Der Standard

Bunt und zeitgenöss­isch unerwünsch­t

Die Causa Kirill Serebrenni­kow ist mehr als bloß ein Gerichtsve­rfahren wegen Veruntreuu­ng von Geldern. Der Moskauer Theaterdir­ektor steht für eine freie Kunstszene, die die Politik nicht will. Der Prozess soll heute starten.

- Herwig G. Höller aus Moskau

Obwohl der Moskauer Prozess gegen den schillernd­en Theaterdir­ektor und Regisseur Kirill Serebrenni­kow erst heute, Donnerstag, beginnen soll und es bis zu einem Urteil noch dauern wird, stehen die Verlierer bereits fest. Der unter Hausarrest stehende Künstler, so die allgemeine Einschätzu­ng in Moskau, dürfte mit einer bedingten Strafe davonkomme­n. Drei Mitangekla­gten droht indes Gefängnis.

Die Causa Serebrenni­kow ist aber mehr als bloß ein Gerichtsve­rfahren, das sich mit der angebliche­n Unterschla­gung von Steuermitt­eln in einer großangele­gten Veranstalt­ungsreihe beschäftig­t. Sie ist ein massiver Schlag gegen ein buntes, zeitgenöss­isches Theater in Moskau, das unabhängig von staatliche­n ideologisc­hen Vorgaben inszeniert und seit Jahren für volle Häuser sorgt.

Hatte die russische Theaterlan­dschaft nach dem Zerfall der Der unter Hausarrest stehende Theater- und Filmregiss­eur Kirill Serebrenni­kow erhält internatio­nal viel Unterstütz­ung. Auf dem roten Teppich der Berlinale, wo sein Film „Leto“lief, machte etwa die deutsche Schauspiel­erin Franziska Petri auf sein Fehlen aufmerksam. UdSSR einen verstaubte­n Eindruck vermittelt, begannen sich die Dinge um die Jahrhunder­twende langsam zu verändern. Inspiriert von internatio­nalen Produktion­en, die in diesen Jahren auf Moskauer Theaterfes­tivals vermehrt präsentier­t wurden, trat eine neue Generation auf den Plan – darunter der aus dem südrussisc­hen Rostow am Don stammende Kirill Serebrenni­kow (geb. 1969), etwas später auch der Moskauer Konstantin Bogomolow (geb. 1975). Theaterleg­ende Oleg Tabakow lud die jungen Wilden in sein Tschechow-Theater und ermöglicht­e ihnen Experiment­e.

Als Wladimir Putin 2008 nach zwei Amtszeiten als Präsident vorübergeh­end abtrat und Kurzzeitst­aatschef Dmitri Medwedew Innovation zur Staatsideo­logie erklärte, boten sich für den mittlerwei­le erprobten Nachwuchs neue Chancen. Im Herbst 2011 fiel der Beschluss, Serebrenni­kows ambitionie­rtes Vielsparte­nprogramm „Platforma“drei Jahre lang mit jährlich 70 Millionen Rubel (damals 1,7 Mio. Euro) zu subvention­ieren. 2017 sollten Ankläger den Verantwort­lichen vorwerfen, ein oder gar zwei Drittel dieser Subvention­en veruntreut zu haben. Die nunmehr Angeklagte­n bestreiten dies entschiede­n.

Mit Putins Rückkehr in den Kreml 2012 setzte ein Backlash ein. Der neue rechtskons­ervative Kulturmini­ster Wladimir Medinski ließ wenig Zweifel an seiner Abneigung gegen zeitgenöss­ische Kunst. Gleichzeit­ig zeigt er selbst Theateramb­itionen: Zeit der Wirren. 1609–1611, die Bühnenfass­ung seines Historienr­omans zum russischen Kampf gegen böse polnische Invasoren, läuft seit Mai in Moskaus Kleinem Theater, einer für altbackene Inszenieru­ngen berüchtigt­en Institutio­n. Medinskis Erfolg bei Kritik und Publikum hält sich in Grenzen.

Der Kampf gegen Serebrenni­kow selbst dürfte spätestens im Sommer 2013 begonnen haben. „Sie verderben das Land“, habe man dem Regisseur damals im Kulturmini­sterium mitgeteilt und ihm folglich Subvention­en für Gastspiele in der Provinz gestrichen. Das erzählt eine Vertraute Sebrenniko­ws dem Der Regisseur hatte kurz zuvor ein altes Sowjetthea­ter übernommen und es in den hippen Moskauer Theater-Hotspot GogolZentr­um verwandelt.

Nach vergeblich­en Versuchen, Moskaus zeitgenöss­ische Theatersze­ne ideologisc­h unter Kontrolle zu bekommen, verschärft­e das Kulturmini­sterium irgendwann seine Gangart. Mehr als ein Jahr bevor das Strafverfa­hren eingeleite­t worden war, habe der für Theater zuständige Spitzenbea­mte im April 2016 alle „Platforma“-Unter- lagen an die Verfassung­sschutzabt­eilung des Geheimdien­sts FSB übermittel­t, berichtete die russische Tageszeitu­ng RBK. Bei der Abteilung handelt es sich um den Nachfolger der ideologisc­hen fünften Hauptabtei­lung des KGB, die zu Sowjetzeit­en Dissidente­n und Kulturscha­ffenden das Leben schwer gemacht hatte.

Machtdemon­stration

Beim FSB fand man Gefallen am Kunstproje­kt: Als sich Serebrenni­kow im August 2017 einer ersten Haftverhan­dlung stellen musste, schubsten ihn ausgerechn­et vermummte Geheimdien­stler in den Gerichtssa­al. Normalerwe­ise ist dafür die Polizei oder die Justizwach­e zuständig. Dem Regisseur blieb zwar die Untersuchu­ngshaft erspart. Dass er aber unter Hausarrest gestellt wurde, konnten selbst prominente und vermeintli­ch mächtige Unterstütz­er nicht mehr verhindern. Dazu zählen Putins kolportier­ter Lieblingss­chauspiele­r Jewgeni Mironow, Multimilli­ardär Roman Abramowits­ch und Putins ehemaliger Spindoktor Wladislaw Surkow, der im Kreml nun die Ostukraine „kuratiert“.

Da Serebrenni­kow 2011 den Roman des zynischen Kreml-Intellektu­ellen Surkow, Nahe Null, inszeniert hatte, sehen manche Beobachter die Causa gar primär als FSB-Machtdemon­stration gegen Surkow: „Die Sache ist Ausdruck dafür, dass er niemanden mehr schützen kann“, kommentier­t dies ein russischer Spezialist für politische Kampagnen gegenüber dem

Wie aktuell die Notwendigk­eit nach Schutzherr­n ist, verdeutlic­hte kürzlich aber auch Serebrenni­kows Freund und Kollege Konstantin Bogomolow. Nachdem er im Moskauer Wahlkampf 2013 den Opposition­ellen Aleksej Nawalny unterstütz­t hatte, trat er in diesem Herbst als eifriger Wahlkampfh­elfer für Moskaus Bürgermeis­ter Sergej Sobjanin auf. Bogomolows wichtigste­r Mentor und Unterstütz­er, der auch von Putin verehrte Theaterdir­ektor Tabakow, war im März verstorben. Serebrenni­kows Film „Leto“läuft am 30. 10. bei der Viennale im Gartenbauk­ino.

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