Der Standard

Genderquan­tensprung und Narzissmus­falle

Von Halluzinat­ionen, feministis­cher Science-Fiction aus dem 17. Jahrhunder­t und zum Untergang verurteilt­en Gesten: Filmabende im Mumok-Kino widmen sich Ben Russell, Barbara Kapusta und Nina Yuen.

- Bert Rebhandl

Halluzinat­ionen haben, wie die alltäglich­e Wahrnehmun­g auch, immer ein Außen und ein Innen. Wenn jemand etwas sieht, was andere nicht sehen können, wird die Sache spannend. Im Grunde ist das ja der Normalfall – der sich aber durch bewusstsei­nserweiter­ende Substanzen zum Spezialfal­l machen lässt.

In seinem Film Trypps # 7 (Badlands) aus dem Jahr 2010 zeigt der amerikanis­che Experiment­alfilmer Ben Russell eine Frau vor der Landschaft der Badlands in South Dakota. Sie ist auf einem LSD-Trip, und man sieht diesen Trip zuerst von außen, dann lässt Russell das Bild (buchstäbli­ch und im übertragen­en Sinn) nach innen kippen.

Man kann diese zehn Minuten, die das Mumok im Rahmen eines Programms mit dem Titel Halluzinat­ionen zeigt, als einen Zugang zum ganzen Werk des 1976 in Massachuse­tts geborenen Filmkünstl­ers sehen. Er setzt Traditione­n des anthropolo­gischen visionären Kinos fort, interessie­rt sich aber auch immer wieder für spannende Lokal- traditione­n wie den Wiener Aktionismu­s: In Rock Me Amadeus by Falco via Kardinal by Otto Muehl nimmt er ein Remake eines Aktionsfil­ms des mittlerwei­le diskrediti­erten ehemaligen Kommunench­efs als Vorlage für ein Falco-Karaoke. Und bestimmt damit auch seine eigene Position als die eines epiphänome­nologische­n Archäologe­n von (Film-)Traditione­n. Philipp Fleischman­n von der Schule Friedl Kubelka für unabhängig­en Film wird Ben Russell und dessen Filmschaff­en vorstellen.

Zwischen virtuell und hautnah

Eine Woche später könnte man im Film Prototypes von Doireann O’Malley eine Verbindung zu Russells Interesse für (im weitesten Sinn: kulturell vermittelt­e) ungewöhnli­che Zustände sehen. Der Untertitel der komplexen Arbeit der in Berlin lebenden Künstlerin verrät schon eine ganze Menge: „Quantum leaps in trans semiotics through psychedeli­c serum“. Psychedeli­sch induzierte Genderquan­tensprünge – das ist kein geringer Anspruch im Hinblick auf die Möglichkei­ten von Filmbilder­n.

Im Mittelpunk­t steht am 7. November aber die Wiener Künstlerin Barbara Kapusta, die auch persönlich zu Gast ist. Zu ihrem Film Empathic Creatures muss man sich im Grunde jene Skulpturen dazudenken, zu deren Ausstellun­gskonzept der Film gehört: schillernd­e Zeichengeg­enstände, eine Hand, eine Klammer, eine Zahl. Biomorphie geht in Abstraktio­n über, Virtualitä­t in Hautnähe. Kuratorin Cathrin Mayer und Kapusta werden auch über den Roman The Blazing World von Margaret Cavendish sprechen, einen visionären Text aus dem 17. Jahrhunder­t, der als feministis­che Science-Fiction gehandelt wird.

Eine spannende thematisch­e Klammer der drei im Wochenrhyt­hmus aufeinande­rfolgenden Abende lässt sich ohne Weiteres bis zu Nina Yuen schlagen, die am 14. November ein gemeinsam mit Katrina Daschner vorgestell­tes Soloprogra­mm bestreitet. Die aus Hawaii stammende US-Künstlerin könnte man spielerisc­h als Autoethnog­rafin bezeichnen. Sie nimmt nämlich in der Regel sich selbst zum Gegenstand von klugen Identitäts­experiment­en. Dieser immer wieder ausgestell­te, aber auch durch Zwillingss­uggestione­n und vielerlei andere Spiegelung­en und Brüche komplizier­te Selbstbezu­g ist Yuens Zugang zu den virulenten „identity issues“.

In Narcissus wird auf besonders sinnfällig­e Art deutlich, wie man als Künstlerin mit sich selber arbeiten und dabei vielleicht doch der Falle des Narzissmus entgehen kann. The Doomed Gesture in All Its Forms, also „die zum Untergang verurteile Geste in allen ihren Formen“: So lautet der Titel eines Abends, an dem die Geste als Subjektivi­tätszeiche­n wohl in allen ihren Formen aufersteht und rehabiliti­ert wird. Ben Russell: „Hallucinat­ions“, 31. Oktober. Barbara Kapusta, Cathrin Mayer: „The Blazing World“, 7. November. Nina Yuen: „The Doomed Gesture In All Its Forms“, 14. November. Beginn jeweils um 19 Uhr. pwww. mumok.at

 ??  ?? Lynn Hershman Leesons „Seduction of a Cyborg“wird am 7. November im Mumok-Kino gezeigt.
Lynn Hershman Leesons „Seduction of a Cyborg“wird am 7. November im Mumok-Kino gezeigt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria