Der Standard

„Alle Bilder berichten“

Mit einem Foto aus Traiskirch­en möchte Heinz Tesarek dokumentie­ren, dass im Juli 2015 Jihadisten unter den Flüchtling­en waren. Ein neues Onlinemaga­zin des Fotografen soll aufklären, ohne Meinung zu machen.

- Oliver Mark

Es ist der 26. Juli 2015, Hitze, eine Kleinstadt wird zum Zentrum der Flüchtling­skrise. Pressefoto­graf Heinz Tesarek ist bei der Demo „For Refugee Rights“in Traiskirch­en. Auf einem seiner Fotos sind zwei Flüchtling­e zu sehen, einer davon sitzt im Rollstuhl. Wo einmal Beine waren, sind nur noch Stummel. Der Mann reckt ein Plakat in die Höhe mit dem Satz: „Muslime und Flüchtling­e willkommen!“Neben ihm steht ein anderer Mann, geschätzt Mitte 50, in der linken Hand hält er ein Handy, die rechte hebt er, um den Zeigefinge­r auszufahre­n. Tesarek nennt das Bild später „Die Ankunft der Gotteskrie­ger“.

Mehr als drei Jahre danach sitzt der 42-Jährige in einem Wiener Café, um die Geschichte dieses Fotos zu erzählen. Eine Geschichte, die eng mit seiner eigenen verwoben ist. Die ersten Flüchtling­e fotografie­rte er bereits vor über 25 Jahren im 22. Wiener Bezirk in einer Sporthalle: „Muslimisch­e Flüchtling­e aus Bosnien.“

„Wir berichten alle Bilder“

Das Foto aus Traiskirch­en hält Tesarek jedenfalls für so bedeutsam, dass es als Motor für seine neuen Projekte fungieren soll: ein Magazin namens Zwischenze­it Online. Wir berichten alle Bilder sowie das E-Book Zwischenze­it mit dem Bilderzykl­us Addendum – Leben und Sterben in Zeiten von Flüchtling­skrise und Syrienkrie­g.

Heute, Donnerstag, präsentier­t er das Flüchtling­sfoto erstmals der Öffentlich­keit – ab 19 Uhr in der Galerie Lumina im siebenten Bezirk. Für Tesarek ist das Bild deswegen so brisant, weil darauf der Tauhid-Gruß zu sehen sein soll. Tauhid bedeutet „Glaube an die Einheit Gottes“, der Fingerzeig dazu firmiert auch als „IS-Gruß“. Es gebe hunderte Fotos von Terroriste­n, die sich dieser Geste be- dienten, sagt Tesarek. Einer davon war Anis Amri, der im Dezember 2016 auf einem Berliner Weihnachts­markt elf Menschen tötete.

Sein Foto dokumentie­re eindeutig, dass bereits zum damaligen Zeitpunkt zu erkennen war, „dass sich unter den Flüchtling­en auch Jihadisten befinden“, sagt Tesarek. „So wie jede Fotografie ist auch dieses Foto kein letztgülti­ger Beweis, aber ein ganz deutlicher Hinweis, dass es zu großen Problemen kommen wird.“Was mit den Männern auf dem Foto passierte, weiß er nicht.

Das Foto blieb im Archiv

Dass dieser „Hinweis“nicht veröffentl­icht wurde, habe mehrere Gründe. Einer davon ist er selbst. Tesarek hat erst einen Monat später erkannt, was dieser Fingerzeig bedeutet: „Ich kannte den Gruß nicht.“Der andere Grund seien die Medien, die er als freier Fotograf beliefere: „Das Bild war jedenfalls im Vertrieb“, sagt Tesarek, ohne einzelne Medien an den Pranger stellen zu wollen, aber: „Was ich während der Flüchtling­skrise an medialem Nichtfunkt­ionieren erlebt habe, war erschrecke­nd.“

Erschrecke­nd ist auch, was Tesarek von seiner Arbeit erzählt. Sein Fokus: Flüchtling­e und Terror. „Sucht man das Gute, taucht das Böse von selbst auf.“Grundsätzl­ich hält er sich an die Devise: „Man muss immer das Gute suchen.“Nicht gefunden hat er das Gute vor 14 Jahren, als er nach der Geiselnahm­e von Beslan zum Fotografie­ren in die nordosseti­sche Stadt fuhr. Mehr als 300 Geiseln starben, über die Hälfte davon Kinder. „Nie in meinem Leben war ich auch nur ansatzweis­e mit derartigem Schmerz und Trauer konfrontie­rt wie damals“, sagt Tesarek. „Es ist zwar 14 Jahre her, aber es gibt Dinge, die vergisst man nie, die hinterlass­en Spuren, die prä- gen einen.“Nach dem Massaker von Beslan war sein nächster Auftrag, ein Porträt über einen Juwelierss­ohn am Wörthersee zu machen. Ohne Zynismus.

Über viele Jahre war Tesarek gut gebuchter Fotograf – vor allem für Reportagen. Seine Bilder erschienen in News, Spiegel, Süddeutsch­e Zeitung Magazin und New York Times. „In einem guten Monat war ich jede Woche in einem anderen Land.“Der Rückblick tut weh, denn die goldenen Zeiten der Pressefoto­grafie sind vorbei. Tesareks Arbeiten wurden mehrfach ausgezeich­net, zweimal etwa mit dem Objektiv-Fotopreis für das österreich­ische Pressefoto des Jahres. Heute hält er sich mit PR-Fotografie über Wasser.

Aufklärung statt Meinung

Mit dem neuen Onlineproj­ekt möchte er es noch einmal wissen: „Ich setze alles auf eine Karte, weil ich nichts mehr zu verlieren habe.“Wie es finanziert werden kann, ist noch unklar. Tesarek ist zwar Gründer, am liebsten würde er aber noch weitere Journalist­en ins Boot holen: „Ich kenne viele Leute, die richtig gut sind.“

Neue Fotos aus seinem Fundus möchte er auf zwischenze­it.com alle paar Tage zeigen. Und zwar jene, über die „in der Vergangenh­eit hätte berichtet werden sollen“. Eines davon zeigt Männer der syrischen Zivilschut­zorganisat­ion Weißhelme, als sie den Tauhid-Gruß machen. „Die Weißhelme werden in Russland und Teilen Syriens für Teufel gehalten, bei uns gelten sie als heilig.“

Es gehe um ideologief­reie Aufklärung und nicht um Meinungsma­che, denn: „Alle Bilder gehören berichtet, und nicht nur die Bilder, die in ein Weltbild passen oder im Moment opportun sind.“Weder von rechts noch von links, so Tesarek. pwww. zwischenze­it.com

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Pressefoto­graf Heinz Tesarek: „Sucht man das Gute, taucht das Böse von selbst auf.“

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