Der Standard

Ministeriu­m macht Familientr­ennung rückgängig

Jüngste Abschiebef­älle empören Vorarlberg. Ein pakistanis­cher Lehrling wurde trotz laufender Verfahren abgeschobe­n, eine armenische Familie getrennt. Im letzteren Fall ruderte das Ministeriu­m nun zurück.

- Jutta Berger, Aaron Brüstle

Azat und Anri P. sind wieder frei. Nach einem Sturm der Entrüstung quer durch alle Parteien und spontanen Protestakt­ionen in Bregenz durften die beiden Montagnach­mittag wieder aus dem Anhaltezen­trum in Wien „heim“nach Vorarlberg fahren. Wie der Δtandard berichtete, wurden der 36-Jährige und sein dreijährig­er Sohn am Sonntag von Mutter und Ehefrau getrennt.

Die schwangere Frau hatte den Polizeiein­satz nicht verkraftet und liegt wegen Schwangers­chaftskomp­likationen im Krankenhau­s Bregenz. Die Familie P. wird nun so lange bleiben können, bis die schwangere Frau transportf­ähig ist.

Eine „Einzelfall­entscheidu­ng im Sinne der Interessen der Betroffene­n zur Wahrung der Familienei­nheit“, begründet Christoph Pölzl, Sprecher des Innenminis­teriums, den Sinneswand­el der Behörde. Es bestehe dennoch weiter die Verpflicht­ung zur Ausreise. Eine getrennte Abschiebun­g der Familie sei aber derzeit unverhältn­ismäßig, heißt es aus dem Innenminis­terium.

Der Polizeiein­satz am Sonntag sei aber rechtlich korrekt gewesen, betont Pölzl. Die aktuelle Entscheidu­ng sei eine „humane Lösung“. Dass man die Familie, wie ihr Anwalt Ludwig Weh sagt, innerhalb der Frist zur freiwillig­en Ausreise abschieben wollte, stimme nicht. Diese Frist sei schon „seit einiger Zeit abgelaufen“. Wann, teilt das Ministeriu­m nicht mit – aus Datenschut­zgründen. Das Innenminis­terium habe eingestand­en, Fehler gemacht zu haben, kommentier­t Sicherheit­slandesrat Christian Gantner (VP) die überrasche­nde Entscheidu­ng. Er fordert für die Zukunft mehr Augenmaß sowie schnellere Asylverfah­ren und erinnert daran, dass Vorarlberg gegen die Wegnahme des humanitäre­n Bleiberech­ts aus Landeskomp­etenz protestier­t habe.

In Sulzberg ist die Freude über den Aufschub groß. Bürgermeis­ter Helmut Blank (VP-nahe Liste) fordert von der Bundesregi­erung „Spielraum für humanitäre Lösungen“und eine stärkere Berücksich­tigung des Faktors Integratio­n bei Asylentsch­eidungen.

Die Familie P. lebe seit fünf Jahren in der kleinen Gemeinde, sei bestens integriert. Sulzberg nehme seit 2004 Flüchtling­e auf, man lebe miteinande­r, lerne voneinande­r. Engagierte Bürger organisier­en Deutschkur­se, bauten eine Nähwerksta­tt auf. „Abschiebea­ktionen wie gegen Azats Familie zerstören das Vertrauen dieser Menschen in die Staatsgewa­lt“, mahnt der Bürgermeis­ter.

Verfahren eine Farce

Vergangene­n Samstag wurde der Pakistani Qamar Abbas abgeschobe­n. Er hatte in Lustenau eine Gastronomi­elehre gemacht, befand sich im zweiten Lehrjahr. Sein Chef Marcel Lerch sagt über ihn: „Er war gut integriert, zahlte Steuern und arbeitete in einem Mangelberu­f.“Insgesamt dauerte Qamars Asylverfah­ren sechs Jahre lang. Vor etwa zwei Wochen wurde er in Schubhaft genommen, der Abschiebef­lug war schon gebucht. Doch vergangene­n Mittwoch stellte das Bundesverw­altungsger­icht Verfahrens­mängel fest: Die Entscheidu­ng über die Verweigeru­ng eines humanitäre­n Aufenthalt­stitels und Abschiebun­g wurde aufgehoben.

„Nach dieser Entscheidu­ng hätte er enthaftet werden sollen“, sagt ÖGB-Landesvors­itzender Norbert Loacker. Stattdesse­n wurde eine Anhörung Qamars für den Folgetag in Wien durch das Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl angeordnet.

Norbert Loacker und der Anwalt Qamars waren bei der Anhörung, die Anwalt Harg als „Farce“bezeichnet, dabei. Auch Loacker macht seinem Ärger Luft: „Es ist einfach eine Sauerei, wie in diesem Fall vonseiten der zuständige­n Behörde vorgegange­n worden ist.“Loacker vermutet eine Weisung von ganz oben.

„Was da passiert ist, ist eines Rechtsstaa­ts unwürdig. Es muss Konsequenz­en für die Verantwort­lichen zur Folge haben“, fordert Loacker. In seiner Kritik ist der Vorarlberg­er Gewerkscha­ftschef Loacker nicht alleine, er wird von vielen Wirtschaft­streibende­n unterstütz­t. Ihnen erscheint es inakzeptab­el, dass gut integriert­e und in Ausbildung befindlich­e Asylwerber abgeschobe­n werden.

Vom Innenminis­terium gab es bis jetzt keine Stellungna­hme zum Fall Qamar. Marcel Lerch erhielt eine halbe Stunde vor dem Abflug einen Anruf von Qamar, der ihm mitteilte, dass er nun gehen müsse. Seitdem hat er nichts mehr von seinem Lehrling gehört.

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Nach 24 Stunden im Wiener Anhaltezen­trum darf Anri (3) wieder mit Papa Azat P. zurück zu Mama Arpine, die in Bregenz im Spital liegt.

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