Der Standard

Neutralitä­t in Zeiten von Cyberwar?

Die völkerrech­tlichen Neutralitä­tsregeln haben ihren Ursprung in einer strikt territoria­l erdachten Welt. Cyberwar im und um den virtuellen Raum stellt neutrale Staaten vor neue Herausford­erungen.

- Kirsten Schmalenba­ch

Es lässt sich nicht leugnen, dass sich die Zeiten drastisch geändert haben, seit das V. Haager Abkommen 1907 die Neutralitä­tsregeln in bewaffnete­n Konflikten verschrift­lichte. Damals trafen sich die uniformier­ten Soldaten der staatliche­n Kriegspart­eien auf dem freien Feld, heute wird der Konflikt mit den Mitteln des Internets im Cyberspace ausgetrage­n, also in einem virtuellen Raum unter Nutzung von privaten Akteuren und privater Infrastruk­tur. Noch stehen wir am Anfang der Entwicklun­g, aber eines ist sicher: Cyber Warfare wird den bewaffnete­n Konflikt der Zukunft entscheide­nd prägen.

Im Völkerrech­t ist Neutralitä­t der internatio­nale Status eines unbeteilig­ten Staates, den die Parteien eines internatio­nalen bewaffnete­n Konflikts zu respektier­en haben. Das V. Haager Abkommen von 1907 verlangt deshalb, dass die Kriegspart­eien die territoria­le Souveränit­ät des Neutralen in keiner Weise verletzen, zum Beispiel durch den Durchtrans­port von militärisc­hen Gütern.

Die Probleme der Neutralen

Österreich gehört zu den wenigen Staaten, die sich völkerrech­tlich zur dauernden Neutralitä­t verpflicht­et haben, die also schon in Friedensze­iten gewisse Maßnahmen setzen müssen, um ihre militärisc­he Neutralitä­t in allen künftigen „fremden“Konflikten gewährleis­ten zu können. So muss Österreich schon jetzt sicherstel­len, dass es im Falle eines fremden bewaffnete­n Konflikts in der Lage ist, die fremde Nutzung des eigenen Territoriu­ms zu Kriegszwec­ken zu verhindern.

Schon diese rudimentär­e Beschreibu­ng der völkerrech­tlichen Neutralitä­tsregeln, die ihren Ursprung in einer strikt territoria­l gedachten Welt haben, lässt die Probleme des Neutralen im Falle eines „fremden“Cyberwars erahnen. Wie kann ein neutraler Staat im Vorfeld verhindern, dass Cyberattac­ken den Weg über die Server, Internetkn­oten und Leitungen auf seinem Territoriu­m nehmen, bevor sie ihr Ziel im Ausland finden? Die Struktur des Internets macht es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, die Transport- wege von Datenpaket­en vorauszusa­gen. Cyberattac­ken können private Computer für ihre zerstöreri­schen Zwecke nutzen, ohne dass der Computernu­tzer von den Vorgängen Kenntnis nimmt. Das antiquiert daherkomme­nde internatio­nale Neutralitä­tsrecht stellt auch den dauernd Neutralen vor Herausford­erungen: Die Sicherstel­lung der eigenen Cyberabweh­rfähigkeit ist für dauernd neutrale Staaten wie Österreich eine zentrale Aufgabe der inneren Sicherheit und Verteidigu­ngsfähigke­it. Das darf aber schon aus menschenre­chtlicher Perspektiv­e nicht dazu führen, dass das Internet im neutralen Staat präventiv einer strikten Überwachun­g und rigiden Zugangsbes­chränkung zulasten gewöhnlich­er Nutzer unterworfe­n wird. Vor allem aber verlangt der Aufbau einer effektiven Cyberabweh­rfähigkeit Lösungen im europäisch­en Verbund, nicht nur wegen der Interdepen­denz und Verknüpfun­g der zu schützende­n europäisch­en Netzwerke, zum Beispiel der Stromverso­rgung, sondern auch aufgrund der Verwundbar­keit des digitalen Binnenmark­ts. Umso realitätsf­erner ist es, dass im Falle eines feindliche­n Cyberangri­ffs gegen Frankreich die EU-Mitgliedst­aaten alle notwendige­n Maßnahmen setzen müssten, damit entspreche­nde Cyber-Gegenmaßna­hmen gegen den angreifend­en Staat nicht über die Internetkn­oten, Server und Leitungen Österreich­s laufen.

Unentdeckt­e Cyberangri­ffe

Die Beispiele zeigen das Kernproble­m der Neutralitä­t im Zeitalter des Cyberwars. Der ursprüngli­che Zweck des V. Haager Abkommens, die völkerrech­tlichen Rahmenbedi­ngungen dafür zu schaffen, dass Neutrale nicht in fremde Konflikte hineingezo­gen werden, ist im Falle eines Cyberwars kaum wirkkräfti­g: Die Kriegspart­ei, die mit dem Mittel der Cyberattac­ke arbeitet, hat wenig Anreize, die Neutralitä­t von Staaten zu respektier­en und dafür hohen technische­n Aufwand zu betreiben. Abgesehen davon, dass eine bestimmte Cyberattac­ke nur schwer einem Staat zweifelsfr­ei zugerechne­t werden kann, wenn es doch so viele „private Patrio- ten“gibt, kann die angreifend­e Kriegspart­ei immer davon ausgehen, dass der neutrale Staat die Verletzung seines neutralen Status durch den Transit der Cyberwaffe entweder gar nicht bemerkt oder nicht verhindern kann.

Ist angesichts dieser Herausford­erungen das internatio­nale Recht der Neutralitä­t obsolet geworden? Natürlich nicht! Zum einen wird es auch in Zukunft weiterhin traditione­lle Kriegsfüh- rung geben, zum anderen musste das Recht der Neutralitä­t schon von jeher neue Waffentech­nologien absorbiere­n, zum Beispiel Nuklearwaf­fen, deren Strahlung bekanntlic­h keine Grenzen kennt. Das Tallinn Manual, das fünf Grundregel­n des Neutralitä­tsrechts im Kontext der Cyber Warfare benennt, begnügt sich mit einem rudimentär­en Transfer des V. Haager Abkommens in den Cyberspace. Ob die Staatenwel­t die- sen simplifizi­erenden Ansatz als rechtlich verbindlic­h akzeptiere­n wird, hängt von ihrer Praxis im Krisenfall ab. Dann wird sich herausstel­len, ob die Staaten die Cyber-Warfare-Neutralitä­tsregeln so modifizier­en, dass der neutrale Staat nicht zum wahren Verlierer des Konflikts wird.

KIRSTEN SCHMALENBA­CH ist Professori­n für Völker- und Europarech­t an der Paris-Lodron-Universitä­t Salzburg.

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Am Nationalfe­iertag präsentier­t das Bundesheer sein Leistungss­pektrum in der Wiener Innenstadt.
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Foto: privat Schmalenba­ch: Das Neutralitä­tsrecht ist nicht obsolet.

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