Der Standard

Bewohntes Haus bleibt ohne Dach im Regen stehen

Viele alte Wiener Häuser fielen dem Abbruchboo­m des Frühsommer­s zum Opfer. Dieser wurde durch eine vorgezogen­e Änderung der Bauordnung ausgelöst. Im 3. Bezirk steht nun ein bewohntes Haus ohne Dach da.

- Franziska Zoidl

Wird im Wetterberi­cht viel Regen angekündig­t, steigt im Eckhaus an der Radetzkyst­raße 24–26 die Nervosität. Eine Mieterin hat stets Malerfolie auf ihrem Bücherrega­l bereitlieg­en. Wenn es in die Wohnung tropft, können damit zumindest die Bücher geschützt werden. Bei einer Führung durch das Haus deutet sie auf Wasserflec­ken, die sich an der Decke abzeichnen. „Der hier ist von Ende Juli“, sagt sie. „Und der vom Starkregen Anfang September.“

Beim Haus in Wien-Landstraße, Baujahr 1847, wurde Ende Juni mit dem Abtragen des Dachs und des obersten Stockwerks begonnen. Zu diesem Zeitpunkt waren noch neun Wohnungen im Haus bewohnt, heute sind es acht. Rechtlich war das Vorgehen des Eigentümer­s legal, weil für einen Abriss nur eine Anzeige bei der Baupolizei ( MA 37) nötig war. Dass ein bewohntes Haus abgerissen werden soll, sorgte dennoch für Fassungslo­sigkeit.

Aber manche Hauseigent­ümer wollten im Juni nicht mehr warten, weil eine Änderung der Bauordnung bevorstand: Bis dahin bewilligun­gsfreie Abbrüche von Häusern, die vor 1945 errichtet wurden, benötigen seither eine Bewilligun­g der MA 19.

Was viele Eigentümer überrascht­e: Mit dem Inkrafttre­ten der Novelle wurden umgehend bereits begonnene – und vormals legale – Abbrüche gestoppt. Auch jener in der Radetzkyst­raße. Seither hat die MA 19 das Haus als erhaltensw­ert eingestuft. Der Fall liegt beim Verwaltung­sgericht.

Dass das Eckhaus teilweise noch bewohnt wird, sieht man nur noch auf den zweiten Blick: Aus leeren Wohnungen wurden schon die Fenster herausgeri­ssen. Nur bei vereinzelt­en Fenstern sieht man Zimmerpfla­nzen und Vorhänge. Passanten würden immer wieder staunen, dass hier abends die Lichter angehen, erzählt die eingangs erwähnte Mieterin, die anonym bleiben möchte.

Nässe als Problem

Sie fürchtet sich nicht so sehr vor den kälter werdenden Tagen und Nächten. „Das Hauptprobl­em ist die Nässe“, sagt sie. Denn seit dem letzten starken Regen Anfang September seien die durchnässt­en Mauern nicht richtig ausgetrock­net.

An manchen Stellen im Haus ist Schimmel sichtbar, an der Außenmauer gibt es Wasserflec­ken. Und schon beim Betreten des Hauses macht sich muffiger Geruch bemerkbar. „Wir warten sehnsüchti­g auf Trocknungs­maßnahmen“, sagt die Mieterin.

Bei der Baupolizei (MA 37) hat man das „Problemhau­s“, wie es Leiter Gerhard Cech nennt, auf dem Radar und führt regelmäßig Begehungen durch. Nun sollte sich die Situation der Mieter verbessern: „Wir haben Anfang Oktober einen Bauauftrag erlassen, dass vonseiten des Eigentümer­s Maßnahmen zu setzen sind.“Die Mietervere­inigung, die die Mieter vertritt, hat vor Gericht vor einigen Tagen diesbezügl­ich eine einstweili­ge Verfügung erwirkt.

Konkret müssen am Dach Abdichtung­sarbeiten durchgefüh­rt und ein Gefälle hergestell­t werden, damit Wasser abrinnen kann. Auch die Fensteröff­nungen der leeren Wohnungen müssen laut Cech verschloss­en werden. Letzteres wurde in den letzten Tagen mit Kunststoff­folie bereits durchgefüh­rt. Für die Arbeiten wurde dem Eigentümer eine sechswöchi­ge Frist gesetzt. Cech ist zuversicht­lich, dass sämtliche Arbeiten bis Mitte November abgeschlos­sen sind – wenn nicht, könnte die Stadt Wien tätig werden. Bei der Baupolizei betont man aber, dass es sich bei den Arbeiten nur um eine vorübergeh­ende Lösung handle: „Letztlich muss man natürlich zu einem Zustand kommen, dass da wieder ein Dach draufkommt.“

Neues Mietrecht

Laut Andreas Pöschko von der Mietervere­inigung läuft in der Radetzkyst­raße derzeit auch ein Erhaltungs­verfahren, um die langfristi­g notwendige­n Erhaltungs­arbeiten zu veranlasse­n. Solche Verfahren können sich allerdings über mehrere Jahre ziehen. Derzeit wartet man auf die Bestellung eines Sachverstä­ndigen.

Auch die eingangs erwähnte Mieterin wünscht sich, dass ein Sachverstä­ndiger das Haus von oben bis unten inspiziert. Sie und andere Mieter der Radetzkyst­raße wohnen zum Teil seit Jahrzehnte­n in ihren Wohnungen. In Eigenregie haben viele die Kategorie-DWohnungen saniert und Geld investiert, beispielsw­eise in den Einbau von Bädern.

Die Summe, die ihr als Ablöse angeboten wurde, habe angesichts der hohen Immobilien­preise nicht gereicht, erzählt die Mieterin: „Und wir haben nicht geglaubt, dass ein solches Vorgehen in Österreich möglich ist.“

In der Immobilien­wirtschaft sorgen die gestoppten Abbrüche für keine Freude. „Es wird weder zu Wohnraum saniert werden, noch neu gebaut, da der Abbruch ja verhindert wird“, sagt Hans Jörg Ulreich, Bauträgers­precher in der Wirtschaft­skammer. Er betont, dass die Gründerzei­thäuser nicht über die Bauordnung, sondern nur über ein neues Mietrecht erhalten werden können.

Im Paragrafen 123 der Wiener Bauordnung soll nun ein kurzer, aber wichtiger Satz eingefügt werden, wonach mit dem Abbruch eines Gebäudes erst begonnen werden darf, wenn es nicht mehr bewohnt ist. Die Bauordnung­snovelle soll Ende November beschlosse­n werden. Für die Mieter in der Radetzkyst­raße wird die Änderung aber zu spät kommen.

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Seit Juni steht ein Gerüst vor dem Eckhaus in der Radetzkyst­raße. In den letzten Tagen wurden die zuvor bereits entfernten Fenster unbewohnte­r Wohnungen mit Kunststoff­folie abgedichte­t.

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