en, das Understate­ment und sind froh, dass wir in dieses Auto richtig eingestieg­en sind.

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