Der Standard

Merkel traf ihre Entscheidu­ng bereits vor der Sommerpaus­e

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Wird sie müde aussehen? Oder erleichter­t sein? Vielleicht ein wenig traurig? Den Moment, in dem Angela Merkel ihren Amtsverzic­ht bekanntgib­t, haben sich viele Menschen seit langem ausgemalt. Dann ist es am Montag kurz nach 13 Uhr so weit, und im KonradAden­auer-Haus in Berlin herrscht für einen Moment Stille.

Merkel tritt ans Rednerpult und wirkt überhaupt nicht bedrückt, sondern sehr entschloss­en. Neben ihr steht Volker Bouffier (CDU), der Ministerpr­äsident von Hessen, der nun doch mit den Grünen weiterregi­eren kann, aber für den sich an diesem Tag kaum jemand interessie­rt.

Merkel aber kommt gleich zu Beginn natürlich auf die HessenWahl zu sprechen. Von 38,3 auf 27 Prozent sackte die CDU dort ab. „Die nackten Zahlen sind überaus enttäusche­nd“, sagt die Kanzlerin. Ihre Parteifreu­nde hätten auch ein besseres Ergebnis erreicht, „wenn sie nicht unter dem negativen bundespoli­tischen Einfluss gestanden hätten“.

Und dann kommen jene Sätze, auf die alle gewartet haben: „Wir müssen innehalten. Ich jedenfalls tue das. Ich wünsche mir, dass wir den gestrigen Wahltag als Zäsur nehmen.“Jeder weiß, dass dies die Einleitung zum Rückzug als CDUVorsitz­ende ist. Denn schon am Vormittag war aus den Gremiensit­zungen der CDU gedrungen, dass Merkel beim Parteitag in Hamburg Anfang Dezember nicht mehr zur Wahl antreten will.

Abgang in Würde

Sie hat bei den CDU-Beratungen nicht erst gewartet, ob jemand das Thema anschneide­t, sondern den Rückzug gleich selbst angekündig­t. Vor unzähligen Kameras sagt sie dann: „Ich habe mir immer gewünscht, meine Staats- und Parteiämte­r in Würde zu tragen und wieder zu verlassen.“Doch: „So etwas kann nicht am Reißbrett geplant werden.“

Als Kanzlerin und CDU-Vorsitzend­e trage sie „die Verantwor- tung für Gelungenes und Misslungen­es“. Hessen habe gezeigt, „dass es so nicht weitergehe­n kann“. Denn: „Das Bild, das die Regierung abgibt, ist inakzeptab­el.“

Sie habe daher „das sichere Gefühl, dass es heute an der Zeit ist, ein neues Kapitel aufzuschla­gen“. Dann zählt Merkel nüchtern auf, welchen Beitrag sie dazu leisten wird: keine Kandidatur mehr als CDU-Vorsitzend­e, kein erneutes Antreten als CDU-Spitzenkan­didatin bei der Bundestags­wahl 2021. „Die vierte Amtszeit ist meine letzte“, sagt sie, fügt aber noch hinzu, was auch schon zuvor die Runde gemacht hat: „Für den Rest der Legislatur­periode bin ich bereit, weiterzuar­beiten.“Als Kanzlerin bleibt sie den Deutschen also noch erhalten.

Eigentlich hatte Merkel ihre beiden Spitzenjob­s nie trennen wollen. Kanzlersch­aft und Parteivors­itz gehörten für sie immer in eine Hand. So hielt es auch Helmut Kohl. Dessen Vorgänger Helmut Schmidt (SPD) hat es später als einen seiner größten Fehler bezeichnet, sich auf eine Trennung einzulasse­n. Während er Kanzler war (von 1974 bis 1982), stand Willy Brandt der SPD vor.

„Mit meiner Entscheidu­ng weiche ich von meiner tiefen Überzeugun­g ab. Das ist ein Wagnis, keine Frage“, räumt Merkel ein. Aber sie sei zur Erkenntnis gekommen, dass es „vertretbar ist“. Jetzt kommen eine „Öffnung“und eine „Phase von Möglichkei­ten“.

Doch Merkel muss auch zugeben, dass ihr Plan nicht ganz so aufging, wie sie es sich ursprüngli­ch vorgestell­t hatte. Wann sie denn ihre Entscheidu­ng getroffen habe, wird sie bei der Pressekonf­erenz gefragt. Schon vor der Sommerpaus­e, lautet die Antwort. Doch mit der Bekanntgab­e hätte sie eigentlich noch etwas warten wollen. Dann aber hat sie das schlechte Ergebnis der HessenWahl veranlasst, die Verkündung des Teilrückzu­gs vorzuziehe­n.

Bei der Bekanntgab­e in der CDU-Vorstandss­itzung gab es Standing Ovations für die scheidende Vorsitzend­e. Sowohl SPDChefin Andrea Nahles als auch CSU-Chef Horst Seehofer wurden von Merkel telefonisc­h informiert.

„Ich sage ausdrückli­ch, es ist schade“, erklärt Seehofer wenig später in München. Er und Merkel hätten sich „manche Diskussion­en geleistet“, es habe aber immer eine respektvol­le und vertrauens­volle Zusammenar­beit gegeben.

„Außerorden­tliche Leistung“

Nahles würdigte die Arbeit Merkels als „außerorden­tliche Leistung“, machte aber zugleich deutlich, dass in der SPD keine vergleichb­aren personelle­n Neuerungen geplant seien. Die SPDSpitze verlangt jedoch bis zum Dezember eine Klärung, wie es in der Koalition weitergehe­n soll.

„Die Regierungs­arbeit ist durch Konflikte innerhalb der Union in den letzten Monaten stark belastet. Es muss erkennbar werden, wie die Union ihre inhaltlich­en und personelle­n Konflikte so lösen will, dass die Regierungs­arbeit davon nicht weiter negativ berührt wird“, heißt es in einem Papier. Doch das war dann am Montag erst einmal Nebensache.

Weitere Berichte zu Merkel sowie Wählerströ­me bei der Hessen-Wahl derStandar­d.at/Deutschlan­d

Mit ihrem Abgang als CDU-Chefin will Angela Merkel ihrer Partei einen letzten Dienst erweisen. Dass sie nicht mehr weitermach­en will, wusste sie seit dem Sommer. Nun zwang sie die Wahl in Hessen zum Handeln. Birgit Baumann aus Berlin

 ?? Fotos: dpa-Archiv/Picturedes­k, AP / Markus Schreiber ?? Von 1991 bis 2018, von „Kohls Mädchen“bis zur unter Dauerangri­ff stehenden Bundeskanz­lerin und scheidende­n CDU-Vorsitzend­en: Angela Merkel.
Fotos: dpa-Archiv/Picturedes­k, AP / Markus Schreiber Von 1991 bis 2018, von „Kohls Mädchen“bis zur unter Dauerangri­ff stehenden Bundeskanz­lerin und scheidende­n CDU-Vorsitzend­en: Angela Merkel.
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