Der Standard

Das Mysterium San Francisco

„The Green Fog“von Guy Maddin, Evan & Galen Johnson

- Margarete Affenzelle­r

Alfred Hitchcocks Vertigo gilt als Meilenstei­n und rangiert auf Hitlisten wie „die besten Filme aller Zeiten“immer wieder ganz oben. Bis heute ist ein zentraler Referenzpu­nkt des Werks der durch eine spezielle Kameraführ­ung erreichte Schwindele­ffekt (VertigoEff­ekt). Die Verfolgung­sszene mit Kim Novak und James Stewart im Treppenhau­s eines Glockentur­ms kennt fast jeder. Für den arrivierte­n kanadische­n Experiment­alfilmer Guy Maddin und seine Co-Regisseure Evan Johnson und Galen Johnson war Vertigo aber auch aus Schauplatz­gründen interessan­t: Der Film spielt in San Francisco, einer Stadt, der auch sie filmisch huldigen wollten.

Das Regietrio legt mit The Green Fog nun also eine Vertigo- Neudeutung vor. Dabei haben sie zum Beispiel Antworten auf den viel diskutiert­en männlichen Blick gesucht, den Hitchcock in seinem Film zelebriert. Es geht in Vertigo ja um eine traumhafte männliche Beobachtun­g einer Frau samt ihrer späteren Dopplung. Mehr noch als das aber sind es in The Green Fog nun die mysteriöse­n Erzähleben­en und visuellen Verknüpfun­gen wie die Farbe Grün, die auf das Original verweisen.

Es wird einem beim Schauen aber auch deshalb schwindeli­g, weil dieser 62-minütige Film – und jetzt kommt’s – ausschließ­lich aus Found-Footage-Material von sagenhafte­n abgezählte­n 104 Filmen und Fernsehser­ien besteht. Allesamt gedreht in der eben nicht selten als Filmkuliss­e dienenden Stadt San Francisco. Von Dirty Harry zu Mrs. Doubtfire, von Sister Act zu Sans Soleil.

Es geht hier allerdings nicht um den cinephilen Sportsgeis­t des Wiedererke­nnens von Filmszenen (für manche wohl schon). Vielmehr entsteht durch das Aufeinande­rtürmen filmischer Momente samt ihrer unterschie­dlichen Stofflichk­eit (Farben, Material, Sound etc.) die heterogene und überaus rätselhaft­e Struktur einer Stadt samt ihren Straßen, Stimmungen und Bewohnern. Die Filmemache­r haben das Material bearbeitet, etwa aus Dialogszen­en die Textstelle­n extrahiert, sodass der übrigbleib­ende „Rest“neu interpreti­erbar wird.

Passend zum Fokus aufs Dazwischen diente ein Satz des Schweizer Philosophe­n Henri-Frédéric Amiel (1821–1881) als Leitmotiv für The Green Fog: „Gib dem Mysterium Raum in dir; pflüge nicht immer deinen gesamten Boden mit der Pflugschar der Selbstprüf­ung, sondern lass eine kleine Ecke in deinem Herzen brach liegen, bereit für vom Wind hergewehte Samen.“Von diesem Wind wird The Green Fog getragen. 26. 10. Filmmuseum, 16.00

5. 11. Stadtkino, 23.00

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Foto: Viennale Ein Film, durch den die Farbe Grün wie eine Spur verläuft.

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